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Das neue Literarische Quartett – Zack, zack, zack, zack!

Das Literariche Quartett 2015 (Bild: ZDF)
Das Literariche Quartett 2015 (Bild: ZDF)

»Konflikt! Konflikt! Konflikt!«, lautet in Schreibseminaren oft die Vorgabe, die ein Buch interessant und lesenswert macht. Diese Vorgabe scheint man offenbar auch den vier Diskutanten der Neuauflage des Literarischen Quartetts gegeben zu haben. »Sonst könnte es irre langweilig werden«, sagte Volker Weidermann. Eine knappe Dreiviertelstunde stritt man sich. Aber über was eigentlich?

Vom 25. März 1988 bis zum 14. Dezember 2001 gab es im ZDF eine Literatursendung, dessen Bedingungen damals Marcel Reich-Ranicki den Fernsehverantwortlichen diktierte, als diese ihn fragten, ob er eine Literatursendung moderieren wolle:

In dieser Sendung, sagte ich, dürfe es keinerlei Bild- oder Filmeinblendungen geben, keine Lieder oder Chansons, keine Szenen aus Romanen, keine Schriftsteller, die aus ihren Werken vorläsen oder, in einem Park spazierengehend, diese Werke gütig erklärten. Auf dem Bildschirm sollten ausschließlich jene vier Personen zu sehen sein, die sich über Bücher äußern und, wie zu erwarten, auch streiten würden. Nur wer das Fernsehen kennt, weiß, was die beiden Herren [vom ZDF] gelitten haben. Denn das oberste, das heilige Gesetz des Fernsehens ist die fortwährenden Dominanz des Visuellen.

Marcel Reich-Ranicki, Mein Leben

Und so geschah es. In diesem Quartett gab es eine Stammbesetzung von drei Literaturkritikern РMarcel Reich-Ranicki, Sigrid L̦ffler und Hellmuth Karasek Рund jeweils einen wechselnden Gast. Als sich Sigrid L̦ffler am 30. Juni 2000 mehr oder weniger vor laufender Kamera mit Marcel Reich-Ranicki zerstritt und ausstieg, wurde sie durch Iris Radisch ersetzt.

Ergänzung: In den ersten Sendungen hatte das Quartett noch eine feste Besetzung. Zum Gründerkreis gehörte Jörg Jürgen Busche (damals bei der Hamburger Morgenpost), der in den ersten fünf Sendungen bis Juni 1989 mit dabei war. Auf ihn folgte für nur zwei Ausgaben Klara Obermüller von der NZZ (Das war im übrigen die Journalistin, bei der sich später Karl-Theodor zu Guttenberg für seine plagiierte Doktorarbeit bediente.) Der Autor Jurek Becker war dann im Februar 1990 der erste der wechselnden Gäste.

Vierzehn Jahre nach der letzten Sendung wagt das ZDF am 2. Oktober 2015 eine Neuauflage des Literarischen Quartetts. Und obwohl die Dominanz des Visuellen seitdem stetig zugenommen hat, bleibt Reich-Ranickis Konzeption bestehen. Auf der Bühne sitzen nun als (geplante) feste Besetzung Volker Weidermann, Christine Westermann und Maxim Biller. Der Gast an diesem Abend war Juli Zeh.

Doch erste Eingeständnisse an die beschleunigte Zeit hatte man bereits gemacht: Im »alten« Quartett wurden in der Regel fünf Bücher in 75 Minuten besprochen, also im Schnitt in 15 Minuten ein Buch. Im »neuen« Quartett waren es vier Bücher in 45 Minuten, also 11 Minuten pro Buch.

Und nun zum nächsten Titel und nun zum nächsten Titel und nun zum nächsten Titel – und schon war die Sendung um. Sie war dominiert vom gehetzten Zank der Protagonisten – und einer unglaublich schnellen Schnittfolge. Kein Bild blieb länger als 3 Sekunden stehen, und wenn doch, dann war es das bewegte Bild vom Kamerakran. Die Dominanz des Visuellen bestand im ständig wechselnden Kamerablick. Keine Ruhe, nirgends.

