Kennen Sie Benjamin von Stuckrad-Barre? In meinem Bekanntenkreis waren es nur wenige. Aber die sind ja jetzt fast schon auch alle über 30. Die Fans von Herrn Stuckrad-Barre sind ja sehr jung, so liest man. Und zu seinen Lesungen, so liest man ebenfalls, eilen die jungen Mädels in Scharen. Herr Stuckrad-Barre ist nämlich einer jener Autoren, deren Schublade jemand mit »Pop-Autor« beschriftet hat. Definiert wird dies - vereinfacht ausgedrückt - so, dass man mehr über als von solchen Autoren lese, dass ihre Lesungen Inszenierungen und ihnen diese genauso wichtig wie das Schreiben selbst seien. Stuckrad-Barres bisherige Buchtitel und Hörkassetten lehnen sich daher auch an die Musikterminologie an: »Remix«, »Live-Recordings«. Sein neuestes Buch »Blackbox« soll nicht so toll sein. Liest man. Genau weiß ich das nicht, denn auch ich gehöre zu den Leuten, die nur über Benjamin von Stuckrad-Barre gelesen haben und nichts von ihm. So begebe ich mich also ins Stuttgarter Theaterhaus, in dem Stuckrad-Barre auf seiner »Blackbox-Tour« Station macht. Schließlich hat man ja von den Mädels gelesen und das möchte man dann doch mal live sehen. In der Tat ziehe ich wohl den Altersdurchschnitt des Publikums nach oben. Stuckrad-Barre selbst ist 25, und kaum jemand aus dem Publikum dürfte wesentlich älter sein. Nicht das übliche »ungebildete Bildungsbürgertum«, das sich sonst auf Lesungen herumtreibt, wie es einmal Harry Rowohlt formulierte. Neben der Tatsache, dass die Mädels fast alle ihren Freund dabei haben, fällt eines auf: Das Publikum sieht so normal aus! Die Art von Jugendlichen, die sicher prima mit ihren Eltern auskommen und die sich nicht durch die sonst üblichen Jugendkultur-Uniformen als unbedeutende Individuen unter gleichen outen müssen. Keine Hosen mit dem Schritt auf Kniehöhe, keine Baseballkappen, keine Schwarzgekleideten, kein Gel in den Haaren. Die haben sicher fast alle Abitur. Der große Saal des Theaterhauses ist ausverkauft. Das habe ich das letzte mal bei einer Lesung nur bei Max Goldt erlebt. Und dann betritt er die Bühne mit einer Tasche voller Bücher und CDs, ordnet diese auf seinem mit einem schwarzen Tuch verhüllten Lesetisch auf, zu dessen rechten sich CD-Player und Mischpult befinden, mit deren Hilfe Stuckrad-Barre immer wieder während seiner Lesung Musikhäppchen einwerfen oder Pausen überbrücken wird. Es beginnt ein Abend, der den Charme eines riesengroßen Klassenfestes hat, bei dem der Klassenclown sich in einer kleinen Bühnenshow inszeniert. Stuckrad-Barre zeigt zwischendurch ein paar Dias im Lomo-Look, liest aus dem Buch von Helmut Berger, ruft dann mal die VIVA-Moderatorin Charlotte an, und das Publikum lauscht gespannt einem scheinbaren Privatgespräche. Ach ja, und dann liest er auch ein paar eigene Texte vor. Das Rezept, mit dem Stuckrad-Barre die Massen begeistert, ist nicht neu, funktioniert aber ganz gut und ist unterhaltsam. Er zieht ständig über Erlangen her, die Stadt, in der er am Abend zuvor gelesen hat, was natürlich Sympathiepunkte beim Stuttgarter Publikum bringt. Die Promi-Namen in seinen Texten führen uns in die Welt der Reichen und Schönen, und dass Stuckrad-Barre über sie lästert, macht ihn wiederum zum Vertrauten des Publikums. Und seine Texte beschreiben Alltäglichkeiten, die das Publikum nachvollziehen kann und das Mädel neben mir begeistert kichern lässt und immer wieder »ja, genau, des kenn' ich, ja genau« rufen lässt, wenn Stuckrad-Barre z.B. über das Toilettenverhalten seines Romanhelden schreibt. Und so geht dann ein Abend zu Ende, der eigentlich ganz nett und unterhaltsam war, wenn man sich einen ganz netten und unterhaltsamen Abend erwartet hat. Doch dann, beim Verlassen des Saals, treffen in einem Gespräch hinter mir wieder die beiden Ansichten aufeinander, die Stuckrad-Barre wohl hervorruft: »Es isch der Wortschatz, ich kennt so net schreiba. Eifach toll« ist da ehrfurchtsvoll zu hören. Die Antwort ist eher knapp und schlicht. »Also, ich weiß net, ich fand's eifach nur flach!«
Wer Stuckrad-Barre mal hören will, dem empfehlen wir »Bootleg«, 2 Audio-CDs. Gelesen vom Autor. Mit Gastbeiträgen. Eichborn-Verlag - 34,90 DM/17,84 EUR (Preisangabe ohne Gewähr) und eine Homepage hat er natürlich auch.
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