»Wenn du in Israel nicht Araber bist, hast du keine Schwierigkeiten« Dolores Pieschke hat den Jahreswechsel 2001/2002 in Israel verbracht 23. 12. 2001 Schönefeld - viele, viele Menschen. Wir haben einen Flug bis Tel Aviv. Von dort muss es mit dem Bus weitergehen. Die Interviewerin kommt, wo wir hinwollen, warum, zu wem, warum unsere Tochter in Israel sei, ob wir schon dort waren, warum wir über München zurückfliegen... Die Terroristen werden sich von solchen Fragen und unseren harmlosen Antworten erschrecken lassen. Beim Einschecken frage ich: »Wenn einer nicht Englisch kann?« »Dann haben sie einen, der Deutsch kann. Die sind ja nicht von El Al. El Al hat eine andere Firma beauftragt.« Eine andere Firma, das dachte ich mir schon. Pünktlich in Tel Aviv, Sonnenschein, Bus 675 zur Central Bus Station, Informationskiosk um 17:01 erreicht, Bus nach Eilat fuhr um 17:00, nicht so schlimm, sie fahren ja öfter...ja, machen sie, der nächste um Mitternacht. Vor der Tür Sammeltaxis, Sheruts, die fahren nach überall. Eilat? No, take the bus! Eilat? No, du ju spiek englisch, raschion? A little, njemnoschko. Only bus to Eilat, ili taxi, bat otschen expensiv. Hau meni? Sto kaschdowo. Oh, I am bednaja dewuschka, sorry. Central Bus Station Tel Aviv ist voll in russischer Hand. 24.12. Weihnachtsfeier der Volontäre Wir, als Volontärseltern, sind zur Weihnachtsfeier eingeladen worden. Es gibt Truthahn, Kartoffeln, Salat, Reis, etwas Vegetarisches aus Korea, englischen Weihnachtskuchen, Wein und Kaffee, Weihnachtslieder und zwei Weihnachtsmänner. Weihnachtsliedersingen mit Kibbutz-Volontären ist eine vergnügliche Angelegenheit. Man ziert sich anstandshalber erst ein wenig, dann singt man ein Stückchen unter allgemeinem Jubel und Gelächter, und wer eine Melodie zu erkennen glaubt, singt mit. Es herrscht völlig selbstverständliche Völkersindallegleichstimmung. »Wenn du in Israel nicht Araber bist, hast du keine Schwierigkeiten«, sagt Miri. Später am Abend ziehen sie alle in die Laubhütte, die ein Volontärsclub werden soll. Und nun sind sie so viele, dass sie ganz eng sitzen müssen und es so in der kalten Nacht unter einem Dach aus Palmwedeln aushalten können. 1. Weihnachtsfeiertag Strahlender Himmel, kühler Wind, Pullover, Sonnenbrille, Wasserflasche. Wir bummeln durch die Eilat und dann zum Meeresobservatorium. Im Meeresobservatorium das Riff. Die Fische nehmen keine Notiz vom U-Boot. Sie haben ja auch keinen schweinisch teuren Eintritt bezahlt, um die Touristen zu sehen in 61 m Tiefe. Das reiche Israel kann sich natürlich eine solche Attraktion leisten. Im armen Jordanien, es liegt ja gegenüber, nicht gerade über die Straße, aber über den Golf, muss man selbst zu den Korallen hinabtauchen. Das U-Boot taucht auf, über den Lautsprecher singen die Beatles und alle singen mit »We all live in a yellow submarine, yellow submarine, yellow submarine...« Dabei ist die untere Hälfte des U-Bootes blau angestrichen. 27.12. Beduinenmarkt in Beer Sheva Wir haben den frühen Bus um halb zehn nach Beer Sheva genommen. Quer durch die Negev. Der Beduinenmarkt, die Attraktion, die Beduinen verkaufen ihre Produkte, kaufen, was sie brauchen und die Leute aus der Stadt auch. Das verspricht der Reiseführer. Und er hat Recht. Die Waren, na ja, wie überall. Geschirr, Töpfe, Schmuck, Schuhe, alter Krempel, Kleidung, meist Billigproduktion. Die Beduinenfrauen haben sich marktfein gemacht, ihre bestickten Kleider an, weiße Kopftücher umgeschlungen. Sie sitzen am Ende des Marktes im Schatten von Mimosen, plaudern und verkaufen, oder lächeln dich auch nur freundlich an. Schwarzafrikaner, Israelis mit und ohne religiöse Kennzeichen, mehr ohne, Beduinen natürlich, ein paar Europäer, doch außer uns keine Deutschen. Das ist so zu sehen und zu hören im Publikum. Und Russen, Russen, Russen, als Käufer so viel wie als Verkäufer. Noch einige Zeit, und es wird dem Beduinenmarkt so gehen wie dem Pullovermarkt in Siófok, mehr Touristenmarkt, und Russenmarkt. Die Beduinen werden in ihrer Ecke sitzen, ihren eigenen Markt machen und die anderen weiterziehen