Mittwoch, 19. März 2008. Neben mir am Stuttgarter Flughafen steht die Tanja-Anja einer PR-Agentur. Sie müsse heute Abend in Paris auf diese »scheiß Party«, schreit sie in ihr Mobiltelefon. Kann es sein, dass sie die Party von Paulo Coelho meint? Ausgeschlossen!
Der Bestseller-Autor hat über 100 Leser aus aller Welt zu einer Feier auf ein Boot auf der Seine eingeladen. »Wir hatten heute Mittag noch eine Präsentation bei Hugo Boss«, schreit ihr Begleiter ins Telefon, »und sind jetzt auf dem Weg nach Paris, wo Paulo Coelho eine Party gibt.« Also doch.
Der weitere Wortwechsel bleibt unerfreulich, und ich bin erleichtert, im Flugzeug weiter vorn zu sitzen, zwischen Franzosen, deren Worte ich nicht verstehe. Manchmal ist das gut.
Im Flugzeug lese ich den Anfang von »Der Alchemist«. Es ist Coelhos weltweit mit mehr als 8 Millionen Exemplaren meistverkauftes Buch. Die Tage davor habe ich mich an seinem aktuellen Werk »Die Hexe von Portobello« versucht, doch irgendwie bin ich mit dem Text nicht zurechtgekommen oder der Text nicht mit mir.
Wie die Tanja-Anja bin ich also eigentlich kein Coelho-Leser, aber im Unterschied zu ihr freue ich mich auf die Veranstaltung heute Abend.
Die Flugbegleiterin lacht, als ich auf ihre Frage »Turkey or cheese?« mit einem »Käse, bitte.« antworte. »Falsch eingeschätzt«, sagt sie. Ich sähe eher britisch aus. Damit kann ich leben, my dear.
Warum bin ich also als Nicht-Coelho-Leser auf dem Weg zu seiner Party? Nun, zweifelsohne ist Coelho ein interessanter Mensch, den ich gern kennenlernen möchte. Seine direkte Art, mit seinen Lesern per Internet zu kommunizieren, gefällt mir. Seine Thesen, dass digitale Raubkopien in der Buchbranche den Verkauf der gedruckten Exemplare fördern, sind offen und unkonventionell.
Bildergalerie: Auf dem Weg zu Paulo Coelho
Zu seiner Party im letzten Jahr in Spanien (»In the middle of nowhere«) hatte er 10 Leser aus aller Welt eingeladen. In diesem Jahr sollen es über 100 sein. Und er hat einen zentraleren Ort gewählt: Paris. Coelho selbst ist Brasilianer mit Zweitwohnsitz in Frankreich. Eingeladen hatte er über sein Weblog, MySpace und Facebook. Wer nach Paris kommen will, möge sich melden. Anreise und Unterkunft sind selbst zu organisieren. Er richtet die Party am Sankt-Josefs-Tag aus, dem 19. März. Ich schreibe ihm eine Mail, und keine Woche später ist seine Antwort da: »Great! You are selected to come to my party«. Tage später dann eine weitere Nachricht seiner Mitarbeiterin mit den genauen Daten der Veranstaltung.
Der Landeanflug auf Paris-Charles de Gaulle ist außerordentlich turbulent. Die Kabinenbesatzung hangelt sich nach vorn (»Cabin crew, prepare for landing«). Ein Schlag und die Flugbegleiterin sitzt plötzlich auf dem zuvor noch leeren Platz neben mir. Sie lacht wieder, entschuldigt sich für ihr plötzliches Erscheinen, rappelt sich auf und hangelt sich weiter nach vorn.
Ich liebe den Flughafen Charles de Gaulle mit seiner Architektur, die zeigt, wie man sich in den 70ern des letzten Jahrhunderts die Zukunft vorstellte. Laufbänder, die plötzlich nach oben oder unten weiterführen und surfähnliche Gewichtsverlagerungen erfordern, rot gepunktete Plexiglasröhren und führerlose Shuttlezüge zwischen den Terminals.
Bahn und Metro bringen mich direkt vors Hotel. Das war einfach. Die Rückfahrt könnte schwierig werden. Patrouillierende Soldaten mit Maschinengewehren am Gare du Nord irritieren mich.
Wenn man sein Hotelzimmer erreicht hat – und sei es noch so klein (meines ist ziemlich klein!) – wünscht man sich plötzlich, das Zimmer mindestens 24 Stunden nicht mehr zu verlassen.
Ich lese weiter im »Alchemisten«, entdecke Sätze mit esoterischen Allgemeinplätzen, die mich an einen jüngst gelesenen Bestseller erinnern (»Wenn du etwas ganz fest willst, dann wird das gesamte Universum dazu beitragen, dass du es auch erreichst«). Gewisse Versprechen sind zeitlos und kehren in diese Welt beständig als Buchbestseller zurück. Zumindest lesbar ist der Text. Ich bin neugierig auf die Leute, die ich heute Abend treffen werde. Leserinnen und Leser solcher Texte.
Man sollte eine Stadt am besten zu Fuß erkunden, anstatt sie unterirdisch zu durchkreuzen. Ich laufe in die Richtung, in der ich die Seine vermute, und komme am Centre Pompidou vorbei, einer weiteren Zukunftsvisionen der 70er, dann an der Kirche Notre Dame de Paris, die bei Quasimodo irgendwie größer wirkte. Ich erreiche die Seine. Weiter oben am Flusslauf ist die Ablegestelle des Party-Boots. Ab 19 Uhr 30 wird der Aperitif gereicht, von 20 Uhr 30 bis 23 Uhr 30 wird das Boot auf der Seine entlangfahren. Drei Stunden kein Entkommen. Hoffentlich wird es gut.
Auf Höhe der Pont Neuf ziehen unglaublich schwarze Wolken auf, jeden Moment wird der Regen kommen. Dann ist er da. Ein Satz aus früherer Schüleraustauschzeit fällt mir ein: »Il pleut comme vache qui pisse!« Ich flüchte mich in ein Café zu Café au Lait und Crème brulée, schreibe an diesem Text und blickte auf die Uhr: noch eine Stunde bis zum Aperitif.
Der Regen hat aufgehört, der Milchkaffee ist getrunken, den Eiffelturm werde ich heute zu Fuß nicht mehr erreichen. Es beginnt dunkel zu werden.
Kurz nach 19 Uhr 30. Ich laufe hinunter zur Seine, dorthin wo das Boot liegen soll, auf den das Sankt-Josefs-Fest von Paulo Coelho stattfinden wird.
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Wolfgang Tischer
Ich bin ja eine bekennende Coelho-Verabscheuerin – also, seiner Bücher, ihn persönlich kenne ich nicht; aber seine (Internet)-Aktionen, die Sie in der Vergangenheit schon dokumentiert haben, finde ich bemerkenswert. Ich freue mich auf den 2. Teil des Berichts!
Ãœbrigens: Tolle Fotos und klasse Kommentare!