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eBook: »Neue Arten und Formen von Literatur«

Hermann Salmen (Foto: Nuvomedia)
Hermann Salmen (Foto: Nuvomedia)

Interview mit Hermann Salmen, Geschäftsführer von NuvoMedia Deutschland, über die Zukunft der digitalen Lesegeräte

NuvoMedia gilt als Marktführer im Bereich der portablen elektronischen Lesegeräte, der so genannten eBooks. Noch wird in Deutschland heftig darüber diskutiert, ob die Geräte ein Buch ersetzen können, aber dennoch werden bereits von vielen die neuen Möglichkeiten für Autoren und Verlage gepriesen. Wir wollten vom Geschäftsführer von NuvoMedia Deutschland wissen, wie seiner Meinung nach die eBooks die Lesewelt verändern.

Mit Hermann Salmen sprach Wolfgang Tischer.

literaturcafe.de: Bereits auf der Buchmesse 1998 wurde das Rocket eBook vorgestellt und auch 1999 war es dort erneut zu sehen. Im Juni 2000, kam es endlich auf den deutschen Markt. Warum hat es so lange gedauert?

Salmen: Wir haben das Rocket eBook auf der Buchmesse 1999 gestartet und zwar für Verleger, um eine Inhalte-Plattform bereitzustellen und dann in einem zweiten Schritt die Inhalte zusammen mit dem Gerät und der Plattform für den Endkunden zu launchen. Das haben wir im Juni getan. Es hat sechs, sieben, acht Monate gedauert, um die Menge an Titeln, die wir uns vorgenommen haben, auch zusammenzubekommen.

literaturcafe.de: Wie wird Ihrer Meinung nach das eBook das Gefüge Autor, Verlag, Buchhandel und Leser verändern?

Salmen: Es wird sicherlich neue Formen der Inhalteverwertung geben. Es wird mehr und mehr Autoren geben – das finden Sie ja auch schon bei Book on Demand -, die Ihre Bücher direkt produzieren. Die Kosten hierfür sind minimal bei eBooks. Die Risiken sind für Verleger extrem gering. Es wird also neue Arten und Formen von Literatur geben. Es werden mehr Sachen ausprobiert, weil der Kosten- und Mindestauflagendruck nicht so da ist. Und sicherlich wird es mehr direkte Zugänge von Autoren und Verlagen zu Endkunden geben, so wie das Internet viele Wertschöpfungsketten verändert. Der Buchhandel und die Handelsketten müssen sich auf diese neue Situation einstellen und entsprechend mit neuen Konzepten darauf reagieren.

literaturcafe.de: Werden Verlage nicht überflüssig, wenn die Autoren nun selbst ihre Werke vermarkten und vertreiben? Stephen King hat ja angekündigt, nach dem Erfolg von Riding the Bullet, einer Erzählung, die erstmals nur in elektronischer Form veröffentlicht worden ist, nun die nächste digitale Veröffentlichung selbst und ohne Verlag herauszubringen*. Auch Agenturen übernehmen ja immer mehr Verlagsaufgaben.

Salmen: Ich sehe darin keine Gefahr, sondern eine Chance für viele Autoren, einen direkten Zugang zu den Lesern zu bekommen. Wenn Stephen King sich dafür entscheidet, und die technischen Möglichkeiten hierfür bestehen, dann wird man ihn davon nicht abhalten können. Wir denken aber nach wie vor, dass die Verlage der wesentlichste Coach für Autoren und eine Marke, ein Qualitätsmerkmal für den Kunden sind. Wir stellen fest, dass drei Viertel unserer Titel Titel von ePublishern sind, also nicht von bekannten und rennomierten Verlagen stammen, aber zwei Drittel unserer Umsätze kommen aus dem restlichen Viertel von bekannten Verlagen. Kunden kaufen also nach der Marke des Verlages, was diese natürlich stärkt. Deswegen arbeiten Verlage auch gerne mit uns zusammen.

literaturcafe.de: Werden die elektronischen Texte billiger werden, weil Materialkosten wegfallen?

Salmen: Mittelfristig wird sich ein Marktpreis für eBooks entwickeln. Aufgrund der Kostensituation und aufgrund anderer Dinge wird er sicherlich eher unter dem Papierpreis liegen. Wo genau, das lässt sich im Moment noch nicht vorhersagen. Es mag sein, dass aber eBooks, wenn sie sogar vor dem Hardcover oder kurz danach veröffentlicht werden, das Gleiche kosten werden.

literaturcafe.de: Besteht durch die Digitalisierung der Texte nicht die zunehmende Gefahr von Raubkopien? Die Verbreitung des oben erwähnt King Textes musste ja im Konkurrenzformat für das Glassbook eingestellt werden, da es gehackt wurde und Raubkopien im Umlauf waren.

Salmen: Die Gefahr ist natürlich da, wenn es nicht sichere Systeme und Plattformen gibt. Das sehen die Verlage auch ganz deutlich. Unser Angebot an die Verlage besteht in einer sicheren Plattform, bei der der Kopierschutz an das individuelle Lesegerät gebunden ist, sodass die Verlage ein großes Vertrauen haben. Dies reflektiert auch unser Geschäftsmodell: Unser einziger Erlösstrom ist die Partizipation am Content. Die Geräte subventionieren wir derzeit noch. Das macht uns für die Verlage, auch bezogen auf das Vertrauen in unser eigenes Copyright-System, sehr vertrauenswürdig.

literaturcafe.de: Dass im eBook-Markt ein Potenzial zu sehen ist, das mag man daran erkennen, dass zum einen Ihre Firma, wie auch die Firma Softbook vor kurzem von Gemstar übernommen und Know-how vereint wurde, aber zum anderen auch Microsoft in diesen Markt einsteigt und auf der letzten CeBit erstmals den Prototyp eines eigenen Lesegerätes präsentiert hat. Was werden Sie tun, um nicht Gleiches zu erleben, wie Netscape bei der Browser-Software?

