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Feuchtgebiete für alle! Literaturkritik für alle!

Feuchtgebiete und Mieses KarmaWir müssen reden. Und zwar darüber, wie aktuell über Literatur geredet wird.

Feuchtgebiete ist derzeit nicht nur Nummer 1 der Bestsellerliste, sondern auch bei Google der Suchbegriff Nummer 1, mit dem die Leute auf das literaturcafe.de stoßen. Die Kommentare zu einer Kritik des Debutromans von Charlotte Roche sind zahlreich.

Wörter wie »Ekel« und »widerlich« beherrschen die Diskussion. Und natürlich nicht nur im literaturcafe.de, sondern auch in anderen Medien. Ich habe Leute in meinem Bekanntenkreis, von denen ich nicht einmal geglaubt habe, dass sie wissen, dass es Fachgeschäfte für Bücher gibt. Doch selbst die haben sich »Feuchtgebiete« gekauft. Natürlich nur, um das Buch nach wenigen Seiten angeekelt und angewidert wegzulegen und hinterher immer und überall zu erzählen, dass man es nicht verstehe, dass derzeit immer und überall über dieses widerliche Machwerk geredet werde. »Literatur«, so hört man es laut und deutlich, »Literatur sei so was ja wohl nicht.«

Und plötzlich werden an den viel zitierten Stammtischen dieselben Fragen erörtert wie in den Feuilletons.

Ist das nicht großartig!

Natürlich würde man sich wünschen, dass mit ähnlicher Vehemenz und Abscheu über Schäubles Stasi-Fantasien geredet wird. Aber dass die öffentliche Diskussion mal von einem Buch beherrscht wird, ist dennoch etwas Wunderbares.

Kinderpornografie und Kindermord sind normal geworden, sind Themen, die in jeder Tatort-Folge aufgegriffen werden und mittlerweile langweilen.

Körperflüssigkeiten als Aufregerthema? Herrlich!

Aber wer hätte es gedacht, dass im aufgeklärten Vorsommer 2008 der Umgang mit dem eigenen Körper und dessen Flüssigkeiten zum Aufregerthema wird? Und das auch noch in Zusammenhang mit einem Buch?

Herrlich!

Das übermediale Abbild manch aufgebrachter Scheinheiligkeit ist natürlich das Unterschichtenblatt BILD, »und die besteht nun mal, wer wisse das nicht, aus Angst, Hass, Titten und dem Wetterbericht« (die ärzte).

BILD kann sich wunderbar angewidert und angeekelt über das Buch äußern und tolle Begriffe wie »Porno« in die Schlagzeilen bringen und daneben Werbebanner für Titten-Websites platzieren, Zitate sinnentstellend wiedergeben und vor allen Dingen alte Paparazzi-Fotos veröffentlichen und ein paar textliche Nichtigkeiten über den Lebenspartner von Charlotte Roche zusammendichten. Seitdem sich Roche gegen die widerlichen und Ekel erregenden Methoden der BILD zur Wehr setzt, schießt man gerne mit Foto und Tastatur gegen sie. Natürlich immer mit Provision bringendem Link zur Buchbestellung im BILD-Online-Shop.

Traurig!

Doch fein ist es, dass das Buch manche Zeitgenossen und insbesondere Genossinnen zur Diskussion über Sex und Körperhygiene anregt. Etwas, das bislang Werbespots im Fernsehen übernommen haben.

Und – so zeigen es auch die Kommentare unter unserer Buchkritik – da werden auf einmal von Leuten dank des Buches literaturtheoretische Fragen erläutert wie: Darf eine Autorin – damit es dramaturgisch in ihre Geschichte passt – die Wirklichkeit verändern und Raststätten mit nur einer Toilette für Männer und Frauen erfinden?

Noch fehlen oft die literaturtheoretischen Analysewerkzeuge

Häufig wird der Geschichte von Kritikern kein Tiefgang attestiert – leider fehlen meist Gründe und Belege. Dies zeigt freilich, dass die literaturtheoretischen Analysewerkzeuge noch nicht jeder und jedem zur Hand sind.

Dabei würde man sich diese breite Literaturdebatte wünschen. Schade, dass sie derzeit nur um das Werk von Charlotte Roche kreist, was selbstverständlich ein grandioses Verdienst der Schriftstellerin ist, das (und der) nicht geschmälert werden sollte. Wir gönnen es ihr.

