Mehr Fragen als Antworten
Fünf Tage unterwegs im Heiligen Land im Winter 2004
Von Birgit-Cathrin Duval

Israel - Danger Mines! (Foto: Birgit-Cathrin Duval)Selten herrschte eine derartig einstimmige Meinung meines Familien – und Freundeskreises über meinen Geisteszustand. »Du bist ja verrückt« schallte es mir entgegen, als ich von meinem Vorhaben erzählte, nach Israel zu reisen.
     Wenige Wochen später stehe ich einer israelischen Sicherheitsbeamtin am Frankfurter Flughafen gegenüber. Eingehende Befragung, Gepäckdurchsuchung, langes Warten. EL AL Flug LY 358 ist streng bewacht. Der Panzerwagen des BGS düst sogar bis zum Abheben der Maschine auf der Rollbahn nebenher.
     Dreieinhalb Stunden später: aus dem Dunkel taucht ein orangefarbenes Lichtermeer – wir erreichen die Küste Israels und landen kurz darauf auf dem Ben Gurion Airport in Tel Aviv. Spät nachts ist es hier noch angenehme 20 Grad warm – und das im Dezember. Mit einem herzlichen Shalom begrüßen uns Menachem, der Busfahrer und Zwi, der Reiseführer. Mit dabei auch der deutsche Reiseveranstalter Walter Schechinger von Schechinger Tours. Die nächsten Stunden schaukelt uns Menachem durch die Nacht. Nach einigen Stunden machen wir Halt in Yokneam. Vor dem auch nachts geöffneten Einkaufscenter steht ein Sicherheitsmann, der uns mit einem Detektor abtastet. Einige Tage später werden wir erfahren, dass in diesem Ort ein Sprengstoffattentat auf eine Schule vereitelt wurde. Weiter geht es Richtung Norden, an Haifa vorbei machen wir Halt in Shavai Zion, unweit der libanesischen Grenze. Hier erwartet uns die erste Überraschung: ein schwäbisches Dorf mitten in Israel! Gegründet von schwäbischen Juden, die Deutschland in den dreißiger Jahren verlassen haben. Noch heute wird in Shavai Zion wie in einigen anderen deutschen Siedlungen nur Deutsch gesprochen. Der kleine Ort wird kooperativ als »Moschav Schitufi« bewirtschaftet. Die Plastikfabrik und eine Landwirtschaft betreiben die Einwohner gemeinsam. Anders als im Kibbuz wohnen die Familien in eigenen Wohnhäusern.
Wachturm (Foto: Birgit-Cathrin Duval)     Der Empfang im Hotel ist herzlich, das Buffet reichhaltig. Nur dass eben kaum noch Gäste kommen, bedauern die Betreiber des Hotels. Alles wirkt ein wenig trostlos, selbst der Badestrand lässt keine Ferienlaune aufkommen.
      Auf unserer Reise besuchen wir biblische Stätten, die Jerusalemer Altstadt, die noblen Hotels am Toten Meer. Doch das Land hat auch ein anderes Gesicht: da zieht sich eine fast 300 Kilometer lange Sperranlage mit Stacheldraht, Videoüberwachung, Sensoren und Gräben von Nord nach Süd. Der Israelische Premierminister Sharon versteht es als Schutzmaßnahme gegen Attentate. Unser Reiseführer Zwi bezeichnet ihn als Sicherheitszaun. Was ich sehe sind hohe Mauern, Wachtürme, Stacheldraht, Beobachtungsposten. Erinnerungen an die Berliner Mauer werden wach. Eine Mauer, die das Westjordanland in getrennte Gebiete einteilt, dessen Orte die Palästinenser nur mit Bewilligung und durch zahlreiche Straßensperren und Sicherheitskontrollen verlassen dürfen. Ein neues Getto entsteht.
     Ariel ist eine solche Siedlung, die wir auf unserer Reise besuchen. Menachem, unser Busfahrer, erkundigt sich per Handy über die Lage vor Ort. Es sei ruhig, wir können kommen. Vorbei an Straßensperren fahren wir entlang dem so genannten Sicherheitszaun.
