Teil 2 - Nach Langeoog Fast schien es, als spiegelte heute das Wetter meine Stimmung wieder. Die Fahrt begann im hellen, sonnigen und trockenen Stuttgart, und je weiter ich nach Norden kam, desto düsterer, nebliger und nasser wurde es. In Sande reichte der knappe Spalt zwischen Zug und Bahnsteigdach, um mehr als genug Regen abzubekommen. Und dann, als ich auf dem Deck der »Langeoog IV« stand und mir der kalte Nordseewind die Ohren schmerzen ließ, da klarte es wieder auf und ein herrlicher Sonnenuntergang zeigte sich über dem Meer. Wie geplant bahnte ich mir gleich nach Stuttgart zwischen Koffern, Taschen, Kinderwägen und Menschen ohne Platzreservierung den Weg zum Bordrestaurant frei. Hier war es angenehm leer. Kein Wunder, fallen doch am Samstag die Anzug, Krawatte und Handy tragenden Männer weg, die meist zu dritt an einem der Tische sitzen. Stattdessen saßen mir schräg gegenüber zwei Frauen, die ebenfalls sehr wichtige Dinge besprachen. Beide waren wohl so um die 50, schwarzhaarig mit leichtem Grau, und beide sicherten ihre Halbbrillen, über deren Rand sie sich anblickten, mit Goldkettchen um den Hals. Mir fiel mein Kollege Günther ein, der ebenfalls seine Brille stets angekettet um den Hals trägt. Irgendwie leuchtet mir Sinn und Zweck dieser Brillenleinen ohnehin nicht ein, denn ich habe nur selten Leute gesehen, die Ihre Brillen tatsächlich um den Hals tragen. Mein Theorie ist ja eine andere
aber ich schweife ab. Die Damen blickten beide mit ernsten Mienen auf handgeschriebene Zettel, und irgendwie schienen sie gerade auf dem Weg zu sein, irgendeinen Vorstand abzusägen. Auf jeden Fall wehten immer wieder Namen zu mir herüber und Wortfetzen wie Es sind nicht alle unfähig, Altersmafia, Mobbing und Vorstandsbeschluss. Es schien als ob Schachspieler die Züge einer schlechten Partie analysieren. Dann verließen sie das Restaurant. Ein lässiger Wink zum Kellner ohne mit dem Reden aufzuhören. Irgendwie - verstärkt dann, wenn ich Single bin - hege ich immer die Hoffnung, dass der Platz neben mir von einem hübschen weiblichen Wesen reserviert wurde, sich ein wahnsinnig interessantes Gespräch entwickelt und man dann auch noch feststellt, dass man das gleiche Reiseziel hat. Das hat sich bislang nie erfüllt. Auch heute nicht. In Hannover hatte ich eine Stunde Aufenthalt. Der Bahnhof ist derzeit ausgehöhlt und wir zur Expo2000 mit neuen Innereien ausgestattet. Während ich auf dem Bahnsteig sitze und krampfhaft versuche, nicht an sie zu denken, fällt mir ein, dass ich mich hier eigentlich mit einem ehemaligen Studienkollegen hätte treffen können. Ich habe lange nichts mehr von ihm gehört, und eine Stunde wäre der richtige Zeitrahmen gewesen, um sich gegenseitig mit den neuesten Informationen zu versehen, und kurz bevor dann die Pausen eintreten und das Schweigen peinlich wird, wäre mein Zug wieder gefahren. Eine verpasste Chance. Ich erinnere mich, dass er sich immer auf Flohmärkten herumtrieb und Schildkröten suchte. Keine echten natürlich. Seine Wohnung im dritten Stock eines Mietshauses war von diesen Tieren dominiert: Bilder, Figuren, Kerzenhalter und Plüschkröten auf dem Sofa. Vielleicht war er inzwischen selbst schon zur Schildkröte mutiert. Nach Hannover war die Fahrt weniger angenehm. Neben mir saß eine vierköpfige Familie, deren Kinder mir immer auf die Füße traten. Ich saß außen am Gang. Hinzu kam die Tatsache, dass der Zug bereits in Hannover reichlich verspätet war und er auch danach mehrmals auf offener Strecke anhielt. Die Verspätung vergrößerte sich von Bahnhof zu Bahnhof. Wahrscheinlich lass der Lokführer einen spannenden Krimi, den er unbedingt zu Ende bringen wollte, sodass er den Zug mehrmals zum Stehen brachte, um ungestört bis zum nächsten Komma weiterzulesen. So setzte das Bange hoffen ein, dass die Anschlusszüge - ja vor allem die Fähre - warten. Das Zugpersonal trug nicht viel zur Beruhigung bei, denn ein Satz wie »wir informieren Sie« hilft wenig. Doch Zug und Fähre warteten. Anmerkung der Autoren: Ein Treffen und zwei Reaktionen eingebaut. |