»Mein nächster Roman wird wieder etwas dunkler und düsterer werden«, sagte Thomas Glavinic auf der Frankfurter Buchmesse 2007. Er hatte seinerzeit das geschafft, worauf der Protagonist seines Romans Das bin doch ich vergeblich hoffte: Glavinic war auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Das Interessante dabei: Der Protagonist des Romans ist ein reichlich hypochondrisch veranlagter österreichischer Autor mit Namen Thomas Glavinic!
Witziger, selbstironischer und gnadenloser ist wohl noch kein Autor mit sich umgesprungen, wo man doch weiß, dass der durchschnittliche Romanleser grundsätzlich davon ausgeht, dass ein Autor restlos alles, worüber er schreibt, auch selbst erlebt hat.
Bei der Buchpreisjury konnte Glavinic damit punkten, denn die Branche liebt selbstironische Bücher von Autoren über Autoren.
Und jetzt also das neue, das in der Tat wieder etwas dunklere oder muss ich sagen: das wunderbar dunkle neue Buch?
Seit Jahren gibt es in deutschsprachigen Landen keinen wandlungsfähigeren Autor als den in Wien lebenden Thomas Glavinic. Man hat den Eindruck, dass es ihm unbändige Freude bereitet, sich und sein Publikum mit Neuem zu überraschen, obwohl er der Form des Romans treu bleibt.
Diese beeindruckende Wandlungsfähigkeit betrifft nicht nur den Inhalt, sondern vor allen Dingen auch die Sprache seiner Werke. Glavinic lotet aus und experimentiert, ohne unverständlich oder avantgardistisch zu werden. Glavinic bleibt lesbar.
Website thomas-glavinic.de
Zum neuen Roman wurde die Website von Thomas Glavinic komplett neu gestaltet.
Die visuelle und technische Umsetzung wurde komplett vom literaturcafe.de im Auftrag des Hanser Verlags durchgeführt (Web-Design: Tobias Freudenreich).
Als Redaktionssystem im Hintergrund arbeitet WordPress. Obwohl ursprünglich als Blog-Software entworfen, eignet sich WordPress wunderbar als »normales« Content-Management-System. Die Inhalte können direkt vom Hanser Verlag eingestellt und gepflegt werden.
Neben der Website hat der Hanser Verlag zudem eine Facebook-Fansite für Thomas Glavinic eingerichtet. Infos über Facebook-Fansites finden Sie in diesem Artikel.
Zur Website thomas-glavinic.de »
Daher ist er vielleicht auch der erste Schriftsteller, der neben dem Ich-Erzähler den Man-Erzähler erfunden hat, denn sein Roman Wie man leben soll von 2004 ist in diesem Stil verfasst, worauf man feststellen muss, dass man allein dadurch einen ganz eigenen Blick auf den Inhalt gewinnt.
Da ist Der Kameramörder aus dem Jahre 2001. Ein Kriminalroman, der 2002 den Glauser-Krimipreis erhalten hat. Der Bericht eines ungeheuerlichen Verbrechens, dessen gelegentlich unbeholfen wirkende Sprache dem Werk eine zusätzliche irritierende Ebene verleiht.
In seinem neuen Buch, im Leben der Wünsche, kehrt Glavinic zu einer nüchternen und beschreibenden Sprache zurück, die bereits seinen Roman Die Arbeit der Nacht prägte. Aus gutem Grund, denn diesmal ist es wieder der Inhalt der irritiert, der den Leser oftmals stutzen lässt. War da nicht was? Ist da was? Und was ist da?
Alles beginnt wie im Märchen, mit drei Wünschen, die die Hauptperson frei habe. Doch da diese Nachricht nicht unbedingt von einer zauberhaften Fee überbracht wird, zweifelt man auch als Leser an dieser ungeheuerlichen Behauptung. Aber die Erinnerung an diese Begegnung, an diese erste Seite des Romans lässt einen nicht los, denn irgendwann ziehen in der Geschichte die dunklen Schatten auf und sie reißen den Leser mit hinab in die Abgründe, die die Hauptperson erreichen wird.
