Am Buchmesse-Freitag am Stand des SPIEGEL treffe ich Sascha Lobo. Ich erkundige mich nach seinem Projekt Sobooks und den neuesten Kooperationen. Ob er jetzt auf die Bühne am SPIEGEL-Stand müsse?, frage ich. Nein, sagt Lobo, da sei er gerade gewesen.
Zusammen mit Literatur-Redakteur und Quartett-Moderator Volker Weidermann habe er soeben aufgelöst, dass seine hymnische Besprechung des Romans Cybris im LITERATUR SPIEGEL eine Fake gewesen sei. Weder die Autorin Carol Felt noch das Buch existieren. Auch die Website des österreichischen Verlag der Illusionen ist ein potemkinsches Dorf.
Nette Idee, denke ich. Volker Weidermann kommt hinzu, schüttelt mit kurz freundlich die Hand, dann müssen wir auch schon alle weiter zum nächsten Termin. Man sieht sich.
So habe ich leider nichts Näheres über die Hinter- und Beweggründe der gefälschten Rezension erfahren. Sie erfolgte mit Wissen und Unterstützung des SPIEGEL, denn um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen, nahmen Lobo und Weidermann sogar ein kleines Video auf, in dem beide das angebliche Buch mit dem schwarzen Cover in den Händen halten und kontrovers über das Werk diskutierten.
Lobo, dem bekanntermaßen Dave Eggers The Circle nicht sonderlich gefiel, lobte das Buch der angeblichen New Yorker Underground-Autorin Carol Felt als den Internet-Roman. Weidermann äußerte sich im Video eher skeptisch über das Buch.
Um die Illusion noch glaubhafter zu machen, bekam der Wiener Verlag der Illusionen, in dem das Buch in deutscher Übersetzung angeblich erscheinen sollte, eine eigene Website und Carol Felt einen Twitter-Account.
Bereits bei meiner Besprechung des LITERATUR SPIEGEL fand ich es merkwürdig, dass das Buch in keinem Online-Shop gelistet und keine Leseprobe zu erhalten war. Allerdings schob ich es auf die Tatsache, dass in dieser Beilage ohnehin viele Bücher besprochen wurden, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht erschienen waren. Jedoch führte gerade Lobos aufgesetztes Lob im Video dazu, dass ich mich nicht weiter für das Buch interessierte.
Was die Fake-Rezension bezwecken sollte, weiß ich also nicht. Kai-Hinrich Renner schreibt auf Handelsblatt.com: »Lobo will mit der Aktion zeigen, dass selbst hanebüchener Blödsinn als solcher nicht weiter auffällt, sobald er in einem etablierten seriösen Medium erscheint.« Aber leidet nicht die Seriosität des SPIEGEL, wenn er sich solche Aprilscherze im September erlaubt? Was kommt als Nächstes? Jonathan Franzen sagt, sein Essay sei ein Fake, und in Wahrheit fände er, dass Internet und Mobiltelefone unser Leben unendlich bereichern?
Im LITERATUR SPIEGEL habe ich ohnehin klare Meinungen und Positionen vermisst. Ob eine der Buchbesprechungen da eine Fälschung ist, ist fast schon belanglos. Und dennoch ist es paradox, dass eine der klarsten und meinungsstärksten Rezensionen in der Literaturbeilage ein Fake war.
Wolfgang Tischer