Zack, zack, zack, zack! schien das Motto der Sendung zu sein. Anders als Reich-Ranicki war Weidermann nicht der dominante Diskussionsleiter. Das muss nicht schlechter sein, doch es fehlte der Runde der bestimmbare Pol, der das viele Gesagte mit Zäsuren versieht. Hinzu kam, dass die besprochenen Titel nur kurz genannt und eingeblendet wurden. Gerade hier wäre es als Zugeständnis an die geänderten Sehgewohnheiten sinnvoll gewesen, den eben besprochenen Titel länger oder gar dauerhaft einzublenden. Selbst im »alten« Quartett kreiste die Kamera hin und wieder zur Erinnerung um das besprochene Buch. Wer parallel twittert – und #LiterarischesQuartett war am Freitagabend tatsächlich der populärste Hashtag in Twitterdeutschland – konnte da schon mal den Anschluss verlieren, weil die besprochenen Bücher nicht unbedingt die bekanntesten waren. Da drei der vier Titel Ãœbersetzungen waren, hätte man zudem Ãœbersetzerin oder Ãœbersetzer nennen können. Nachtrag: Die Ãœbersetzer waren in der Titeleinblendung zu sehen. Zudem werden Sie auf der Website zu Sendung genannt.

Was das Zack-zack-zack der Sendung ebenfalls verstärkte, war die Art der ruhelosen Diskussion. Gemäß der scheinbaren Konfliktvorgabe schien sich jede und jeder der Diskutanten etwas rausgesucht zu haben, was er oder sie an dem Buch doof findet. Mal war es der »Holocaustkitsch«, mal die Sprachbilder, mal die vermuteten Afrikaklischees. Sobald der jeweilige »Buchpate« der Runde das Werk kurz vorgestellt hatte, durften die anderen dann all ihre Kritikpunkte reichlich unsortiert ausschütten. Dass Christine Westermann z. B. alberne Umschreibungen wie Drahtesel für Fahrrad oder milchig-weiße Flüssigkeit für Rotz bemängelte, mag richtig und angebracht sein, dass sie dies jedoch der Übersetzung anlastete, war Unsinn. Überaus schlecht beraten war Juli Zeh, dass sie ausgerechnet das Buch ihres Freundes und gelegentlichen Co-Autors Ilija Trojanow vorstellte, ohne dass dieser Umstand irgendwie thematisiert wurde. Die anderen drei fanden das Buch doof, wurden dann persönlich, und Biller bescheinigte, dass Trojnow ohnehin kein guter literarischer Autor sei. Da wurde die Diskussion dann zu persönlich, und Zeh blieb nur der trotzige Ausruf, dass sie das Buch dennoch ganz toll fand.

Maxim Biller, der Bad-Boy der Literaturszene, gab auch auf dieser Bühne den Unsympath und versuchte sich in Bestimmtheit und im Ins-Wort-Fallen am Gehabe Reich-Ranickis, was jedoch ein Versuch bleiben sollte. Biller macht ohnehin den Eindruck, als sitze er nur da, um seine Meinung abzugeben und keine andere Meinung aufzunehmen. Konflikt! Konflikt! Konflikt! Ähnlich agierte auch Westermann, die jedoch eher schwieg, als nochmals und lauter auf der eigenen Meinung zu beharren.

So blieb zurück, dass sich die vier zankten um des Zankens und nicht um der Bücher willen. Auch wenn die Teilnehmer des »alten« Quartetts gegenteiliger Meinung waren, wirkten sie dennoch wie ein Team, während die vier Neuen nach der ersten Sendung wie  Einzelkämpfer daherkommen, von denen man sich gar nicht vorstellen kann, dass es die Drei der Stammbesetzung länger als ein halbes Jahr miteinander aushalten werden. Vielleicht mag es auch daran liegen, dass man ihnen nicht unbedingt eine Freude am Diskurs anmerkte. Vielleicht aber auch daran, dass sie allzu sehr nach Rollen besetzt sind (der unsympathische Biller, die gefühlvolle Westermann, der eitle Weidermann).

