StartseiteLiterarisches LebenRede: Warum man in der Schule das Schreiben nicht lernt

Rede: Warum man in der Schule das Schreiben nicht lernt

Kloster ObermachtalIm barocken Spiegelsaal der Klosteranlage Obermachtal auf der Schwäbischen Alb wurden gestern, am 15. Juli 2010, die Gewinnerinnen und Gewinner des 1. Schreibwettbewerbs der Stiftung Katholische Freie Schule der Diözese Rottenburg-Stuttgart bekannt gegeben. »Reisen« lautete das Thema zu dem 27 Schulen insgesamt 76 Prosa-Texte eingereicht hatten. In vier Altersgruppen wurden je drei Preise überreicht, zudem vergab die Jury einen Sonderpreis. Über 100 Schüler, Lehrer, Eltern und Gäste waren bei der Preisverleihung dabei.

Das literaturcafe.de unterstützte den Schreibwettbewerb als Sponsor, und Herausgeber Wolfgang Tischer war Mitglied der fünfköpfigen Jury.

In seiner Rede als Jurysprecher fasste Tischer die Arbeit der Preisrichter zusammen und berichtete von persönlichen Eindrücken. Zwischen dem Schreiben, wie man es in der Schule gelehrt bekomme und dem Schreiben, wie es später in speziellen literarischen Schreibschulen vermittelt werde, bestehe durchaus ein großer Unterschied, so Tischer.

Nicht alles, was man in der Schule lernt, ist fürs literarische Schreiben optimal.

Liebe Autorinnen und Autoren des ersten Literaturwettbewerbs,
liebe Schülerinnen und Schüler,
liebe Eltern, liebe Lehrerinnen und Lehrer,
verehrte Anwesende,

als Herausgeber der Website literaturcafe.de habe ich beruflich viel mit guter und schlechter Literatur zu tun – und mit der Frage, wie man das eine vom anderen unterscheidet.

Über die Einladung, bei der Jury eines Schreibwettbewerbs für Kinder und Jugendliche dabei zu sein, habe ich mich sehr gefreut, konnte ich doch so Einblicke in Textwelten gewinnen, mit denen ich ansonsten eher weniger konfrontiert bin.

Als Betreiber eines virtuellen literaturcafe.de hatte es fast schon etwas Nostalgisches, die Texte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgedruckt per Post zugeschickt zu bekommen, einige davon sogar als Kopien handschriftlich niedergeschriebener Werke. Und die Jury traf sich persönlich, um die Gewinner zu ermitteln und urteilte nicht via Web-Voting oder per Skype-Konferenz. Dass das Treffen hinter kühlen Klostermauern stattfand, war angesichts des herrschenden Wetters optimal; dass die Jury sogar im ehemaligen Gerichtssaal tagte, dem Anlass angemessen. Es hatte seinen Reiz, die eigenen Text-Favoriten gegen Einwände zu verteidigen, hoch her ging es bei der Sitzung selten, rasch zeichneten sich die Favoriten ab.

Preisverleihung des Literaturwettbewerbs im barocken Spiegelsaal des Klosters ObermachtalGleich zu Beginn der Jury-Sitzung zeigte jedoch der quantitative Blick auf die eingereichten Texte, dass die drei in der Ausschreibung festgelegten Altersstufen nicht optimal waren, sodass diese in vier aufgeteilt wurden, um Chancengleichheit herzustellen, was der Jury die qualitative Bewertung erleichterte – und für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Schreibwettbewerb den angenehmen Nebeneffekt hat, dass nicht nur 9, sondern 12 Preise vergeben werden konnten, wobei: eigentlich sind es 13, was in diesem Fall sogar eine Glückszahl ist – aber dazu komme ich gleich.

Ich hatte es eingangs erwähnt: Für mich persönlich gab es Einblicke in einen Bereich, mit dem ich sonst weniger zu tun habe. Ich musste feststellen, wie sehr doch oftmals das Schreiben, das man in der Schule lehrt und lernt, im Gegensatz zum literarischen Schreiben steht.

Denke ich an meine Schulzeit zurück, dann fällt mir vor allen Dingen die Erörterung ein, die den Deutschunterricht geprägt hat. Von einem befreundeten Deutschlehrer höre ich, dass die Erörterung nicht mehr dir gleiche dominierende Rolle spielt wie damals und dass insbesondere im Zuge der G8-Reform leider auch im Deutschunterricht die bloße Faktenvermittlung zunimmt. Letzteres verbindet man doch eher mit dem Geschichtsunterricht. Wann starb Goethe und wie alt wurde er?

Geht es um Beschreibungen und Fantasie, muss man gedanklich fast zurück in die Grundschulzeit, als man sich Aufsatzthemen wie »Mein schönstes Ferienerlebnis« stellen musste – im Übrigen dem heutigen Wettbewerbsthema nicht unähnlich.

