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Florian Illies über Gottfried Benn: Nichts über die Frauenverachtung

Florian Illies über Gottfried Benn

Florian Illies schreibt ein Buch über den Dichter, Arzt und Büchnerpreisträger Gottfried Benn. »Warum wird darin nicht dessen infame Frauenverachtung erwähnt?«, fragt sich Barbara Fellgiebel.

Florian Illies hat für die clevere Kiepenheuer & Witsch-Reihe »Bücher meines Lebens« Über Gottfried Benn geschrieben. Ich hatte es bereits in meinen Impressionen von der Frankfurter Buchmesse 2022 erwähnt. Das zweite Buch dieser Reihe ist übrigens Mithu Sanyal Über Emily Brontë.

Illies Benn-Buch ist eine nicht unumschränkte Liebeserklärung an den rätselhaften Arzt, der trotz eher unattraktiven Aussehens die Frauen reihenweise und gleichzeitig eroberte und betörte. Zweimal gelang Benn das pietätlose Kunststück, auf der Beerdigung der einen Ehefrau die nächste kennen und lieben zu lernen.

Florian Illies gehört zu den Schriftstellern, die ich nicht objektiv beurteilen kann, weil mir bisher alles, was er geschrieben hat, außerordentlich gut gefallen hat. So auch die Messe-Präsentation seines jüngsten Buches Über Gottfried Benn. Illies rezitiert zwei seiner zehn absoluten Lieblingsgedichte von Benn teils-teils und ein Teil von Epilog. Es gelingt mir, trotz Buchmesse, das ganze Buch in einem Rutsch zu lesen.

Warum bin ich nicht ähnlich hingerissen von der Schönheit der Benn‘schen Gedichte wie Florian Illies? Der bittere, nicht so Benn-begeisterte Nachgeschmack lässt mich tiefer in Sachen Benn forschen.

Der Verlag preist dieses Buch u. a. auf seiner Website mit folgenden Worten an:

Bei Gottfried Benn kann es nie um reine Liebe gehen. Wer sich seit über zwei Jahrzehnten so intensiv mit Benn beschäftigt wie Florian Illies, der erlebt zahlreiche Enttäuschungen angesichts der politischen Verirrungen und der menschlichen Kälte des Autors – und doch wird er immer wieder gefangen genommen vom einzigartigen Klang der Benn’schen Verse.

Von Benns erklärter Untreue ist die Rede. »Gute Regie ist besser als Treue«, zitiert Florian Illies mit unverhohlener Bewunderung. Ist da eine Spur von Neid in der Stimme?

Die politische Unkorrektheit, will sagen zeitweilige Naziverherrlichung Benns bringt Illies zur Sprache. Von menschlicher Kälte spricht er. Aber die überdeutliche Frauenverachtung? Fällt die nur mir auf?

Gottfried Benn, so scheint mir, ist ein Dichter für Männer.

Männer, intelligente, intellektuelle Männer wie Florian Illies, verfallen seinem Bann. Dem Bann von Benn. Wortreich wundern sie sich, wohl wissend, dass ihnen die Antwort für immer verborgen bleiben wird, wie dieses äußerlich unattraktive Männchen die Frauen auf rätselhafte Weise für immer an sich band.

Die überirdisch verklärten, angeblich von erstaunlicher Zärtlichkeit strotzenden Verse Benns wirken auf mich, die weibliche Dichtung vorziehende Gedichteverschlingerin, unbeholfen, oft unausgegoren, verzweifelt in verschiedene Versmaße gepresst. Um ja nicht den Eindruck zu erwecken, es handele sich um kenntnisloses Gestümper eines Dichters, der sein Handwerk nicht studiert hat? Diesen von ihm in mehreren Interviews geäusserten Minderwertigkeitskomplex hat Benn dann doch nicht nötig (Auf YouTube nachzuhören).

Missverstehen Sie mich recht: Ich will keineswegs die Bedeutung Benns als einer der großen deutschen Lyriker des vergangenen Jahrhunderts, übrigens des ersten Büchnerpreisträgers, schmälern. Wenn man sich vorstellt, ein Mann zu sein und als solcher diese Verse eines anderen Mannes liest, wird man zweifellos von Bewunderung und bisweilen Neid erfüllt. Aber als Frau? Dass Benn ein unverblümter Frauenverachter war, traut sich niemand zu sagen. Oder fällt es keinem Mann wirklich auf?