Denn im »Konflikt! Konflikt! Konflikt!«-Credo fiel kaum einmal Lob ab. Will man tatsächlich eines der besprochenen Bücher lesen? Irgendwie blieb zurück, dass keines davon gut und lesenswert sei. Wo seinerzeit Elke Heidenreich Bücher nur lobte, war im Quartett zu viel Kritik. Sind dafür nicht 45 Minuten zu schade?

Warten wir die nächste Sendung ab, die am 6. November 2015 folgt, sofern überhaupt noch interessiert, was da vier Menschen auf der Bühne über Bücher sagen.

Wolfgang Tischer

Link ins Web:

Die in der ersten Sendung besprochenen Bücher:

  • Chigozie Obioma; Nicolai von Schweder-Schreiner (Ãœbersetzung): Der dunkle Fluss: Roman. Gebundene Ausgabe. 2015. Aufbau Verlag. ISBN/EAN: 9783351035921
  • Ilija Trojanow: Macht und Widerstand: Roman. Gebundene Ausgabe. 2015. S. FISCHER. ISBN/EAN: 9783100024633. 14,50 €  Â» Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
  • Karl Ove KnausgÃ¥rd; Paul Berf (Ãœbersetzung): Träumen: Roman (Das autobiographische Projekt, Band 5). Gebundene Ausgabe. 2015. Luchterhand Literaturverlag. ISBN/EAN: 9783630874142. 24,99 €  Â» Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
  • Péter Gárdos; Timea Tankó (Ãœbersetzung): Fieber am Morgen: Roman. Gebundene Ausgabe. 2015. HOFFMANN UND CAMPE VERLAG GmbH. ISBN/EAN: 9783455405576. 8,00 €  Â» Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

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11 Kommentare

  1. Also ich hab es wieder okay gefunden, die Kritiker, vor allem der Herr Biller haben zwar wieder über das Korn geschoßen, alles besser gewußt und das Supertativ draufgeklescht, ich bin auch der Meinung, daß “Macht und Widerstand” ein gut aus den Akten recherchierter Roman ist und würde Herrn Troanow genauso, wie Herrn Weigel und Herrn Torberg für eher “mittelmäßige, durchschnittliche” Schriftsteller halten, die halt im Literaturbetrieb sehr präsent sind oder waren, die Ausdrücke, wie “schlechter Schriftsteller”, etc würde ich mir aber verkneifen, aber wahrscheinlich denken diese Kritiker fürs Fernsehen muß man übertreiben.
    Ich habe schon Kritiken gelesen, welch fürchterliche Sendung das war, finde ich nicht, war abgesehen, von den erwähnten Einwänden, eine glatte, informative Sendung, interessante Bücher und zu dem Herrn Knausgard habe ich auch noch nicht gefunden

  2. Das Literarische Quartett hatte zunächst durchaus eine Stammbesetzung. Der vierte Mann war Jürgen Busche, der aber nach wenigen Sendungen bereits das Quartett verliess. Ersetzt wurde er durch Klara Obermüller, die aber auch nicht lange durchhielt. Erst ab 1990 gab es die wechselnden Gäste

  3. Zum Einwand, die Übersetzer seien nicht genannt worden: das stimmt so nicht. Bei den Einblendungen der besprochenen Bücher war unten rechts jeweils der Name des Übersetzers zu lesen.

  4. Das Literarische Quartett war ein brillantes Format und Konzept: Ein feinsinniger Gedanken-Liberaler, eine bürgerliche Pädagogin, weiblich, ohne Kinder (Merkel mit humanistischer Bildung) und ein allzeit konfliktsuchender „Fremder“ (nach Georg Simmel) – der neben und über den beiden anderen und damit der akademischen Bildungselite steht.