     Die Siedlung Ariel befindet sich tief im Westjordanland und wurde 1978 aus dem Boden gestampft. Fast die Hälfte der 20.000 Einwohner stammen aus Russland. Oberhalb des Ortes auf einem Hügel befindet sich ein Militärlager. Panzer, Schützengräben, Unterstände. Dank der guten Beziehungen des Reiseveranstalters dürfen wir hinein. David, leitender Offizier, gehört einer Fallschirmspringereinheit an. Noch drei Wochen ist er hier stationiert, dann wird er mit seiner Einheit in die Nähe von Nablus verlegt. Das Militär ist in Israel allgegenwärtig. Jeder Israeli wird mit 18 zum Militärdienst eingezogen. Männer dienen drei Jahre, Frauen zwei.
      Auf kritische Fragen reagiert David nicht. Nur soviel: Dass von hier aus Einsätze in das palästinensische Dorf Salfit stattfinden. Auch mit Panzern. »Zur Abwehr von Terroristen«, sagt David. Eigentlich wollte er uns auf den Beobachtungsposten lassen. Plötzlich knackt es in seinem Funkgerät. David runzelt die Stirn, gibt Antwort. Kurz darauf kreuzt ein Hubschrauber über dem Dorf. Wir bekommen nur soviel mit: Es wurde geschossen, es gab Verletzte, vielleicht Tote. David ist nervös, es sei besser, wenn wir jetzt gehen.
     Dass die Einwohner des palästinensischen Dorfes Salfit durch die Absperrungen unter erheblichen Einbußen leiden, erzählt Zwi nicht. Straßenblockaden schneiden sie von Zufahrtswegen ab, Olivenhaine arabischer Bauern werden abgesperrt oder dem Boden gleichgemacht, die reichlichen Wasservorkommen beschlagnahmt und von Ariel Abwasser nach Salfit geleitet. Das alles erzählt unser Reiseführer freilich nicht. Er preist die Stadt Ariel und ihre Vorzüge als neue Heimat für Israelis an.
     Nächster Aufenthalt: Das Hotel Eschel Hashomron. Wir fahren vorbei an der Tankstelle, an der sich vor einem Jahr ein Selbstmordattentäter in die Luft sprengte. Und auch das Hotel, in dem wir nun Mittag essen, war 2002 Ziel eines Anschlages. Nach dem Mittagessen gesellen sich die Besitzer Tova und Menachem zu uns.
Tova und Menachem (Foto: Birgit-Cathrin Duval)     Tova erzählt uns, was an jenem Märztag passierte: Ein junger Mann kommt in die Lobby. Er trägt einen langen Mantel und sieht nicht aus, wie ein Araber. Sie fragt, ob sie ihm helfen könne. Er will telefonieren, sagt er. Das Wort, das er für Telefon benutzt, weist ihn als Araber aus. Tova ist beunruhigt. »Seit Beginn der Intifada kamen keine Araber mehr her«. Instinktiv spürt sie, dass er lügt und ruft ihren Mann Menachem hinzu. Plötzlich kommen zwei Soldaten in die Lobby. Ein Busfahrer hatte sie auf einen Mann im Mantel aufmerksam gemacht. Nur zwei Meter trennen Tova von dem jungen Palästinenser als er die Bombe zündet. Der Druck der Explosion schleudert sie vier Meter an die Decke der Halle, ihre Haare stehen in Flammen.
     »Ich habe die Hölle gesehen«, sagt Tova mit ruhiger Stimme. Dass sie überlebt, grenzt an ein Wunder. Keiner der vielen Nägel oder Metallteile die in der Bombe steckten verletzten lebenswichtige Organe. Sie ist am ganzen Körper verwundet. Dass man heute fast nichts mehr davon sehen kann, verdankt sie dem Gesichtschirurgen. In der Etage darüber wurden die Wände herausgerissen und noch weit entfernt am Ende der Festhalle sind die Vorhänge verbrannt. In der Holzwand hinter der Rezeption klaffen Einschläge der vier Zentimeter langen Geschosse.
