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Textkritik: Wie schön sind Augenblick und Aphorismus?

Worin liegt die Schönheit des Seins und der Vergänglichkeit? Und wie schön ist der Aphorismus, den unser Textkritiker Malte Bremer diesmal bespricht?

Über die Schönheit der Zeit

von Hans-Walter Voigt
Textart: Aphorismus
Bewertung: 3 von 5 Brillen

Über die Schönheit der Zeit

Die Schönheit des Augenblicks
liegt in seinem Dahinschwinden,

die des Werdens
in der allfälligen Hoffnung,

die des Seins
in seiner Vergänglichkeit,

und die der Vergänglichkeit
in der Anerkennung dessen, was war.

© 2018 by Hans-Walter Voigt. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Hans Walter Voigt hat sich hier an Aphorismen versucht, wohl dem schwierigsten Bereich der Literatur. Das hat formal durchaus geklappt, als es um die Zeit ging: Um den Augenblick, das Vergehen, das Werden, das Vergehen. Aber inhaltlich überzeugt das nur teilweise. Doch hat es mich zumindest beschäftigt und Vergangenes bzw. Vergessenes wieder hervorgeholt! Dafür gebührt dem Autor Dank!

Die Kritik im Einzelnen

Mmh. Also irgendwie … dann liegt die Schönheit des Augenblicks also in der Vergangenheit. Z. B. in der Erinnerung. Denn Dahinschwinden ist ein Prozess, kann sogar ein sehr langer Prozess sein, der mit einem Augenblick nichts mehr gemein hat. Und wenn der Augenblick dahingeschwunden ist, ist er weg. Aber die Erinnerung bleibt, dass da was Schönes war. Oder auch was Schreckliches. Wir erinnern uns alle an diverse schöne und schreckliche Augenblicke. Insofern bleibt hier ein erheblich Maß an Irritation. zurück

Einverstanden. Wie heißt es doch so schön: »Die Hoffnung stirbt zuletzt.« Oder wie der olle Cicero es ausdrückte: Dum spiro, spero (Solange ich atme, hoffe ich). zurück

Die Schönheit des Seins läge in seiner Vergänglichkeit? Das sieht Ernst Bloch ganz anders: »Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.« Er sieht sie also im Werden. Dem kann ich nur beipflichten. Auch wenn die christlichen Kirchen gar von einem ewigen Leben sprechen, also einem fortlaufenden Leben, einem ohne Anfang und Ende. Da ist nix mit Vergänglichkeit! Wie gut haben es da Buddhisten, die einen Ausstiegsmöglichkeit anstreben aus dem Kreislauf der Wiedergeburt!
Für mich jedenfalls liegt die Schönheit des Seins im Sein. zurück

Die Schönheit der Vergänglichkeit läge darin, dass man anerkennt, was war? Was war denn? Soll man den Historikern glauben? Den Archäologen? Den Holocaust-Leugnern? Den Reichsbürgern? Das ist doch alles bloß Interpretation von angeblichen Fakten! Neeneenee: Die Schönheit der Vergänglichkeit liegt in der Vergänglichkeit, nämlich dass nichts bleibt, sondern alles vergeht. Sogar die Vergänglichkeit. zurück

© 2018 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.