Damals galt es, möglichst genau und präzise zu beschreiben und nichts auszulassen. Der Schüler bekam die Funktionen des Adjektivs und Adverbs erklärt und nutzte sie fortan fleißig.

Später jedoch – in den professionellen Schreibkursen und Schreibschulen für angehende Schriftsteller – bekommt man gelehrt, dass man nicht alles bis ins kleinste Detail beschreiben und sprachlich auswalzen sollte. Ein guter Text zeichnet sich dadurch aus, dass er dem Leser Freiräume lässt. Und ein adjektiv-verseuchter Text ist ohnehin unerträglich.

Geht es um Emotionen, so sollten diese nicht beschrieben, sondern im Handeln und in der mündlichen Rede des Protagonisten gezeigt werden. »Show, don’t tell« lautet später der wichtigste Grundsatz für Autoren. »Zeig’s, aber laber nicht rum« könnte man ihn etwas salopper im Deutschen wiedergeben.

Überhaupt ist es mit dem »Labern« und mit der wörtlichen Rede so eine Sache: Verwendet die Schülerin zweimal kurz hintereinander in den Dialogpassagen ein »sagte sie« oder »sagte er«, so zückt die Lehrerin den Rotstift, malt Schlangenlinien darunter und ein W an den Rand des Schulhefts. Es gibt doch so wunderbare Verben, die die menschliche Kommunikation viel plastischer erscheinen lassen. Künftig wird also geflüstert, gebrüllt, geraunt, gestottert und genuschelt und – mein Favorit – laut erleichtert aufgelacht.

Lesen Sie mal einen Krimi von Richard Stark. Mehr als ein »sagte er« werden Sie da nicht finden – wenn überhaupt. Im Idealfall, so heißt es später in den Schreiblehrgängen, kommt ein guter Dialog ganz ohne »verbale« Lautmalerei aus.

Zur Preisverleihung des Literaturwettbewerbs der Stiftung Katholische Freie SchuleDamit Sie mich nicht falsch verstehen: Erörterungen schulen ohne Frage das sprachliche Ausdrucksvermögen. Genau zu beobachten und detailliert zu beschreiben kann im späteren Leben bei einem Schadensbericht für die Versicherung helfen, und man kann nie genügend Synonyme im aktiven Wortschatz beherbergen.

Doch wann was sinnvoll eingesetzt wird: der Blick darauf könnte im Deutschunterricht nicht schaden. Nicht, damit später die Verlage mit noch mehr Manuskripten von Möchtegern-Schriftstellern überschüttet werden, nein, das Wissen um die Qualität eines Textes kann auch beim Lesen oder beim Buchkauf hilfreich sein.

Ich freue mich daher besonders, dass sich Jury und Veranstalter entschlossen haben, noch einen Sonderpreis beim Schreibwettbewerb »Reisen« zu vergeben. Einen Sonderpreis für einen Text, der ohne Zweifel aus den von mir genannten Gründen und Kriterien aus der Masse herausragt, auch wenn er – wie jeder gute Text – ohne Frage an der ein oder anderen Stelle noch einer Lektorierung bedarf.

Ein Text, der gut und wunderbar selbstironisch erzählt, der dem Leser Freiräume lässt und der das Thema des Wettbewerbs »Reisen« nicht nur in der naheliegenden räumlichen Komponente aufgreift, sondern dem Leser zusätzlich eine gedanklich-körperlich Erlebnistour bietet.

Herzlichen Glückwunsch der Gewinnerin!

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2 Kommentare

  1. Heute braucht es keine Verleger mehr. Schule ist nur Aufbewahrung auif Bewährung, Goethe nur ein professoral wiedergekäutes Muss-Wort.

    Amazon verkauft mehr e-books als Papier. Die Megabitbombe, von Lem prophezeit, vergräbt alles unter Imitationen von Imitationen, Bullshit neben Wahrheit. In den Schulen, lt. Bradbury, immer bessere Leser, Macher, Rechner, Schwimmer, keine Schöpfer und Beurteiler.

    Progamme, die sich selbst schreiben, nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner richten. E-Voting, und doch interessierts niemanden. Alles schon vorbei, alles schon zu spät. Schön, dass irgendwer, das irgendwo irgendwie anders sieht.

    Mikkai

  2. Dass man in der Schule kaum was Nützliches zum literarischen Schreiben lernt, ist richtig. Allerdings hatte ich bei der Beitragsüberschrift gehofft, das hier wäre ein kritischer Beitrag über die Qualität von Schreibschulen und die anschließenden tatsächlichen Veröffentlichungschancen der TeilnehmerInnen. Denn die Erkenntnis, dass man in der Schule das literarische Schreiben nicht lernt, ist im Grunde alt und der Ursprung der modern-kommerziellen Schreibschulen.

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