Gut eine Woche vor Beginn der »39. Tage der deutschsprachigen Literatur« (#TDDL) sind am 22. Juni die Videoporträts der Autorinnen und Autoren online gestellt worden, die in diesem Jahr in Klagenfurt lesen werden. Bis auf Ronja von Rönne und Peter Truschner haben alle KandidatInnen geliefert. Ob die beiden in Berlin lebenden Autoren noch eine visuelle Visitenkarte nachreichen werden, ist nicht bekannt. Wenden wir uns einstweilen dem zu, was bekannt ist. Lässt man die AutorInnen-Porträts in einem Rutsch Revue passieren, fällt – zumal im Vergleich zu früheren Bachmannpreis-Jahrgängen – Folgendes auf: Niemand geht durch Berlin, zeigt sich am Schreibtisch, spricht über literarische Vorbilder, fährt auf Rolltreppen oder lässt Manuskriptseiten fliegen. Ein Großteil der Videoclips ist konzeptionell und filmtechnisch sehr ambitioniert, was seinen Grund darin haben könnte, dass einige der WettbewerbsteilnehmerInnen nicht nur aus der schreibenden Zunft, sondern auch aus anderen Kunstbereichen – Fotografie, Schauspiel, Malerei – kommen. Des Weiteren ist festzustellen, dass die Aufgabe, sich selbst vorzustellen, meistenteils nicht bierernst angegangen wurde. Die Präsentationen sind weitgehend ironisch gebrochen, ohne klamaukig zu sein.
Anna Baar hebt darauf ab, dass sie ein „Mutterland“ (die kroatische Insel Brač, auf der sie sich jenseits von Urlaubskatalogsimpressionen hat filmen lassen) und ein „Vaterland“ (Wien, Kärnten) hat. Zweisprachig und in zwei Heimaten aufgewachsen, ist ihr zum einen die Erfahrung vertraut, dass wenn in der einen Sprache ein Wort fehlt, es die andere bereithält. Zum anderen ist ihr die Erfahrung der „doppelten Heimat“ immer auch eine Erfahrung des „doppelten Fremdseins“, ein Problem der Zugehörigkeit, das sie letztlich auf die Rolle des Zaungastes verweist: „Aber ich bin lieber Zaungast, vom Zaun aus sieht man immer gut.“ Als Schreibmaxime mag hier gelten: „Menschen interessieren mich am meisten, wenn sie sich unbeobachtet glauben, wenn sie das tun, was man eigentlich nur heimlich tut, wenn man es überhaupt tut.“ Huuh, möchte man meinen und sich wundern, will aber zugunsten der Autorin erstmal nicht vom Schlimmsten ausgehen.
Voyerismus bis hin zum Stalking könnte man auch Sven Recker als Schreibmaxime unterstellen. Sein Videoclip zeigt eine dürftig ausgeleuchtete Nachtfahrt entlang von Häuserblocks. Die Kamera fängt von Ferne Zimmer ein, in denen noch Licht brennt. Nichts Genaues erkennt man, denkt aber stets: Hoffentlich fährt vor meinem Fenster nicht so ein Beobachter rum, vielleicht sollte ich besser die Rolladen runterlassen. Schemenhaft sind einzelne Personen in den von Gelsenkirchenerbarockwohnzimmerlampen erleuchteten Räumen sichtbar. Ob da jetzt gleich irgendwo ein Mord passiert? Klar erkennbar ist lediglich ein Raum, in dem Schaufenster- bzw. Perückenköpfe in einem Regal aufgereiht sind. Was will uns das sagen?
Doris Brockmann
ist (bzw. war) passionierte Fernsehstudentin der »Tage der deutschsprachigen Literatur«. Bis 2013 bloggte und twitterte sie über den Bachmannpreis immer im angenehm kühlen Arbeitszimmer, 2014 war sie erstmals live im aufgeheizten Klagenfurt dabei, um sich mal alles vor Ort anzuschauen. 2017 wird sie zum vierten Mal nach Kärnten reisen. Ansonsten widmet sie sich der angewandten Schriftstellerei im Dienste der Alltagsbeobachtung auf
walk-the-lines.de
Doris Brockmann