Erneut schafft es Glavinic grandios und gekonnt, den Leser zu verstören. Ein Happy-End darf man nicht erwarten, denn dieser Roman bietet weitaus mehr.
Wer Glavinics Roman Die Arbeit der Nacht noch nicht kennt, sollte diesen unbedingt nach dem Leben der Wünsche lesen. Ich garantiere Ihnen eine Gänsehaut, die Ihnen kein Horrorroman bieten kann. Und sollten Sie Die Arbeit der Nacht bereits kennen, dann wird Sie dieses zusätzliche merkwürdige Gefühl bereits bei der Lektüre von Das Leben der Wünsche befallen. Und glauben Sie mir: Sie werden froh sein, wenn Sie Die Arbeit der Nacht im Bücherregal greifbar und nicht gerade verlieben haben, denn Sie werden unweigerlich gezwungen sein, bei der Lektüre von Das Leben der Wünsche aufzustehen, um im anderen Roman zu blättern.
Jedes Buch steht natürlich für sich. Und dennoch verbindet diese beiden Werke ein solch furios gespannter Bogen, der obendrein auch noch funktioniert, egal, welches Werk man zuerst liest.
Und während andere nur Kurzgeschichten ineinanderweben, kreiert Glavinic spinnwebengleich ein viel größeres, ein viel interessanteres Netz, in dem er seine Leserinnen und Leser fängt. Seine literarische und stilistische Fertigkeit hat mit diesem Roman, den Sie gerade in den Händen halten, zweifelsohne eine neue Ebene erreicht, wie man sie bei deutschsprachigen Autoren kaum ein zweites Mal finden wird.
Mehr über den Inhalt möchte ich nicht verraten, da ich selbst keine Buchbesprechungen mag, die viel von dem, was kommt, vorwegnehmen.
Im Gegenteil: Gute Romane lassen viele Fragen offen. Und dennoch liegt es nahe, diese dem Autor direkt zu stellen, und theoretisch würde sich dazu auf der diesjährigen Buchmesse sicherlich die Gelegenheit bieten. Aber ich weiß auch, dass ich wahrscheinlich keine Antwort erwarten darf, denn Thomas Glavinic zählt zu den Autoren, die ihre eigenen Werke nicht analysieren und interpretieren wollen, die – sollten sie sich dennoch unvermittelt selbst dabei ertappen – plötzlich im Gespräch innehalten und die weiteren Gedanken dem Leser überlassen. Denn schließlich steht alles im Roman.
Wolfgang Tischer
Thomas Glavinic: Das Leben der Wünsche: Roman. Gebundene Ausgabe. 2009. Carl Hanser. ISBN/EAN: 9783446233904. 22,50 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Anna Katharina Michalski: Wirklichkeit im Werk von Thomas Glavinic: "Der Kameramörder" und "Das Leben der Wünsche" (Beiträge zur Literaturwissenschaft). Kindle Ausgabe. 2011. Akademische Verlagsgemeinschaft München. 17,99 € » Herunterladen bei amazon.de Anzeige
Hinweis: Dieser Text wurde ursprünglich als Einführung für die Lese- und Rezensionsexemplare des Buches Das Leben der Wünsche verfasst, die vor dem Erscheinungstermin an Buchhandel und Presse verschickt wurden. Zusammen mit Thomas Glavinic war Wolfgang Tischer 2006 in Wien unterwegs und produzierte den Podcast zum Roman Die Arbeit der Nacht an den Originalschauplätzen – von Stephansdom bis Prater. Ein Interview mit Thomas Glavinic über Das bin doch ich können Sie im Buchmessepodcast 2007 hören. Und natürlich wird es auch auf der Buchmesse 2009 wieder ein Interview mit Thomas Glavinic zu Das Leben der Wünsche geben, das im literaturcafe.de zu hören sein wird.