Unregelmäßig und immer am Samstag berichtet der Lektor, Verleger und Literaturagent Vito von Eichborn über das Büchermachen. Es geht ihm nicht um Theorien, sondern um das Handwerk auf dem Weg zur »Ware Buch«. Er redet Klartext, räumt mit Vorurteilen auf – und will zum Widerspruch anregen. Und er bittet um Fragen über den Buchmarkt, um an dieser Stelle darauf einzugehen.
Eine Kolumne von Vito von Eichborn
Es gab ja hier einen Kommentator dieser Kolumne, der allen Ernstes meint, Buchhandlungen seien überflüssig, weil zu teuer – es würde ja bald eh alles viel billiger runtergeladen. Nee, mein Freund, in der Welt ohne gedruckte Bücher möchte ich nicht mehr leben (bin ja auch alt genug). (Er hat offensichtlich nicht begriffen, dass es nicht um Fast Food geht, wie anspruchsvollere Inhalte entstehen, unter die Leute gebracht, genossen und in Hirn und Seele verarbeitet werden.) Aber das brauche ich auch nicht – weil ich ehrlich überzeugt bin, dass Bücher wieder »in« werden. Klar freut es mich, wenn ich aus berufener Seite Argumente dafür finde.
Das Folgende habe ich bei XING runtergeladen, nur gekürzt:
Von wegen Disruption! Die Nutzung der digitalen Medien steigt weiterhin, doch die »realen« Medien feiern ein überraschendes Comeback. Was viele Medienexperten prophezeiten, die Online-Jünger aber nie wahrhaben wollten, wird zur Gewissheit: Die traditionellen Medien sind nicht nur nicht gestorben, sie erleben nun sogar ihr Comeback. Während die mobile Internetnutzung boomt, feiern gleichzeitig analoge Medien ein Comeback. Als ein Beispiel nennt Deloitte den Buchmarkt. Die Fachzeitung Horizont schreibt: »So sei die Popularität gedruckter Bücher in fast allen Altersgruppen gestiegen. Analoge Tonträger wie die gute alte Schallplatte erleben auch bei jungen Musikfans ein Revival und besetzen mittlerweile eine exklusive Nische des Musikmarktes. Vor allem das haptische Erlebnis spreche für traditionelle, analoge Medien.«
Der »digitale Medienbruch« beschreibt das Alter, ab dem die Akzeptanz digitaler Produkte sinkt. Dieser tritt überraschenderweise oft bereits ab einem Alter zwischen 35 und 44 Jahren auf.
Vom Comeback der traditionellen Medien profitieren nicht nur Bücher, sondern laut der Deloitte-Studie ebenso Zeitungen und Magazine: »Scheinbar hätten jene Konsumenten, die auf gedruckte Produkte verzichten wollen, ihre Abonnements bereits gekündigt. Gleichzeitig existiere weiterhin eine treue Basis von Mediennutzern, die nicht auf das haptische Erlebnis des Print-Konsums verzichten will.«
Bemerkenswert ist die Begrifflichkeit, die die Macher der Deloitte-Studie wählen. Sie bezeichnen Printmedien in ihrem Kommentar als »reale Medienprodukte«, was die Interpretation nahelegt, dass die digitalen Medien als weniger real einzustufen sind. Ganz unwahr ist das nicht. Den digitalen Inhalten fehlt die Haptik, zu der viele Verbraucher zurückkehren. Und flüchtiger sind sie allemal. Von Disruption kann hier keine Rede sein. Eher ist für die Printmedien der »tipping point« in greifbarer Nähe.
Ähnliches gilt auch für das Fernsehverhalten. Auch Brettspiele feiern ein fröhliches Comeback. Nicht anders ergeht es der Schallplatte.
Für viele Experten war erkennbar, dass die Menschen zwar die digitale Revolution umarmen und alles Nützliche schnell aufnehmen, dass sie aber gleichzeitig bewahren, was an der analogen Welt wertvoll und erhaltenswert erscheint. Die Erwartung der Digital-Gläubigen, dass die alten Medien sang- und klanglos untergehen, dass sie schlichtweg sterben, ist nicht eingetreten.
Die Beständigkeit von Papierfotos ist wohl einer der Gründe, warum die analoge Fotografie momentan wieder gefragt ist. »Es ist ein anderes Erlebnis, Fotos in der Hand zu halten«, sagt Constanze Clauß vom Photoindustrie-Verband. Längst haben sich zur Legende Polaroid Wettbewerber wie Leica und Fujifilm im neuen Boom-Markt hinzugesellt. Das Phänomen dabei ist, dass insbesondere junge Enthusiasten die neuen Käufer sind.