     Ein halbes Jahr später, es ist der 26. Oktober 2002. An der Tankstelle halten zwei Busse mit Soldaten. Es ist gegen halb zwölf Mittags, erzählt ihr Mann Menachem, als er einen großen blonden Mann entdeckt. »Er sah aus wie ein Skandinavier.« Sein Hemd hing über der Hose und die linke Hand war von einem Handtuch verdeckt. Menachem wird stutzig. Er stellt ihm eine Frage, will so herausfinden, ob es sich um einen Israeli oder um einen Araber handelt. Der blonde Mann antwortet ihm auf Englisch – trotzdem erkennt Menachem, dass er Palästinenser ist . Auf Arabisch befiehlt er ihm wegzugehen. Dann bemerkt er die Drähte, die aus dem Hemd des Mannes hängen. Geistesgegenwärtig wirft sich Menachem auf den Mann, der um seinen Körper ein Sprengstoffpaket trägt, zieht ihm die Hände vom Körper weg, sodass er nicht an den Auslöser kommt. Sekunden, die über Tod und Leben entscheiden. Menachem spürt den Sprengstoff an seiner Brust während der Attentäter nach dem Auslöser krallt. Seine Frau rennt zu den Soldaten, ruft um Hilfe. Menachem schreit: »Erschießt ihn«. Die Soldaten sind verwirrt – wissen nicht, auf wen sie schießen sollen. Auf den großen Blonden oder auf Menachem, schwarzhaarig und dIsrael - go in peace (Foto: Birgit-Cathrin Duval)unkelhäutig. Menachem gelingt es im Gerangel, seine Pistole zu ziehen. Er drückt ab, rennt davon. Im gleichen Augenblick zielt einer der Soldaten mit einer M 16 auf den Terroristen – und trifft den Sprengstoff. Die gewaltige Explosion reißt drei Offiziere in den Tod, 17 werden schwer verletzt, darunter auch Menachem, dessen Hände und Füße brennen. Die Detonation reißt ihm alle Kleider vom Leib. »Hier, fühl mal« sagt Menachem und streckt seinen Arm aus. Noch heute befinden sich in seinem ganzen Körper Kugeln des Attentats.
     Obwohl sie keine gläubigen Juden sind, möchten sie hier, im biblischen Samaria weiter das einzige Touristenhotel betreiben, das an die Wurzeln des Volkes Israel erinnert.
     Trauriger Alltag im Westjordanland, Nachrichten, die wir hier nur als dreizeilige Schlagzeilen lesen, haben plötzlich ein Gesicht bekommen.
     Fünf Tage später. Kaum ist Flug El AL 353 in München gelandet, rollt auch schon der Panzerwagen des BGS nebenher. Fünf Tage reisten wir im Bus quer durch das Land. Von den Golanhöhen, wo überall noch Relikte aus dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 zu sehen sind – von zerschossenen Häusern und verrosteten Armeelastwagen und Schildern, die überall vor Minen warnen, zu den Ufern des See Genezareth, nach Jerusalem bis ans Tote Meer. Fünf Tage, die mehr Fragen aufwerfen als ich Antworten erhielt. Zum einen bin ich beeindruckt von der die Schönheit des Landes mit seiner Geschichte, andererseits ist der schwelende Konflikt nur allzu offensichtlich. Israel ist sicherlich kein Land, in dem man einfach nur Urlaub macht, wie etwa in Spanien oder in der Türkei. Nein, Angst hatte ich keine. Und eines steht fest: ich will auf jeden Fall wieder hin. Dann aber will ich mir Zeit nehmen. Für die Olivenbauern in Sulfit nämlich. Um die andere Seite der Geschichte zu hören.

Birgit-Cathrin Duval

Birgit-Cathrin DuvalDie Autorin des Beitrags: Birgit-Cathrin Duval ist Journalistin und Fotografin. Im September 2005 erscheint ihr erstes Buch »Vom Schrott zum Segen« beim Hänssler Verlag. Mehr Infos zur Autorin auf www.bcmpress.com oder in ihrem Weblog takkiwrites.blogspot.com. Bestellen können sie das Buch z.B. bei Amazon.de.

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