Nachlese: Die besten Berichte und unsere Gästegalerie Unsere Beobachtungen von der 52. Frankfurter Buchmesse (18.10.-23.10.2000) - Für einen Text gab es unsere Literatur-Café Tasse
Textile Beobachtungen oder Ein Nachmittag in der Messehölle
[12:04 Uhr] Ein Blick schräg in die vorbeiziehende Menge raubt mir kurzfristig den Atem. Ein RAF-Terrorist? Ein Anhänger der Moon-Sekte? Oder doch ein Buchhändler? Eine Unterscheidung fällt schwer, ich trinke meinen Kaffee aus und versuche durch Konzentration auf das Display meines Laptops einer teilweisen Erblindung vorzubeugen. In der letzten Ausgabe des Readers Digest war von Schockfarben und deren fatalen Auswirkungen auf den Sehnerv zu lesen.
[12:56 Uhr] Ich sinne über Bügeleisen nach. Kurzfristige Entscheidungen zum Besuch der Buchmesse scheinen den Gebrauch dieses eigentlich doch sinnvollen und nützlichen Gerätes zeitlich nicht zuzulassen. Die Vermutung, eine weitere, unsägliche Modererscheinung ("Falten sind krass") verpasst zu haben, drängt sich auf.
[13:00 Uhr] Ein kurzer brauner Ledermini, gestreifte Strumpfhosen, rote Haare und ein rotgefärbtes, über die Schulter geworfenes Tier (vermutlich tot) staksen auf meterhoch anmutenden Plateauschuhen am Stand vorbei. Mein ungläubiger Blick wird missbilligend wahrgenommen, ich blicke verängstigt zurück auf meinen kleinen elektronischen Rettungsanker.
[14:04] Die Frage, ob bestimmte Gegenden Deutschlands von der Aussenwelt abgeschnitten sind, kann auf dieser Buchmesse nicht definitiv geklärt werden. Zu vermuten ist allerdings, dass Modemagazine in bestimmten Regionen einer Art Zensur unterliegen. Ich rufe mein Grafikprogramm auf, schaffe es aber trotz Zuhilfenahme des Handbuchs nicht, die hier zur Schau getragenen Farben auf meinem sehr hochwertigen Monitor darzustellen.
[14:45] Plateauschuhe sind in Mode, das kann niemand wegdiskutieren. Gibt es auch Schulungen, wie man mit diesen Dingern läuft? Vor dem Stand liegt ein messetypischer Teppich, in Blickweite die Verbindung zwischen zwei Teilstücken. Diese Erhebung von unglaublichen und gemessenen 3 Millimetern bringt in einer Stunde mehr Frauen zu Fall, als dies ein nackter Mann, aufgehängt an der Hallendecke, es jemals geschafft hätte.
[15:30] Eine ganz in Silber gekleidete Frau tackert auf den bereits erwähnten Platoeschuhen am Stand vorbei. Auf Ihren Schulter steht der Satz "Die schnelle Nummer". Um mich vom meinen Gedanken abzulenken, gehe ich schnell ins Internet, lade mir ein MP3 auf meine lokale Festplatte, ziehe den Kopfhörer auf und höre fünfmal hintereinander "I'm in love with an alien" von der Kelly Family. Nach einer vom Hallensanitäter durchgeführten Defibrillation fühle ich mich wieder geläutert und fit.
[16:15] Eine Mischung aus Mahathma Gandhi und der Hexe Gundel Gaukelei (die Gegenspielerin von Dagobert Duck) schwebt am Stand vorbei. Hat eine esoterische Buchhandlung ihre Kerker geöffnet? Wo ist der Stand mit dem Räucherwerk und den Tarotkarten? Ob Merlin damals auch mit 3 dicken Papiertüten mit Messematerial rumgelaufen ist?
[16:52] Cord .... schreibt man das so? In meiner Jugend hatte ich Cordhosen und war mächtig stolz drauf. Die waren sogar mit Schlag. Und beige. Ich muss meine Mutter mal fragen, was sie mit den Hosen gemacht hat, denn eben ist einer vorbeigelaufen, der hat sich allem Anschein nach einen Anzug daraus machen lassen. Ein Skandal.
[17:00] Die Buchmesse ist die Pullunderhölle. Sie wissen nicht, was ein Pollunder ist? Ein Ding, das seit 13 Jahren aus der Mode ist, das man über ein Hemd oder über einen Pullover zieht, keine Ärmel, aber einen V-Ausschnitt hat und entweder kanarienvogelquietschgelb oder rotweinfleckendunkelrot ist. Meist wird dieses Kleidungsstück unter einem Anzug getragen, der minimum 15 Jahre alt ist, manchmal auch unter dem blauen Samtanzug. Ja, genau dem Samtanzug, der von der Konfirmation übriggeblieben ist.
[17:12] Krawatten. Muss ich mehr sagen? Ja? Gut! Sie haben es so gewollt. Gelb mit blauen Balken drauf. Mickey Mouse in Blau auf Rot. Und die Zählung eines Tages: 4 schwarze Lederkrawatten, eine rote und eine aus Holz.
[17:22] Kickboards, neudeutsch für kleine Roller aus Alu oder Edelstahl. Mich wundert nicht, das diese Dinger durch die Messehallen geschoben werden, abgesehen von der Frage, was ich hier mit so einem Ding will. Draussen wird man entweder von einem Shuttlebus überrollt, drinnen fällt man nach spätestens 20 Metern auf die Fresse, weil der Teppich sich an allen Ecken und Enden wölbt oder man wird beim Personenslalom von einer Horde wildgewordener Buchhändler oder Verlagsvertreter gelyncht.
[17:30] Die Armee der Finsternis fällt ein. Zumindest, wenn man von der Farbe der Textilien ausgeht. Schwarzgekleidete, finster oder geheimnisvoll dreinschauende Menschen, größtenteils mit Anzügen oder mit dem obligatorischen schwarzen Rollkragenpulli unter schwarzem Jacket, drängen durch die Gänge und verbreiten ein Flair, wie man es sonst nur auf schwarzen Messen oder bei CSU-Versammlungen findet. Was ist los? Volkstrauertag? Heino gestorben? Rechtschreibfehler im Messeführer?
Depremiert schaue ich an mir runter. Schwarze Hose, schwarzes Hemd, schwarze Schuhe, schwarze Socken. Und ich dachte, ich wäre dieses Jahr der einzige, der einen auf böse macht.
Alle Besucher, die für uns ein Gedicht geschrieben haben, bekamen am Messestand unsere Café-Tasse geschenkt. Unsere Gästegalerie zeigt die besten Beiträge und die glücklichen Tassenbesitzer.
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