Aber nehmen wir mal ein anderes Buch von der benachbarten Taschenbuchbestsellerliste. Zum Beispiel das Buch »Mieses Karma« des ebenfalls deutschsprachigen Autors David Saphir.

Ein wirklich schlechtes, unlogisches, langweiliges und literarisch unterirdisches Buch, das erschreckenderweise auch noch bei Rowohlt erschienen ist.

Wie konnte es dazukommen? Warum steht dieses Buch ganz oben auf der Bestsellerliste?

Wo bleibt die öffentliche Diskussion darüber, dass es solch ein humoristischer Tiefschlag ganz nach oben geschafft hat? Wo sind die Berichte derer, die davon erzählen, dass sie das Buch gekauft, aber schon nach wenigen Seiten angewidert und angeekelt weggelegt haben, weil darin nur das platte Männer-gegen-Frauen-Schema billig bedient wird und oberpeinliche Kalauer zu lesen sind wie: »Wir trugen Ausschnitte, bei denen für unsere Busen stets Fluchtgefahr herrschte.« Ein Satz, den die BILD-Zeitung doch wunderbar mit distanzierter Abscheu in eine Schlagzeile bringen …

Aber halt! Was lese ich da auf der Umschlagrückseite als verkaufsförderndes Zitat: »Super witzig und schräg!« Und wer hat’s geschrieben? BILD.

Wir sehen also, dass noch eine Menge Aufbauarbeit zu leisten ist, bis sich auch um andere Bücher eine öffentliche Literaturdebatte entspannt, die auch nur halbwegs an die um »Feuchtgebiete« heranreicht. Roche hat auch in dieser Hinsicht ein bemerkenswertes Buch geschrieben.

Dafür sei ihr gedankt. Aufrichtig.

Wolfgang Tischer

Charlotte Roche: Feuchtgebiete: Roman. Gebundene Ausgabe. 2008. DuMont Buchverlag. ISBN/EAN: 9783832181017
Charlotte Roche: Feuchtgebiete: Roman. Taschenbuch. 2017. DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG. ISBN/EAN: 9783832164225. 10,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Charlotte Roche: Feuchtgebiete: Roman. Broschiert. 2008. Dumont. ISBN/EAN: 9783832180577. 14,90 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Charlotte Roche: Feuchtgebiete: Roman. Kindle Ausgabe. 2010. DuMont Buchverlag GmbH. 8,99 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige

David Safier: Mieses Karma. Kindle Ausgabe. 2009. Rowohlt E-Book. 9,99 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige
David Safier: Mieses Karma. Taschenbuch. 2008. Rowohlt Taschenbuch. ISBN/EAN: 9783499244551. 14,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
David Safier: Mieses Karma hoch 2. Taschenbuch. 2016. Rowohlt Taschenbuch. ISBN/EAN: 9783499258145. 14,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
David Safier: Mieses Karma hoch 2. Kindle Ausgabe. 2015. Rowohlt Taschenbuch. 9,99 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige

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7 Kommentare

  1. fechtgebiete schon mal laut in der gruppe vorgelesen?
    erstaunlich wie freunde reagieren, wenn sie lesen oder zuhören! 😉

  2. Ich finde das ja herrlich zu beobachten,wie sich das halbe Land pikiert.
    Da schreibt man einmal was realistisches und alle Flüchten. Aber für jene gibts ja Sofpornos. Mehr als 10 Stöße, soll ja angeblich nicht zulässig sein, in „Seriösen FIlmen“. 😉

  3. Das Buch ist doch Kindergarten und dahinter steckt eine gute Pressearbeit (Spiegel und Stern NEON hatten ein Proträt übeer Roche drin, als es rauskam). Roche bestätigt übrigens selbst, dass sie es schön fände, wenn es Porno/porno sei.
    Roche ist nicht die erste, die gemerkt hat, dass man sich einen Finger in den Popo stecken kann, wenn sie es auch so wahrnimmt.
    Also bitte, sowas ist doch usus und wird unter Frauen längst diskutiert, wenn es auch die Jungen/jungen nocht nicht mitgekriegt haben.

  4. Bestimmte Gebiete sind – leider eben gemerkt! – 2. „Die Sprachspielerin …“ virenverseucht, kann man beim feuchten Thema irgendwie verstehen, sogar der PC gruselt sich davor..ist unbedingt abzustellen!

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