Logo Buchmesse 2000Nachlese: Die besten Berichte und unsere Gästegalerie
Unsere Beobachtungen von der 52. Frankfurter Buchmesse (18.10.-23.10.2000)
- Für einen Text gab es unsere Literatur-Café Tasse
Gästegalerie
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Urlaub einmal täglich
Henriette Jorjan
eLCeTe
Axel Scherm
Zum Glück gibt's ...
Karin Baseda-Maass
Chaos im Kopf
Peter Endert
Es gibt nur eine Chance
Gisela Burschel
Lichtblick am Morgen
Pseudo
Knödelferse
Annette Franz
Mein erster Besuch im Literatur-Café
Gudrun Kropp
Zu Wort kommen
aetna
Ein einziger Buchstabe nur...
Günther Mulder
Ein' Literatur-Café, bitte.
Sylvia Waldern
Stellungnahme
Beate Hippler
Ins Literatur-Café...
Vladimir Alexeev
Systemfehler
Andreas Krauss
Die Buchmesse - Das Buch
FredomMan
Eine Tasse?
Renate Landgraf
Einfach klasse

Günther Mulder
Ein' Literatur-Café, bitte.

»Wieso krieg ich keinen. Das hier ist ein Café, ich bin ein Gast und möchte gerne einen haben. Sie sagen‚ aber gerne', drehen sich um und bereiten mir einen zu. Alles andere ist doch kompletter Unsinn.«
     »Keineswegs. Dieser Kaffee ist nicht gut für sie. Es gibt Menschen, denen bekommt er nicht. Und sie gehören dazu.«
     Ich sah ihn an: er sah aus wie ein ganz normaler Kellner. Dunkler Anzug, weißes Hemd, schwarze Fliege, graue Haare und weißes, schmales Gesicht. Nichts deutete darauf hin, dass er Ärger machen wollte, dass er einen Anlass sucht, um mir eins in die Fresse zu geben oder die Gorilla-Abteilung anzurufen. Er stand einfach nur da und weigerte sich, mir einen einfachen »Literatur-Café« zu bringen.
     »Und was ist los mit mir? Bin ich nicht literarisch genug?«
     »Keineswegs. Ich würde niemals wagen, das beurteilen zu wollen. Allerdings pflegen Sie eine etwas unorthodoxe Orthografie.«
     »Tippfehler.«
     »Natürlich. Was darf ich Ihnen also bringen?«
     Seine unergründliche Standfestigkeit war bewundernswert. Er hätte im Zweifelsfall auch den Einschlag eines Meteoriten ignoriert, wenn der sich nicht ordentlich angemeldet hätte.
     »Und mit Verlaub, ihre Vergleiche sind insgesamt auch etwas, nun wie soll ich sagen, abschweifend
     Das letzte Wort war ihm aus dem Mund gefallen wie ein plötzlich hervorgerülpster Pferdeapfel. Und der schmeckte mir ebensowenig wie die frechen Bemerkungen dieses Dienstleisters. Die Zeit war eindeutig gekommen, hier ein paar Dinge zurecht zu rücken.
     »Und ihr Verhalten ist impertinent.« Ich sah ihm direkt in die Augen: »So impertinent wie wehrhafte Wächter zu Wagners wogenden Weisen. Wie schlagende Schotten in Schmidts schönem Schlaraffenland. Oder...«
     »Vielleicht so impertinent wie die Wespe auf dem Bienenstich der Dame dort,« mit einer lässigen Handbewegung deutete er auf den Nachbartisch, »jedenfalls bringe ich Ihnen keinen Literatur-Café.«
     »Was ist denn so besonderes daran.«
     »Nichts besonderes, einfach Java.«
     »Aha – dann bringen Sie mir jetzt endlich einen, verdammt nochmal.«
     »Nein.«
     »Und wenn ich nach dem Geschäftsführer verlangen würde.«
     »Würden Sie einen Kaffee verlangen, ich würde in wenigen Worten meine Einstellung zu dem Verlangen darlegen...«
     »...und, dann?«
     »Und dann würde ich Ihnen einen Literatur-Café bringen. Auf Anweisung des Geschäftsführers natürlich, denn der Kunde ist natürlich König.«
