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Undankbare Susanne Osthoff

Gute Geschichten brauchen eine Dramaturgie. Nur so können Leser und Zuschauer mitfiebern, mitleiden – und sich am Ende hoffentlich über ein Happy-End freuen. Das gilt für “gute” Bücher und Filme, aber auch für die Wirklichkeit. Wenn es denn die Wirklichkeit wäre. Denn auch das, was uns die Medien vorsetzen, egal ob öffentlich-rechtlich oder privat, ist immer auch eine inszenierte Geschichte, die dem Zuschauer oder Zuhörer gefallen sollte. Dazu benötigt man auch immer gute Protagonisten.

Susanne Osthoff ist es ohne Frage. Vielleicht war sie für die Darstellung des Entführungsopfers schon etwas zu alt. Das ist aber nicht weiterer schlimm, denn sie sah immer noch gut aus.

Die Entführung lief medial gesehen spitzenmäßig. Gut, es war ein Fehler, das Videomaterial den Öffentlich-Rechtlichen zu geben. So war immer nur ein Standbild zu sehen. Bei den Privaten wäre das nicht passiert. Dennoch war das Standbild formvollendet: Breitbeinig dastehende Entführer, knieende und gedehmütigte Geiseln und natürlich Waffen im Bild.

Deutschland konnte bangen, beten und zittern. Wir waren Susanne Osthoff. Und insgeheim überlief uns ein wohliger Schauer, dass wir es eben zum Glück nicht waren.

Die Stimme des Volkes sprach mit Gruseln aus, was viele nicht zu denken wagten: “Wird sie geköpft?

Aber nein, sie wurde es nicht. Ein wunderbares Happy-End stand bevor.

Ja und dann? Was passiert dann? Osthoff versaut es uns im letzten Moment! Gerne hätten wir vor dem Fernseher mitgeweint, wenn sich Tocher und Mutter wieder in die Arme fallen.

Doch was macht Susanne Osthoff? Sie entzieht sich den Medien! Will mit dem Medienrummel nichts zu tun haben. Ja darf sie das denn? Haben wir Steuerzahler dafür das Lösegeld bezahlt? Wenn wir das vorher gewusst hätten!

Aber wenigstens die Bild-Zeitung wird es schaffen, Susanne Osthoff aufzuspüren und sie von einem Paparazzi “abschießen” zu lassen. Wenn nicht die Entführer, so verlangen die Medien ihren Kopf.

Dank an Henryk M. Broder für seinen wunderbaren Artikel im SPIEGEL Online:

Jede Performance hat ihre Regeln. Die junge Frau, die zur Miss World erklärt wird, muss überrascht die Hände vors Gesicht schlagen, anfangen zu weinen, und so tun, als habe sie an dem Wettbewerb nur teilgenommen, weil sie als Kind eine Zahnspange tragen musste.

Auch für Geiselnahmen und Geiselbefreiungen gibt es ein festes Ritual, an das sich alle Beteiligten halten.

Die Eltern der Geiseln werden besucht. Geben die nicht genug her, kommen die Nachbarn dran oder Bekannte der Nachbarn oder ehemalige Schulkameraden oder der Zeitungshändler, bei dem die Geisel immer ihre Zeitung gekauft hat.

So weit war alles business as usual. Aber dann kippte die Geschichte, denn die Hauptperson, jene zuerst entführte und dann freigelassene Archäologin Susanne Osthoff, weigerte sich, ihre Rolle zu spielen.

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