Wer Spaß am »back to the roots«-Phänomen hat, dem sei »The Revenge of Analog« von David Sax empfohlen. In seinem Bestseller beschreibt Sax auch die Wiederkehr des Papiers in Form der Moleskine Notizbücher. Es gibt kaum ein Meeting, in dem die »digital natives« nicht ihr Moleskine oder einen ähnlichen Notizblock hervorholen, um Notizen zu machen. »Auch im Zeitalter der Digitalisierung gibt es den Wunsch nach etwas zum Anfassen.«
Für den Steiff-Chef Peter Hotz gibt es kein digitales Pendant zum Teddybären: »Mit einem Tablet oder Smartphone lässt sich nicht kuscheln, mit dem Teddy dagegen schon. Und der hört einem Kind auch besser zu als Siri.«
Boah, das tut gut. »Mein Medium ist wirklich«, nicht immateriell. Na klar: Mein Buch ist mein Teddy.
Okay, diese Thesen sind weitgehend auf Haptik reduziert. Der oben genannte Datenfan liest ja wohl eh nichts, was ein bisschen länger ist. Vermutlich ist nicht mal der Autor dieses Textes ein »richtiger Bücherleser«. Auch gut.
Ich will ja hier nicht mit Wiederholungen nerven, aber ich bin halt überzeugt von inhaltlicher Relevanz – die in der Literatur ohne gedrucktes Buch nicht denkbar ist, ein- für alle-, verdammt noch mal!
Vito von Eichborn
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Vor etwa zehn Jahren habe ich gegenüber jedem, der es hören wollte (oder auch nicht) eine Phophezeiung gemacht: In spätestens fünf Jahren, so war ich überzeugt, würde in Deutschland der Durchbruch des E-Books erfolgt sein. Es kam anders, wie wir jetzt wissen. Natürlich kann ich im Nachhinein Gründe für meine Fehleinschätzung aufzählen: Die E-Ink-Technologie wurde, anders als zu erwarten war, kaum noch weiterentwickelt; die farbigen E-Ink-Displays mit wirklich reinweißem Hintergrund, die man uns damals versprochen hatte, gibt es bis heute nicht. Hinzu kam die schon erwähnte Preispolitik der Verlage, die E-Books gegenüber gedruckten Büchern bisher unattraktiv erscheinen lässt.
Da gibt es immer Faktoren, die man nicht auf dem Schirm hat. Ich sollte also vorsichtig sein mit neuerlichen Prophezeiungen. Aber damit bin ich ja ganz offensichtlich nicht allein.
Ich erinnere mich noch gut an die Expertenmeinungen zur digitalen Fotografie Ende der 1990er-Jahre. Da wurde diskutiert, welchen Marktanteil digitale Kameras irgendwann mal haben könnten; der eine prophezeite 20 %, die ganz Kühnen gingen auf 60 %. Aber dass dann schon innerhalb weniger Jahre die analogen Kameras im Neuverkauf nahezu komplett verschwinden würden, hatte kaum jemand sich vorstellen können. Mehrere große Filmmaterial-Hersteller sind pleitegegangen, weil sie die Entwicklung falsch eingeschätzt hatten. Auch aktuelle Nostalgie-Projekte mit analogen Spezialkameras, Filmmaterialien oder Sofortbildkameras ändern nichts daran, weil sie sich auf niedrigem Niveau bewegen und kaum Einfluss auf die Gesamtstatistik haben. Zudem werden immer seltener Fotos auf Papier gedruckt; es werden immer weniger Fotodrucker verkauft, die Fotolabore haben trotz Innovationen (Fotobücher, Fotos hinter Acryl etc.) seit Jahren Umsatzrückgänge und die Herstellung der meisten Laserbelichter, die zeitweise im Hinterzimmer jedes Fotogeschäftes standen, wurde bereits eingestellt (es werden nur noch die Bestandsgeräte gewartet und ggfs. Gebrauchtgeräte gehandelt). All das verhindert nicht die eine oder andere Nische – und niemand glaubt ernsthaft, dass das Drucken von Fotos auf Papier in absehbarer Zeit ganz aussterben wird. Aber ein Massenphänomen, wie es früher einmal war, wird es nicht mehr. Überall dort, wo es ohne Papier praktischer geht, macht man es jetzt ohne Papier.
