
Liegestühle mit fehlenden Beinen und ein groteskes Metronom: Die neuen Thomas-Mann-Cover bei S. Fischer stammen von der KI. Der Traditionsverlag geht offensiv mit dem Thema um – und zeigt, wie tief der Widerspruch in den Verlagen reicht.
Die KI zaubert auf dem Berg
Die neue Thomas-Mann-Ausgabe bei S. Fischer wirkt modern, atmosphärisch – und irgendwie seltsam. Bei genauem Hinsehen fällt auf: Den Liegestühlen auf dem »Zauberberg« fehlen einige Beine. Auf »Doktor Faustus« thront ein Metronom, das jedem Flügel die Show stiehlt. Der Verdacht liegt nahe – und wird bestätigt: Die Cover stammen von der Bild-KI Midjourney.
Was andere Verlage verschweigen oder verschämt korrigieren, kommuniziert S. Fischer offen. Ein Tabubruch mit Ansage?
30 Dollar statt 300 Euro: Die neue Coverökonomie
Ein professionell gestaltetes Buchcover kann drei- bis vierstellige Beträge kosten. Midjourney, das bevorzugte Werkzeug vieler Designer, kommt im Monatsabo auf etwa 30 bis 60 Dollar – je nach Lizenz. Dazu kommen: keine Skizzen, keine Recherche in Bilddatenbanken, keine E-Mails an Illustratoren, keine Diskussionen mit den Kreativen. Bildbeschreibung eintippen, Bild abholen, fertig. Ein Prozess, der früher Tage dauern konnte, schrumpft auf Minuten zusammen.
Für Verlage ist das nicht nur verführerisch, sondern betriebswirtschaftlich plausibel. Zumindest, wenn man gestalterische Schwächen und ethische Fragen ausklammert.
Illustrator gesucht? Vielleicht später

Für die Thomas-Mann-Cover beauftragte S. Fischer seine langjährige Agentur Kosmos Design. Diese erklärt ihre Wahl der künstlichen Kreativität auf der Website des Verlags offen: KI ermögliche es, sich intensiver mit »Motiv, Komposition und Stil« auseinanderzusetzen – anders als bei einer klassischen Bildrecherche. Man gehe mit mehr »qualitativer Eigenleistung« an die Sache heran.
Eine sicherlich zu diskutierende Definition von Eigenleistung, wenn der zentrale visuelle Impuls von einem neuronalen Netz stammt, das auf Millionen von Bildern basiert – meist ohne Zustimmung der Urheber.
Zudem zeigt sich an den Covern das, was viele an der KI kritisieren: Sie schafft nichts Neues, sondern arbeitet bei Texten oft mit Phrasen und bei Bildern mit erwartbaren Motiven. Liegestühle in den Bergen für den Zauberberg und die Buddenbrooks am Meer. Die KI ist bei den Cover-Motiven alles andere als kreativ. Man(n) würde sagen: einfallslos.
Das Problem mit den fehlenden Beinen
Die Ergebnisse der Covergestaltung zeigen deutlich, wo die KI scheitert. Journalist Quentin Lichtblau hat die Thomas-Mann-Reihe genau unter die Lupe genommen. Sein Ergebnis: Bunte Bildkompositionen mit physikalischen Absurditäten. KI versteht keine Inhalte. Sie rekombiniert Muster. Früher entstanden Hände mit sechs Fingern, jetzt sind es Liegestühle mit fehlenden Beinen.
Doch das scheint S. Fischer nicht zu stören. Im Gegenteil: Der Verlag macht aus der Not eine Tugend und verkauft die teils absurden maschinell erstellten Bildwelten als gestalterische Entscheidung.
Von Heimlichtuerei zur PR-Strategie
Der Heyne Verlag hingegen verneinte im März 2024 die KI-Erstellung des Covers zu Christopher Paolinis »Murtagh« vehement – obwohl Bildanalysen Gegenteiliges nahelegten.
Der Oetinger Verlag hatte im Herbst 2024 die Mitjourney-Nutzung für Kirsten Boies »Skogland brennt« im Impressum erwähnt – und verkündete nach öffentlichem Protest, künftig darauf zu verzichten (Auf die Nutzung, nicht die Nennung). S. Fischer wählt den dritten Weg: Transparenz ohne Reue.
