StartseiteVito von Eichborn: BüchermachenBüchermachen XII: Gereimtes gegen Geräuchertes - Pfui, Geibel?

Büchermachen XII: Gereimtes gegen Geräuchertes – Pfui, Geibel?

Unregelmäßig und immer am Samstag berichtet der Lektor, Verleger und Literaturagent Vito von Eichborn über das Büchermachen. Es geht ihm nicht um Theorien, sondern um das Handwerk auf dem Weg zur »Ware Buch«. Er redet Klartext, räumt mit Vorurteilen auf – und will zum Widerspruch anregen. Und er bittet um Fragen über den Buchmarkt, um an dieser Stelle darauf einzugehen.

Eine Kolumne von Vito von Eichborn

Angesichts der Fluten an Gedichten, die an die Verlage geschickt werden, muss man vermuten, dass es hierzulande mehr Poeten als Leser von Lyrik gibt. Denn deren Auflagen sind meist kümmerlich. Wenn man nun als Dichter Erfolg haben will, braucht man doch Vorbilder?

Ein Lyriker schrieb einst ein Buch mit dem einfallsreichen Titel »Gedichte«. Das hatte in einem Dreivierteljahrhundert 132 Auflagen. Er war und ist immer noch in aller Munde. Von ihm stammt die Zeile: »Wer nicht hören will, muss fühlen.« Darauf muss man erst mal kommen. Und dann dafür sorgen, dass die Welt sie wahrnimmt.

Auch »es mag am deutschen Wesen / einmal noch die Welt genesen« ist von ihm  was Kaiser Wilhelm II. zum politischen Schlagwort umformte: »Am deutschen Wesen mag die Welt genesen.« Sogar wir heute kennen noch ein Gedicht von ihm: »Der Mai ist gekommen«.

Kein Wunder, dass die Konkurrenz neidisch war auf diesen Emanuel Geibel. Was erfolgreich ist, kann ja nichts taugen; das muss trivialer Mist sein. Fontane schmähte seine Gedichte als »Geibelei«. Und Storm war sauer, dass der so viel berühmter war als er selbst.

Frau Merkel sollte sich ein Beispiel nehmen, wie man damals mit einem Dichter umging. König Maximilian II. von Bayern lud Geibel ein, doch bitte nach München zu kommen. Das machte der, zusammen mit seiner Frau, denn er bekam ein ordentliches Gehalt ohne Verpflichtungen, weil er halt ein berühmter Dichter war. Und bei den »Abendunterhaltungen« saß er immer neben dem König. Sowas könnte die Kanzlerin ja auch mal einführen. Wie wär’s mit, sagen wir, Enzensberger als Bundesdichter und einem Lesekreis mit Altmaier und Co.? Oder Söder hält sich eine Dichterin?

Dann jedoch machte dieser Chefdichter einen Fehler. Als der preußische König Wilhelm I. Lübeck besuchte, begrüßte Geibel den Gast mit einem Gedicht. Maximilians Nachfolger Ludwig II. gefiel das überhaupt nicht. Er strich dem Poeten seine vom bayerischen Königshaus zugesicherte lebenslange Pension. Da packte der nach siebzehn Jahren seine Sachen und kehrte in seine Geburtsstadt Lübeck zurück.

In Lübeck steht ein Denkmal von ihm auf einer Verkehrsfläche neben dem Heilig-Geist-Hospital. Die Nazis nannten dies 1936 Geibelplatz, aber das wurde irgendwie nichts, denn es hat nie ein Schild mit diesem Namen gegeben.

Im Restaurant im beeindruckenden Gebäude der Schiffergesellschaft kann man den Geibeltisch reservieren. Hier soll der Dichter gesessen und gedichtet – und der Legende nach in seinen Anfängen manches Mahl mit einem Gedicht bezahlt haben.

Gereimtes gegen Geräuchertes und Gebrautes – auch daran könnten sich heutige Gastwirte doch ein Vorbild nehmen!

Vito von Eichborn

Fragen? Meinungen? Kommentare? Vito von Eichborn freut sich über Rückmeldungen! Am besten unten in den Kommentaren oder per Mail an buechermachen(at)literaturcafe.de.

Vito von Eichborn, 1943 geboren, Studium, Journalist und Aussteiger, begann 1973 im Lektorat bei Fischer in Frankfurt. 1980 Gründung des Eichborn Verlags, den er 1995 freiwillig verließ: »Das war der Fehler meines Lebens.« Geschäftsführer bei Verlagen in Hamburg. Lebt seit 2007 in Bad Malente. Gründete zwischenzeitlich auf Mallorca den Verlag Vitolibro, den er mit norddeutschen Regionalia, literarischen Ausgrabungen und Kuriosa fortsetzt. Ist manchmal Agent für Autoren (»nur, wenn das Projekt marktfähig ist«), schreibt, lektoriert, entwickelt Projekte.

3 Kommentare

  1. Es ist wie es ist! Leider haben Menschen, die glauben ihr literarisches Niveau dadurch beweisen zu müssen, dass noch nicht einmal sie selbst ihre Gedichte verstehen, die Lyrik an die Wand gefahren. Erich Fried, Heinz Kahlau und Walter H. Fritz sind Ausnahmen. Doch auch sie leiden unter der Unlust des breiten Publikums, zu dem ich mich zähle, Lyrik zeitgenössischer Autoren zu konsumieren.
    Nur ein Vorschlag für alle, die so eitel sind wie ich und wissen, dass sich ihre Lyrik nicht verkauft: Eine Webseite mit eigenen Gedichten kostet nicht viel Geld und lässt sich schön mit Fotos hinterlegen. Ich habe es versucht, obgleich ich sicher bin, dass die Seite von keiner … äh … aufgerufen wird.

  2. Ja, das ist eine Idee, die anderen bringen ihre Gedichte in Kleinverlagen heraus oder stellen sie auf Literaturfestivals vor, wo es in Wien relativ viele gibt. Es gibt auch im März einen Tag der Lyrik mit speziellen Veranstaltungen und auch einem speziellen Folder!

  3. Hallo Peter Hakenjos,

    hab gerade Ihre Webseite angeschaut, sehr schön, tief empfunden – und die Bilder sind auch sehenswert. Man muss eben seine literarische Arbeit selbst mit gewissen Maßnahmen unterstützen.

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