So ähnlich ist es ja auch mit dem angeblichen Boom der Vinyl-Schallplatten, der so gern als Beispiel für Re-Analogisierung genannt wird. In der Tat ist die Nachfrage in den letzten zehn Jahren um mehrere hundert Prozent gestiegen – aber ausgehend von einem kaum messbaren Ausgangswert. Insgesamt schrumpft der Markt für physikalische, hübsch verpackte Tonträger munter weiter. Dazu gehört auch die CD – obwohl sie, rein technisch betrachtet, bereits ein digitales Medium ist. Aber um die Technik geht es den Fans ja nicht. Es geht ums “Anfassen”.
Gleiches Spiel mit Videofilmen. Erst kürzlich ging eine Meldung zum Aussterben der Videotheken durch die Medien. Durch Erhöhung der Internetbandbreiten wird das Leihen oder Kaufen von Silberscheiben (oder gar Magnetbändern) immer uninteressanter; Online-Dienste bieten heute schon ein größeres Angebot als jede Videothek. Das Einzige, was sachlich noch manchmal für den Kauf von DVDs oder BDs spricht, ist ironischerweise der Preis: Ältere Filme auf DVD werden günstig verramscht oder lassen sich noch günstiger gebraucht kaufen, während die Download-Varianten preisstabil sind und nur “neu” gekauft werden können. Das Argument hatten wir ja schon – nämlich im Vergleich von E-Books und gedruckten Büchern. Aber auf lange Sicht ist es natürlich ein schwaches Argument.
Also wann kommt nun der große Durchbruch des E-Books auch außerhalb der Selfpublisher-Welt? Innerhalb von fünf Jahren? In zehn? Mit den konkreten Zahlen bin ich mittlerweile vorsichtig. Aber dass der Durchbruch kommen wird, glaube ich noch immer. Auch hier gilt natürlich, dass eine marktdominierende Position des E-Books nicht radikal das Aus für gedruckte Bücher bedeutet. Zumindest als Nischenprodukte und für Fans wird es die noch lange geben. Auch PoD-Systeme dürften in einem schrumpfenden Papierbuchmarkt eine größere Rolle spielen. Viele Verlage haben z. B. noch gar nicht das Potenzial entdeckt, mittels E-Book und PoD auch ältere/vergriffene Bücher wieder lieferbar zu machen. Aber die Zeiten, als jede Kleinstadt mindestens zwei bis drei Buchhandlungen hatte, dürften langsam zuende gehen. Und auf längere Sicht sehe ich gedruckte Bücher dann eher als Nebensortiment in anderen Geschäften – oder ehemals reine Buchhandlungen, die sich durch zusätzlichen Verkauf anderer Artikel was dazuverdienen. Mal ganz abgesehen davon, dass gedruckte Bücher schon heute oft online gekauft werden und nicht mehr vor Ort. Also selbst ohne E-Book-Revolution hat es der örtliche Buchhandel schon schwer; beste Voraussetzungen für den Fortbestand sind das gewiss nicht.
Soviel zu meinem Vorsatz, mich mit neuen Prophezeiungen zurückzuhalten…
Seltsame Diskussion!
Wie überall, so scheint auch in der Diskussion über E- oder Holz-Books das Denkschema »Entweder-Oder« vorzuherrschen. Warum nicht in der Kategorie »Sowohl-Als-Auch« denken? Als ich für meinen Roman »Recuerdos – Vielleicht war es ein Tango« nach Rapa Nui (Osterinsel), Santiago de Chile reisen durfte, sind meine Frau und ich drei Monate durch dieses wunderschöne Land gereist. Hätten wir Lektüre für 3 Monate im Koffer mitschleppen sollen? Den Reiseführer allerdings hätte ich nicht als E-Book gewollt, da habe ich das Holzbuch vorgezogen. Wenn ich ein spanisches oder englisches Buch im Original lese, so freue ich mich, dass mein E-Book mir mit einem Klick eine Übersetzungsmöglichkeit anbietet.
Für meinen Roman »Sie gingen einen langen Weg« musste ich in der Geschichte Karlsruhes zum Thema Zwangsarbeit kramen. Selbst wenn es darüber ein E-Book gegeben hätte, hätte ich das Holzbuch vorgezogen. Auf Papier fällt es mir leichter, Anmerkungen anzubringen, mit dem Marker zu arbeiten usw.
Auch wenn mich ein Buch total gefangen nimmt, will ich das flüchtige Medium E-Book in einem Holzbuch kristallisiert wissen. Sinnfälliges Beispiel war für mich »Im Irrgarten der Liebe« von Jellouschek, ein Buch, das mich von meinen Nierensteinen befreit hat (kein Witz – es war die Interpretation des Froschkönigmärchens).
Warum also entweder E-Book oder Holzbuch? Besser: Je nach Verwendung ein E-Book oder ein Holzbuch. Beides hat seine Berechtigung und ist weder besser noch schlechter als das jeweilig andere.