lassen. Zum Glück. Schade. Der normale Stadtmarkt war die eigentliche Sehenswürdigkeit. So muss Markt sein, eng, schummrig, alle drängeln, alles was man braucht und nicht braucht. Auch hier die Russen noch in der Unterzahl., aber nicht mehr lange. Schwarzseher könnten hier die nächsten nationalen Streitigkeiten vorhersehen. Zwischen dem neuen Einkaufszentrum und der Altstadt der islamische Friedhof. Die verfallenen Gräber entsprechen nicht unserer Tradition, auch nicht der jüdischen. Ist aber kein Grund, allen möglichen Abfall über den Zaun zu werfen. So kann man auch Hass produzieren. In der Stadt eine Moschee, eine ehemalige. Sie ist verschlossen und leer. Das Negev-Museum auch. Ihre Rekonstruktion sollte im Winter 2000 beendet sein. Beer Sheva ist die heimliche Hauptstadt der Negev und hier ist Beduinenland. 28.12. Schabbat Schalom. Wir beginnen den Feiertag in der Wüste, den Sonnenuntergang betrachten. An der ägyptischen Grenze auf der einen Seite Sinai bis zur Sonne, auf der anderen Rotes Meer und Jordanien. Das israelischen Grenzhäuschen ist leer, die Sonne fast weg, und der Schabbat beginnt gleich. Eine Grenze mit Aussichtspunkt. Der ägyptische Grenzer ruft uns was zu, wir winken zurück. Als Miri das erste Mal hier war mit einer Kibbutz-Gruppe, haben die beiden nicht mehr befeindeten Grenzer sich unterhalten, der Israeli hat Schokolade und Zigaretten rübergereicht. Sie sprachen einander mit Vornamen an. Nicht richtig Feinde, nicht richtig Freunde, wir einigen uns auf »Friedensverträgler«. Felder des Kibbutz grenzen an die eines jordanischen Dorfes. Man unterhält freundliche Beziehungen miteinander. Miri sagt: »Mit Jordanien ist der Frieden wärmer als mit Ägypten.« Bei den Freiwilligen ist einer, dessen Mutter ist amerikanische Jüdin, der Vater Ägypter, aber aus christlicher Familie. Der Junge könnte von Freitag bis Sonntag Feiertag machen. Aber die drei Götter werden schon irgendeine Regelung haben für Notfälle, für Taxifahrer, Polizisten und für solche Glückspilze. Die Tische sind zum Schabbatessen weiß-blau-damastgedeckt. Das Gemüse in Schalen anstelle der Kühlbehälter, gebratener Fisch, verschiedenes Fleisch, etwas vegetarisches, Reis, Kartoffeln, Suppe, Schabbatwein. Alle besser angezogen als sonst, auch die Volontäre. Auf dem Klavier ein großer Blumenstrauß, daneben brennen zwei Kerzen. Die Kinder sitzen heute nicht am Kindertisch sondern bei ihren Familien. Alles redet, alles isst, es ist unheimlich lauf im Raum. Mitten in den Lärm hinein sagt einer von vorn am Klavier: »Schabbat Schalom.« Dann Klavierspiel, er liest einen Text in Hebräisch vor. Alle sind ganz ruhig, selbst die Volontäre. Einige Kibbutzniks stehen andächtig still. Wieder Klavierspiel, die Frau neben ihm liest etwas vor, wieder Klavierspiel, dann wünscht er: »Schabbat Schalom.« Und der fröhliche Lärm bricht wieder los. Nach dem Essen ist im Kibbutznik-Club noch Kaffeetrinken, Kuchen essen und Schwatzen. Die Kinder spielen drinnen und draußen. Es ist eine warme Nacht. Erst nach elf wird es ruhiger im Kibbutz. Nur die Volontäre in ihrer Laubhütte feiern noch Abschied von Sara, die weiter will nach Indien. 30.12. Masada Von Herodes, von Roms Gnaden, gegen äußere und innere Feinde gebaut, Römergarnison, Fluchtpunkt der Zeloten und anderen Aufständischen des Jerusalemer Aufstandes, drei Jahre von den Römern belagert, sturmreif geschossen und gestürmt. In der Nacht zuvor sterben alle Belagerten auf kollektiven Beschluss hin, zur eigenen Ehre und zur Schande Roms. Lieber Tod als Sklav! Danach von der Welt fast vergessen, nach der Staatsgründung Israels archäologische Ausgrabungen in einer großen, fröhlichen Kampagne, heute ideologisches Symbol. »Masada fällt nicht noch einmal!