Criminale 2006: Die Kraft krimineller Fantasie

Nessa Altura fasst wieder zusammen, was beim Jahrestreffen der Kriminalschriftsteller in Koblenz so alles los war

Vergnügt: Eva Maaser und Sandra Lüpkes
Vergnügt: Eva Maaser und Sandra Lüpkes
Der längste Büchertisch
Der längste Büchertisch: Oliver Buslau, Andrea C. Busch, Nominé Wolfgang Burger, Oliver Bottini, Schatzmeister Bierschenck (von links)
Jürgend Alberts und Edith Kneifl
Leicht geschwächt: Jürgen Alberts und Edith Kneifl
Auf der Vollversammlung
Auf der Vollversammlung: Angela Esser, Jürgen Kehrer, Ilka Stitz (Sprecherteam) und Schatzmeister Bierschenck
Sabina Naber
Wien lädt ein: Sabina Naber
Die Minilesungen der Crime Sisters
Sehr informativ: Die Minilesungen der Crime Sisters
Nessa Altura
Nessa Altura liest in Ruitsch
© aller Bilder bei Nessa Altura
Koblenz: Wie jedes Jahr trafen sich die deutschsprachigen Kriminalautoren, um fünf Tage lang die Besonderheiten ihres Genres auszuloten. Dass dies vornehmlich in den Nachtstunden im Koblenzer Weindorf geschah, hat Tradition – tagsüber schwärmen die Schreibtischtäter aus, um die örtliche Bevölkerung in Kneipen und Schulen in Angst und Schrecken zu versetzen – kraft krimineller Fantasie. Eine Steigerung an tatsächlichen Straftaten konnte nicht vermeldet werden, wenn man von der unbeabsichtigten Tränengasattacke auf den Koblenzer Oberbürgermeister Schulte-Wissermann einmal absieht. Erfreulich war die Tatsache, dass besonders die ÖstereicherInnen dieses Mal stark präsent waren, möglicherweise steht dies im Zusammenhang mit dem Austragungsort der Criminale 2008 in Wien, das großzügigerweise für das von akuter Finanznot gebeutelte Eisenach eingesprungen ist. Insgesamt ist es schade, dass die Städte in Mittel- und Ostdeutschland sehr zurückhaltend sind mit ihren Bewerbungen, aber natürlich verständlich. Großereignisse kosten.

Zu jeder Criminale erscheint eine Anthologie –  2006 Tatorte aus dem Kontrastverlag mit 36 Straftaten an 36 Orten -, die zum Ziel hat, auch die Landbevölkerung – in den Niederungen des Rheintals und auf den Höhen des Rheinischen Schiefergebirges in den Sumpf der Verbrechen zu ziehen. Ich war neben vielen anderen dabei: In der beschaulichen Maifelder Ortschaft Ruitsch gelang es mir mittels einer fiktiven Sprengung und dank überwältigender örtlicher Vorbereitung eine Dorfwirtschaft vollständig mit mucksmäuschenstillen Hörern zu füllen. Ein Lesungs-Konzept, das Autoren und Lesern Spaß macht und seinen Zweck erfüllt: Identifikation mit dem Heimatort zu stärken, neue Leserschichten zu gewinnen und die Autoren ungeahnter Realitätsnähe auszusetzen. Neben den Premierenlesungen gab es auch viele andere, die man naturgemäß nicht alle hören konnte – höchst gelungen die 8-Minuten-Quickies der Sisters in Crime im Koblenzer Circus Maximus, die einen repräsentativen Querschnitt des gegenwärtigen Krimischaffens aus weiblicher Warte boten. Wunderbar die tiefe Lesestimme Almut Heuners, der temperamentvolle Vortrag Sabina Nabers, die feine Ironie von Martina Fiess …

Natürlich gab es auch Seminare (Internet, Rechte, Mind Mapping), Anschauungssunterricht (Polizei, Hundestaffel, Forensik), Podiumsdiskussionen, kreative Events, den längsten Büchertisch der Welt, den Tango Criminale mit den Friedrich-Glauser-Preis-Verleihungen, die Vollversammlung des Syndikats (neues Sprecherteammitglied Gisa Klönne), TV-Berichte und viele, viele Kontakte mit Leserinnen und Lesern jedweden Alters.