Ich hatte es geahnt doch nicht gewusst: Der von Florian Illies vielleicht nicht vergötterte doch maßlos verehrte »Big Benn« verachtete Frauen, hielt sie für Gegenstände. So schrieb er an Astrid Claes:

Man liegt vor einer Frau nicht Tag und Nacht auf den Knien und murmelt zu ihr Gebete empor, eine Frau ist ein Gegenstand.

Die für Benns Geschmack zu kluge Astrid Claes war wohl die einzige, die sich seinen Verführungsversuchen erfolgreich widersetzte und ihn durchschaute.

Benn entblödet sich nicht zu schreiben:

Die nicht intellektuelle Frau ist ja viel reizvoller als die überkluge, die wickelt die dummen Männer viel eher um den Finger als es eine gelehrte kann. Männer wollen doch nicht am Gehirn von einer Frau berührt werden, sondern wo ganz anders.

Und zu Florian Illies zehn Lieblingsgedichten, die für ihn bleiben, gehört D-Zug, das er wohlweislich bei der Buchmessenpräsentation nicht deklamierte. Darin heißt es:

… eine Frau ist etwas für eine Nacht
Und wenn es schön war, noch für die nächste.

Warum denke ich unwillkürlich an den 68er Spruch:

Wer zweimal mit derselben pennt
Gehört schon zum Establishment!?

Am Tag nach der Buchmessepräsentation, so erzählte es Florian Illies, wolle er sich auf den Weg zu einer über 90-jährigen ehemaligen Patientin Benns machen, die ihn um ein signiertes Buch gebeten habe und ihn mit den Worten eingeladen habe: »Kommen Sie, damit ich Ihnen erzählen kann, welch schlechter Arzt Benn war!«

Mir bleibt nur zu hoffen, dass Florian Illies diesen Artikel liest und uns mitteilt, wie dieser Besuch verlaufen ist.

Barbara Fellgiebel

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10 Kommentare

  1. Liebe Frau Fellgiebel,
    ich habe Florian Illies‘ Buch über Gottfried Benn noch nicht gelesen, aber ich möchte doch kurz etwas zu Ihrem Beitrag sagen.
    Seit ich als Jugendliche Gedichte Benns kennengelernt habe, bin ich von seiner Lyrik fasziniert, tatsächlich „gefangengenommen vom einzigartigen Klang der Benn‘schen Verse“ (wie Sie aus dem Verlagstext zitieren) – und vielleicht auch von der Sinnsuche, dem Gefühl von Vergeblichkeit und Vergänglichkeit, das ich darin finde. Immer wieder einmal fällt mir eine Gedichtzeile ein, und ich gehe an meinen Bücherschrank und lese das Gedicht nach – und finde es bis heute gut. Nicht alle Gedichte finde ich gut, ich habe meine Lieblingsgedichte (‚D-Zug‘ gehört nicht dazu, aber Ihre Auswahl der Zeilen finde ich etwas unfair, sorry. Es geht nämlich folgendermaßen weiter:
    „Oh! Und dann wieder dies Bei-sich-selbst-Sein!
    Diese Stummheiten! Dies Getriebenwerden!“).
    Zwei Dinge stören mich an Ihrem Text.
    Es scheint inzwischen üblich, dass man Werke von Schriftstellern nach dem Lebenswandel des Schriftstellers beurteilt, und zwar von einer moralischen Warte aus. Ich leugne ja nicht, dass man da vieles kritisieren kann, aber macht das die Gedichte schlecht?
    Noch mehr aber stört mich, dass alles durch die „Geschlechterbrille“ gelesen und beurteilt wird. Und ich teile auch nicht die Ansicht, dass Frauen ganz grundsätzlich anders denken und handeln als Männer. Andere Faktoren sind entscheidender als das Geschlecht!
    Meiner Meinung nach ist Benn also kein „Dichter für Männer“.
    Frau Fellgiebel, sonst habe ich Ihre Beiträge in literaturcafé.de immer gerne gelesen.
    Christina Stiefel