     »Das klingt sehr umständlich,« erwiderte ich und grinste ihn an, »das können wir doch abkürzen, oder?«
     Er nickte – schon etwas resigniert und trollte sich von dannen, um kurz darauf mit einer großen, weißen Tasse zurück zu kehren. Die stellte er vor mir ab. Und blieb stehen.
     »Vielen Dank,« sagte ich, und sah ihn an. Aber er blieb immer noch stehen.
     »Gerne.« Er blieb stehen. Und ich sah ihn weiter an. »Möchten Sie ihn nicht versuchen?«
     »Doch. Ohne Publikum.«
     »Oh. Ohne Publikum. Einen Literatur-Café. Das war natürlich zu erwarten gewesen.«
     Er verbeugte sich leicht und zog sich zurück. Sieg auf der ganzen Linie. Ich hob die Tasse hoch – an ihr war nichts erkennbar besonderes. Die Tasse war sehr groß – sogar für eine von diesen amerikanischen »Mugs«. Aber der Kaffee duftete aromatisch, auf ihm schwomm hübsch mit Schokopulver bestreute aufgeschäumte Milch...alles in allem....naja. Ich hob die Tasse und nahm einen Schluck.
     Den ersten. Und der zweite...nahm mich.....während meine Lippe noch an der Tasse hing, während ein kräftiger Schluck meinen Mund füllte, spürte ich, wie die hohen, weißen Wände der Tasse herauf eilten und mich einhüllten, wie ich das Gleichgewicht verlor und die Orientierung und schließlich die Contenance.
     Kein Wunder, denn als ich die Augen wieder öffnete, fand ich mich im Inneren der Tasse wieder, in sehr warmem Milchkaffe schwimmend. Mehr schlecht als recht.
     Ich schrie um Hilfe.
     Kurz darauf erschien hoch über mir der Kellner. Er schaute betrübt in die Tasse herein, im Gesicht diesen ich-habe-es-Ihnen-doch-gesagt-Ausdruck. Ich bat ihn trotzdem um Hilfe. Aber zuckte nur mit den Schultern.
     »Und dann?« sagte er. »Dann sitzen sie pitschnass hier auf dem Tisch, in der Größe eines Däumlings, und können noch nichtmal bezahlen. Ich kann ihnen nicht helfen.«
     »Ich könnte den Geschäftsführer.....«
     »Und ich könnte Sie einfach in der Küche herunterspülen lassen. Das bringt uns nicht weiter. Sie haben sich da rein gebracht – sie müssen auch wieder raus.«
     »Aber das kann doch alles nicht sein, das geht nicht....das ist doch völlig unmöglich. Meine Güte, geben Sie mir das Gegenmittel, was auch immer, aber das hier ist doch eine Täuschung, ein Trip.«
     »Es ist Literatur – wenn auch keine besonders gute. Und da kann man nunmal nichts machen.«
     »Aber...das war doch nur ein....«
     »Literaturcafé, ja.«
     »Und warum....? Ich meine, ich habe doch gar nichts....«
     »Genau. Es ist dieser Mangel an Imagination. Oder vielmehr an Verständnis dafür, was die eigene Imagination zu schaffen in der Lage wäre, wenn man sie nur mal ließe. Und nicht knechtet und unterdrückt und behandelt wie das schwarze Schaf in der Familie. Natürlich geht das...es ist online, ein Literaturcafé, verstehen sie? Mit Java Beans geht das alles – wenn der Autor was taugt und die Bandbreite stimmt.«
     »Meine Güte, was soll ich jetzt tun?«
     Er schaute mich an, mitleidslos. Den genervten Blick nach oben legte er statt dessen in seine Stimme – ganz wie ein routinierter Agent aus dem First-Level Support.
     »Dreimal dürfen Sie raten.«
     »Also was.«
     »Reboot.«
     »?«
     »Reboot, Rebirth, was auch immer. Versuchen Sie es einfach nochmal.«

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Christian Wurzbacher
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