Die Branchenstrategie wandelt sich offenbar. Was früher als peinlicher Fauxpas und Ausbooten der Kreativen galt, wird heute als mutige Designentscheidung verkauft.
KI ja – aber bitte nicht beim Text
Ein Blick ins Impressum der Bücher offenbart eine doppelte Moral: Die Nutzung der Texte als Trainingsmaterial für KI ist ausdrücklich untersagt. Doch für die Cover kommt just jene Technologie zum Einsatz, deren Existenz auf genau dieser Art Training beruht.
Dass ein Verlag einerseits seine Inhalte vor maschinellem Zugriff schützen möchte, andererseits aber selbst die maschinelle Verarbeitung fremder Werke nutzt – das birgt einen gewissen Widerspruch in sich.
Rechtliche Grauzone mit Marketingpotenzial
Juristisch ist die Lage ebenfalls weiterhin unklar. In den USA laufen bereits Sammelklagen gegen KI-Unternehmen wegen Urheberrechtsverletzung. In Deutschland wird es wohl noch Jahre dauern, bis die Gerichte sich sortiert haben.
Spannend ist auch die Frage, ob KI-generierte Cover überhaupt urheberrechtlich geschützt sind – oder ob jeder die Motive einfach übernehmen darf. Falls Letzteres zutrifft, könnte jeder im kommenden Jahr die Cover-Motive für eigene Thomas-Mann-Ausgaben verwenden, denn die Texte Manns unterliegen ab 2026 – 70 Jahre nach dem Tod des Nobelpreisträgers – nicht mehr dem urheberrechtlichen Schutz. Das mag ein weiterer Grund für die offene Kommunikation sein: Man betont, dass an den Bilddaten von Midjourney noch viel von Menschenhand gearbeitet wurde. So genießen die finalen Cover wieder urheberrechtlichen Schutz.
Ein Signal – mit Nebengeräuschen
S. Fischer setzt ein Signal: KI ist angekommen – auch in der Hochliteratur. Zumindest auf dem Cover. Der Verlag macht kein Geheimnis daraus und bricht damit offen ein unausgesprochenes Tabu.
Doch das Signal ist mehrdeutig. Die offensiv präsentierte Gestaltungsentscheidung wirkt im Kontext der Ästhetik und der juristischen Grauzonen wie ein Drahtseilakt. Ob sich andere Verlage anschließen, wird von der Reaktion des Buchhandels und der Leserinnen und Leser abhängen. Oder der Gewöhnung.
Bis dahin gilt: Der Zauberberg ist wieder da – mit besonderen Liegestühlen und digitaler Aura. Ob das Thomas Mann gefallen hätte? Aber die KI kennt kein Vermächtnis. Nur Prompts.
Das das angebliche KI Cover vom Heyne drin habt… Was ist mit eurer Quality Ashurance passiert? Es weiß doch jeder, das dieser Drachenkopf geklaut ist.
Geklaut? Gibt es da Quellen? Unser letzter Stand in der Sache ist, dass Heyne sich darauf berief, das Bild von der Bilddatenbank Shutterstock erworben zu haben, die eigentlich keine KI generierten Bilder zulässt. Beim Drachenkopf hat aber offenbar die Überprüfung versagt bzw. der »Künstler« hat nicht angegeben, dass es KI-generierte Bilder sind.
Shutterstock ist kein Beweis für „nicht geklaut“.
Der Drachenkopf ist kein Bild im Sinn von Scan oder Foto, es ist ein SVG. Ich kenne es aus einem Forum, das sich mit Hilfestellung rund um „Zeichnen mit dem Computer“ besfasst. Diese SVG ist schon sehr alt. Daher wird sich ein härterer Hinweis auf die tatsächliche Herkunft nicht so leicht auftreiben lassen. Das der Heyne sowas nicht selbst her stellt um solche Probleme zu vermeiden…
„Früher entstanden Hände mit fünf Fingern, jetzt sind es Liegestühle mit fehlenden Beinen.“
Ich habe jetzt zur Sicherheit ein paar Mal nachgezählt: Hände mit fünf Fingern sind nicht ganz unüblich – oder bin ich jetzt auch schon KI-bearbeitet?
Stimmt! Genau gelesen, danke. Wir fügen gleich noch einen Finger hinzu.