Salmen: Zunächst einmal sehen wir von Microsoft Ankündigungen und auch Prototypen, aber noch kein echtes Produkt. Es gibt kein bekanntes Geschäftsmodell. Insgesamt sehen wir es aber sehr positiv, dass es ein starkes und großes Unternehmen gibt, das diesen Markt ebenfalls für sich für wichtig findet. Wir fühlen uns in unserer Vision natürlich bestärkt. Wir werden unseren Vorsprung, den wir in der Technik, auf der Inhalteseite und mit den Partnern in der Elektronikindustrie für die Verbreitung der Geräte haben, natürlich nutzen. Wenn am Ende das Spiel 50:50 ausgeht, dann sind wir damit sehr zufrieden, aber wir hoffen natürlich, dass wir so gut sind wie Palm im Pocket-PC-Markt.

literaturcafe.de: Wie sehen Sie die Perspektiven für das eBook in Deutschland? Wie wird das Verhältnis von eBooks zu normalen Büchern sein?

Salmen: Ich denke nicht, dass man das jetzt schon aufteilen und sagen kann, wo jetzt wer was weggegnappst bekommt. Ich denke eher an Wachstum. Nicht desto trotz ist es so, dass wir für die nächsten ein bis drei Jahre einige 100.000, vielleicht sogar Millionen Geräte zusammen mit unseren Lizenzpartnern planen, und dann wird es entscheidend sein, wann wer diese Geräte kauft, wen wir mit unserem Angebot erreichen können. Denn auch heute ist es so, dass ein Großteil der Buchumsätze von so genannten Viellesern gemacht werden. Vielleser wiederum, wenn sie unser Angebot akzeptieren, haben die meisten Vorteile. Es kommt nicht so sehr darauf an, wie viel Geräte verkauft wurden, sondern ob wir die richtigen Personen mit unserem Angebot erreichen.

literaturcafe.de: Trotz aller Digitalisierung: Welches Buch würden Sie persönlich nie in elektronischer Form, sondern doch lieber gedruckt lesen?

Salmen: Bücher mit vielen farbigen Drucken, aufwendige Fotobände. Da gehört die Sinnlichkeit tatsächlich dazu, und die kommt bei mir auch eher bei einem Papierbuch rüber. Ob ich mir allerdings so ein zwei mal zwei Meter Buch wie das neueste von Helmut Newton kaufen werde, das stelle ich mal zur Diskussion.

literaturcafe.de: Herr Salmen, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Nachtrag von 2003: Die eBook-Welt dreht sich schnell

Seit dem Interview vom 12.7.2000 hat sich einiges getan in der eBook-Welt. Wir haben das Wichtigste zusammengestellt:

NuvoMedia und Softbook Press wurden vom Gemstar-Konzern übernommen und zur Gemstar eBook Group zusammengefasst.

Gemstar eBook produziert danach selbst keine Lesegeräte mehr, stattdessen werden Lizenzen an Dritte vergeben (z.B. an Thomson multimedia). Gemstar eBook stellt die Plattform bereit und kümmert sich um die Inhalte. Mittlerweile wurden in Deutschland alle großen Verlagsgruppen Vertragspartner von Gemstar eBook.

Im Herbst 2001 werden die Nachfolgemodelle des Rocket eBooks auf der Frankfurter Buchmesse gezeigt (REB1100 und REB1200). Kurz danach sollen Sie in den USA auf den Markt kommen.

Ende Juli 2003 schließt Gemstar die deutsche Niederlassung. Der Markt sei nicht groß genug gewesen, heißt es (siehe Bericht).

In Frankfurt wurde zur Buchmesse 2000 erstmals der Frankfurt eBook-Award vergeben (siehe Bericht). Zur Messe 2001 wurde er erneut ausgeschrieben (siehe Bericht). Ein Jahr danach wird er eingestellt (siehe Bericht).

Stephen King hat nach dem Erfolg von Riding the Bullet sein zweites eBook-Projekt The Plant nach der sechsten Folge zunächst eingestellt. Zum einen war die Zahlungsmoral der Käufer nicht so hoch wie erwartet, zum anderen schob King andere Aktivitäten vor. King wollte den nächsten Teil immer nur dann schreiben, wenn der vorherige von mindestens 75% der Leser bezahlt würde. Zuletzt lag die Quote unter 50%.

Microsoft hat seine Lesesoftware, den Reader, erfolgreich auf den Markt gebracht. Bei Geräten mit dem Windows CE Betriebssystem gehört er meist zum Lieferumfang. Die Software wird von Experten durchaus positiv bewertet.

Adobe hat die Firma Glassbook aufgekauft und versucht derzeit noch mit mäßigem Erfolg das PDF-Format auf eBook-Anforderungen zu trimmen. Für den Palm ist eine spezielle Version des Acrobat Reader erschienen.

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