Neben dem Anliegen des Syndikats – der Schriftstellervereinigung mit über 400 Mitgliedern – den deutschsprachigen Krimi zu promoten, dient die alljährliche Criminale dem Erfahrungsaustausch untereinander: Man erfährt, wer welches Projekt vorbereitet (gesichtet wurden Verlagsvertreter und Lektoren von u.a. Grafit, Rowohlt, Heyne, Gmeiner) wird, man tauscht sich aus über Marketingstrategien, man lernt Kollegen kennen, die man bis dato nur aus der lebhaften Syndikats-Mailingliste kannte, man sumpft und qualmt und redet, redet …

Da dürfen auch Klatsch & Tratsch nicht fehlen: Informell wurden von den weiblichen Teilnehmern die bestaussehendsten männlichen Autoren ermittelt (die Ergebnisse müssen leider geheim bleiben, umgekehrt wiederum wäre die Auswahl sexistisch gewesen), ein Fanclub gegründet, neue Liebesbeziehungen kommentiert oder todsichere Lesungstipps gehandelt.

Spaß beiseite: Im Zentrum des Interesses stand natürlich die Wahl der Preisträger im Oscar-Modus, für die die Jurys aufopferungsvoll Hunderte von Romanen und Kurzgeschichten zu lesen hatten: Ein Service von Autoren für Autoren, der gar nicht hoch genug gewürdigt werden kann, legt er doch die eigene Schaffenskraft für viele Monate lahm. Umrahmt von den fabelhaften Klängen von Klaus Doldinger und der Uraufführung des Syndikatssongs (gewohnt gekonnt: Sandra Lüpkes, Jürgen Alberts, Ralf Kramp) durften den Koffer mit nicht nummerierten Scheinen entgegennehmen:

Roman: Astrid Paprotta: Die Höhle der Löwin (Piper). Debut: Leonie Swann: Glennkill (Goldmann) Story: Jürgen Ehlers: Weltspartag in Hamminkeln. Jugendkrimi Hansjörg-Martin-Preis: Jürgen Banscherus - Die Reihe »Ein Fall für Kwiatkowski« (Arena). Und den Ehrenglauser für das Lebenswerk: Prof. Dr. Edgar Marsch.

Nach der Criminale ist vor der Criminale: Nachdem, wie Kultusminister Prof. Dr. Jürgen Zöllner bei der Eröffnungfeier konstatierte, die Kultur in Germanien vom römischen Rheinland ausging, bleibt die Großveranstaltung auch im kommenden Jahr in der Region: 2007 wird an der Deutschen Weinstraße gemordet. Wir Autoren freuen uns darauf und wir ziehen den Hut vor der Soko Koblenz, die das diesjährige Großereignis stemmte: Hans-Peter Baecker, Gabriele Keiser und Mona Misko, sowie die Stadtverwaltung Koblenz und die Rheintouristik. Dass das nasskalte Wetter die touristischen Attraktionen schmälerte, war nicht deren Schuld. Dagegen hilft nun wirklich ein wirkungsvolles Mittel: Bücher, Bücher, Bücher!

Weiterführende Links zum Thema:
Im Cafe: »Criminale 2004: Criminale 2004: Die harte Welt des Krimischreibens - Nessa Altura war wieder criminal unterwegs.
Im Cafe: »Criminale 2003: Treffen der Literaturtäter« - Nessa Altura fasst zusammen, was beim Jahrestreffen der Kriminalschriftsteller so alles los war.
Im Cafe: »Morden in Mosbach« - Die deutschsprachigen Krimischriftsteller des SYNDIKATS trafen sich zur Criminale 2001.
Im Cafe: »Reich und berühmt durch einen Literaturpreis?« - Ein Interview mit den beiden Glauser-Gewinnern Nessa Altura und Hartmut Mechtel.

Nessa Altura

Die Autorin des Beitrags: Nessa Altura ist Krimi-Autorin. Sie hat zahlreiche Beiträge für Anthologien (Grafit, Scherz, Vertigo, et al) geschrieben und damit etliche Preise gewonnen (2002 Friedrich-Glauser-Preis; 2004 Prosapreis Fürstenwalde; 2004 Nominierung zum Agatha-Christie-Preis; 2005 Krimipreis der Stadt Singen (2. Platz)). Ihre Kriminalerzählung »Finale in Holzwickede« steht hier im Literatur-Café kostenlos als Hörbuch zum Download bereit. Ihre Website: www.nessaaltura.de

04.05.2006


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