    • Liebe Frau Stiefel! Ich freue mich sehr über Ihren Kommentar.
      endlich eine Kritik endlich etwas, worauf man eingehen kann. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich vor der Präsentation von Florian Illies nicht wirklich Benn-Gedichte gelesen hatte; zwar einiges über sein Leben wusste, aber das war auch alles. Durch das sehr gut geschriebene Buch von Illies bin ich neugierig geworden auf diese so hochgelobten Verse und Gedichte; und dann konnte ich diese Begeisterung einfach nicht teilen. ich hatte – wie geschrieben – einen schalen Geschmack der Enttäuschung und fragte mich, wieso.
      dann kam ich erst auf die Frauenfeindlichkeit. Ich bin keineswegs drauf erpicht Frauen und Männer spezifisch zu unterscheiden, im Gegenteil, mir geht diese Mode zur Zeit ziemlich auf den Geist. Ich erwarte viel mehr, dass Frauen und Männer gleich behandelt werden, beziehungsweise ihre Ansichten und Aussagen gleich viel wert sind.
      Wenn man sich auf YouTube Interviews mit Benn anhört, dann gibt es zu keiner Gelegenheit eine Referenz an eine Frau. in seinem geistigen Spektrum kommen nur Männer vor. Das finde ich freundlich gesagt bedauerlich zumal bekannt ist, dass die Liebe seines Lebens Else Lasker-Schüler war.

      • Aber liebe Frau Fellgiebel,

        was Sie schreiben, stimmt ja im Wesentlichen. Aber erstens spricht Florian Illies sehr klar und unnachahmbar fast lakonisch Benn’s frauenverachtende Seite an. Nur nicht in besagtem Buch, wohl aber in seinen beiden Bänden zum Jahr 1913. In seinem Buch – so lese ich es – fasst er dies unter seiner generellen Menschenverachtung. Es könnte also durchaus sein, dass Illies genau das macht, was Sie ja in Ihrer Replik aufmachen – nämlich auf die Sonderkategorie zu verzichten. Benn hatte für Menschen nix übrig. Übrigens kann ich als Mann weder nach den beiden ganz wundervollen 1913-Bänden noch nach diesem nicht minder guten Büchlein irgendetwas an Benn’s Gedichten finden. Das bleibt mir völlig fremd und unzugänglich. Aber meine Verehrung für Illies meisterhafte Schreibweise ist gewachsen. Wiedermal.

        • lieber Herr Radisch
          wie sehr schön von Ihnen zu lesen. Ja ich gebe Ihnen völlig recht, finde beide 1913-Bände großartig und freue mich, dass es auch Männer gibt die Benns Gedichte kalt lassen. Kleiner Tipp:
          ich lese gerade Benns Briefe an Astrid Claes!

  2. Guten Morgen Barbara, in deinem Text finden sich ja eindeutige Zitate wie »Man liegt vor einer Frau nicht Tag und Nacht auf den Knien und murmelt zu ihr Gebete empor, eine Frau ist ein Gegenstand«.
    Sind die Textausschnitte sämtlich in Illies Buch zu finden? In welchem Kontext steht der Brief, aus dem obiges Zitat entnommen ist?

    Die Diskussion ist erfreulich, aber vielleicht hilft es zur Versachlichung, häher an diesen, Benns eigenen, Aussagen zu bleiben. Da geht es ja wohl nicht nur um »Lebenswandel«, sondern um eine grundsätzliche Haltung zu einem Teil der Menschheit, für den er offensichtlich Verachtung bereithält – aus welchem Grund auch immer (ich habe da so meine Theorie).

    Und eine solche Verachtung findet natürlich Eingang ins dichterische Werk, zumal in Liebesgedichten, wo ja per definitionem die Geschlechterfrage kaum außer Acht gelassen werden kann. An dem Punkt ist dann eine Betrachtung, die über die Textimmanenz hinausgeht, absolut angebracht und zeitgemäß.

    • liebe Isa
      bei Klett-Cotta sind 80 Briefe von Gottfried Benn 1951-56 erschienen. Da wirst du fündig.
      Warum bei Liebesgedichten die Geschlechterfrage nicht außer Acht gelassen werden kann, ist mir unklar. Oder kennst du keine homoerotische Poesie?

  3. Liebe Barbara, ich kann Dich gut verstehen. Zeitgeist und Geschlechterbilder gehen nun mal in die Werke ein. Ich lese gerade Erzählungen von Dieter Wellershoff. Er schreibt exzellent, aber: Da gibt es selbstherrliche Senioren-Chauvis; alte reiche Männer und ausgehaltene junge Frauen; finanziell abhängige Ehefrauen, denen Männer die eigene Mutter zur Pflege übergeben usw. Ich fände es fatal, wenn man all dies als Frau nicht analysieren und reflektieren würde.

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