« schwören die israelischen Soldaten in ihrem Eid. Lieber tot als Sklave, lieber tot als rechtlos. Symbol in Israel. Wenige Kilometer nördlich beginnt das Palästinensergebiet. Der Schlangenpfad auf die Festung steil den Berg hinauf treppauf, treppauf, ist geschlossen wegen Bauarbeiten. Ernsthaft böse sind wir nicht darüber, dass wir den Kabinenlift nehmen müssen. Als Erstes ein Begrüßungsfilm, die Aufständischen am Abend ihres Todes, die Erstürmung durch die Römer, in Hollywood-gewaltigen Bildern, die Ausgrabungen. Man ist misstrauisch geworden, wenn ideologische Symbole mit uralter Geschichte begründet werden. Man misstraut dem Datum historischer Gerechtigkeit. In der Festung angenehmen Sachlichkeit. Wir kreuzen mehrfach den Weg einer Schulklasse. Vorn ein junger Mann mit Maschinenpistole, hinterher auch einer, zum Schutz der Kinder. Alltag in Israel. Die Kinder sind so interessiert, wie eine Klasse eben ist am Wandertag beim Besichtigen. Aber dann tritt eine Frau im historischen Kostüm auf und führt die Geschichte vor. Die Kinder werden still und aufmerksam. Geschichtsunterweisung am lebenden Beispiel, wirksam auch auf uns, obwohl wir kein Wort verstehen können. 1.1.2002 Timna Park Das älteste Kupferbergwerk der Welt, Felszeichnungen der Bergleute, Händler, Jäger. Drei Gruppen von Bevölkerung oder schon Völker, Ägypter, Medianiter von der arabischen Halbinsel und einheimische Calcholithiker, gruben in verschiedenen Jahrhunderten Kupfererz aus. Ein großes Gelände, Sandstein, durchlöchert von Schächten und Querstollen. Man bestaunt die engen Schachteinstiege und freut sich, damals nicht Bergmann gewesen zu sein. Nur wenige Besucher, es ist ja Winter und keine Saison, und Flaute hat der Tourismus in Israel sowieso. Eine Familie mit halbwüchsigen Kindern. Die Tochter sitzt neben dem Auto und guckt verbittert in den Sand. Die Mutter steht etwas zwischen Mutterliebe und Pädagogik, entscheidet sich dann aber, ihren Mann bei der Besichtigung zu begleiten. Der Sohn lustlos den Eltern hinterher. Er schafft es noch bis zu den Felsmalereien und dem ersten Schacht. Zum zweiten Schacht bringen ihn auch die Lockrufe der Eltern nicht mehr. Zu Füßen des Berges, auf dem Ramses III. auf einer Felszeichnung eine Gabe an Hathor, die für die Kupferminen zuständige Göttin, übergibt, das Tabernakel, ein lebensgroßes Modell des jüdischen Tempels beim Zug durch die Wüste. Vielleicht der historisch nicht ganz richtige Ort und die richtige Zeit, aber wenigstens die verschiedenen Religionen friedlich nebeneinander. Zwei Millionen Menschen insgesamt, 600000 Männer mit Frauen und Kindern, dazu Vieh, Vorräte, zogen auf einmal aus Ägypten aus. Im Tempel führten sie tonnenweise Gold, Silber und Kupfer mit. Da kann ich mir vorstellen, dass die Ägypter ihnen nachsetzten. Welcher Staat kann solchen Aderlass hinnehmen? Die Sache selbst ging jedenfalls für die israelischen Stämme gut aus. Wie viele historische Nachbildungen verlangt auch das Tabernakel eine gehörige Portion Glauben, dass es so gewesen sein könnte. Wenn nur sechs Leute mit der Erklärerin den Altar, die Zeltwände, den Leuchter und die Priesterfiguren betrachten, ist das nicht schwer. Wenn in der Saison Gruppe um Gruppe sich drängelt, tritt vielleicht das Bildungsziel hinter den Tourismuscharakter zurück. Die Bundeslade jedenfalls steht in der falschen Richtung, weil sonst in dem Raum eine ganze Gruppe keinen Platz hätte. Abends Koffer zum Flughafen. Wieder das Sicherheitsinterview. Warum, wo, wie lange, mit wem oder wem nicht, wen kennen gelernt, nicht kennen gelernt ist besser, Waffen, Kofferinhalt, alles bekannt, alles lästig bis lachhaft. Solche Fragen zur Sicherheit des Staates schrecken bestimmt weder Terroristen noch Staatsfeinde ab. Sie geben nicht einmal ein Gefühl von Sicherheit. Dann Abschiedsabendbrot im Unterwasserrestaurant. Einmal im Leben guckt mir ein Seeigel beim Essen zu. 2.1. München Messerverlust Mit reinem Gewissen haben wir auf der ganzen Reise bestritten, irgendwelche Waffen mitzuführen. Beim letzten Sicherheitsscheck in München für den Flug nach Berlin fällt Jürgens Schlüsselbund auf und daran das Taschenmesser mit Korkenzieher und Flaschenöffner. Es hat die ganze Reise Berlin - Tel Aviv - Eilat - Tel Aviv - München mitgemacht und schon Flugreisen vorher, aber nun hat seine Stunde geschlagen. Es landet im Sicherheitsmüll. Fazit Kein Fazit. Meist besuchen wir jedes Land zweimal. Dolores Pieschke |