    Die Kopie klappt aber nicht! Weder funktioniert die Verkürzung, der Kompromiss zwischen einem Literarischen Quartett und keinem Literarischen Quartett, noch die Neubesetzung vom Reißbrett.

    Biller als Quoten-Ersatz Marcel Reich-Ranickis?
    Ausgerechnet Berufsrandalierer Biller – der elitäre Hasser aller, über die er sich erhaben fühlt: Ostdeutsche, der „einfache Mann“ und und und. Maxim Biller ist zweifellos der chronische „Fremde“ – das ist sein selbst gepflegtes Aushängeschild. MRR war jegliches elitäres Denken fremd. Er war ein Freund alles Menschlichen. Biller hingegen ist Freund von nichts und niemandes!

    Hat es sich gelohnt? – ja, Juli Zeh war da!

  5. Als eine, die am Literaturumtrieb nicht teilnimmt, hab ich dennoch gelegentlich das alte LitQuartett gerne gesenen.

    Sehr zufällig zappte ich dann kürzlich in die Neuauflage bzw. Version 2.0. Und siehe da: es hat mir gefallen! Die Beschleunigung, das Kontroverse – genau richtig im Jahr 2015, in den Zeiten von Böhmermann und HeuteShow.
    Kann mir aber denken, dass für viele immer schon Literatur-Affine das Neue gewöhnungsbedürftig ist – für Eben-mal-Reinschauende aber top!

  6. Sie wolle mit der Neuauflage des des “Literarischen Quartett” den Menschen “die Angst vorm Lesen” nehmen, verlautbarte Frau Westermann lt. einem Zeitungsartikel zu der Sendung. Ob dieses Ansinnen gelungen ist, mag ich bezweifeln. Noch mehr bezweifle ich, dass es überhaupt ein sinnvolles Ansinnen war. Das Ansinnen, “Lust auf ein Buch” zu machen, wäre besser gewesen.
    Aber so oder so macht diese Sendung bestimmt keine Lust auf auch nur eines der vorgestellten Bücher.
    Biller ging mir mit seinem konsequenten “ich geb mal den Ranicki” auf die Nerven, Westermann hat wenig Essentielles von sich gegeben, Frau Zeh war nett und an den vierten im Bunde kann ich mich kaum noch erinnern.
    Erinnern kann ich mich aber gut, dass ich nach der Sendung überlegt habe, wofür sie denn gut gewesen sein könnte. Leider ist mir nichts eingefallen, denn zu keinem der Bücher gab es außer völlig subjektiven Ansichten (die auch Otto Normalleser nicht schlechter hätte formulieren können) keinerlei intereressante geschweige denn aussagekräftige Informationen.
    Ansonsten gilt auch für mich der Schlusssatz von Wolfgang Tischer. Alles in allem: eine Sendung für die Katz. Und bekanntermaßen lesen Katzen keine Bücher …

  7. Zwei Urgesteine schauen von oben auf dieses neue literarische Quartett herab….. Eine Sendung, einzigartig beim Fernsehen, die sich über knapp anderthalb Jahrzehnte einen festen Platz beim Publikum erobert hatte, ja berühmt wurde, kann man nicht einfach so weiterführen. Man muss ihren innersten Sinn begreifen und aufzunehmen verstehen: Begeisterung, Freude am Buch, Selbstbewusstsein,Esprit, Geist und kesse Streitlust. Und einer muss da sein, der sich hinsetzt und sagt: hier bin ich, ich habe was zu sagen und Ihr habt erst mal zuzuhören – und im letzten Moment auch selbst zuzuhören. Das Publikum mitzureissen und es vertehen dieses zu begeistern. Es kann also nur besser werden – frisch und munter bitte!

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