Was hat den Heyne Verlag geritten, solch hanebĂ¼chenen Quark zur deutschsprachigen Ausgabe von Jane Austens »Pride and Prejudice and Zombies« zu schreiben?
Der Roman sei »die alternative Version des groĂŸen Klassikers«, die man »in den Archiven der Universität Oxford entdeckt« habe. Jane Austens Co-Autor Seth Grahame-Smith habe das Werk abgetippt, und seither habe man nicht mehr von ihm gehört. Ein Nachwort-Geschwurbel  von »Prof. Waldemar Knochen, Universität Leichburg« und fiktive Anzeigen fĂ¼r weitere Klassiker wie Thomas Manns »Der Zombieberg« sind im Anhang zu finden.
Will der Verlag mit diesem Unsinn das die deutsche Ausgabe interessanter machen? Das ist reichlich misslungen und schadet dem Werk. Denn dieses ist interessant genug.
Tatsächlich hat Seth Grahame-Smith – Jahrgang 1976 und wohlauf – Jane Austens Klassiker mit blutigen Zombie-Szenen durchsetzt. Was nach einer literarischen Freveltat klingt, funktioniert erstaunlich gut.
Zombies in der WeichspĂ¼hlerwelt
Als Mann mag man sie manchmal hassen, jene WeichspĂ¼lerwelt der Jane Austen, in der die einzige groĂŸe Sorge der Oberschicht darin besteht, ob die Töchter aus gutem Hause denn nun den richtigen Mann fĂ¼rs Leben finden oder nicht. Als gäbe es nichts Wichtigeres.
Da wĂ¼nscht man sich gelegentlich, dass Zombies durch die Fenster der Ballsäle stĂ¼rmen und die lahme Gesellschaft aufmischen oder besser gleich blutig niederbeiĂŸen.
So mag es vielleicht auch dem Schriftsteller und Drehbuchautor Seth Grahame-Smith ergangen sein. Er nahm den Originaltext von Jane Austens »Stolz und Vorurteil« und integrierte darin einige Zombie-Szenen und -Attacken.
Vergleicht man den englischen Originalroman mit Grahame-Smiths Version, so ist man erstaunt, dass Grahame-Smith am Roman wenig abändern musste. Zu 90% ist es Austens Original. Nur kleine Einsprengsel im Text weisen darauf hin, dass die Oberschicht in den Herrenhäusern ständig auf der Hut vor Zombies sein muss, die drauĂŸen in Wald und Flur auf Opfer lauern. Selbst die grĂ¶ĂŸeren Zombie Attacken bei nächtlichen Wanderungen, Kutschfahrten oder in der erwähnten Ballszene fĂ¼gen sich erstaunlich gut in die Originalhandlung ein, die – und das ist das ebenfalls bemerkenswerte – dadurch in keiner Weise verändert wird.
Da die Charaktere Jane Austens in ihrer Welt leben und vom gemeinen Volk wenig mitbekommen, ist es reichlich egal, ob jenseits der noblen Eigenheime Bauern oder Zombies hausen.
Seth Grahame-Smiths Werk ist daher mehr als ein Remix- oder Mashup-Roman. Das Werk macht sich nicht Ă¼ber Austens Original lustig, obwohl der Autor zunächst den Zorn der Austen-Fans fĂ¼rchtete, die gleich Zombies auf ihn einstĂ¼rzen könnten.
Ernstzunehmende Klassiker-Bearbeitung
Grahame-Smith hat ein Werk konstruiert, dass in seiner philosophischen Aussage und Weltsicht mit den Zombiefilm-Klassikern George A. Romeros vergleichbar ist.  Statt viktorianischer Villen ist es bei Romero ein Einkaufszentrum (»Dawn of the Dead«) oder eine verbarrikadierte dekadente Luxusstadt (»Land of the Dead«), die von den Untoten umringt ist. Die Ăœberlebenden flĂ¼chten sich in eine vermeintlich heile Welt und wollen nicht wahrhaben, dass drauĂŸen der Tod lauert.
Durch Grahame-Smith Zombie-WĂ¼rze bekommt auch Jane Austens Welt etwas Paradoxes und Irreales. Und während Romeros Helden die Untoten mit der Pumpgun umnieten, greifen die Bennet-Schwestern im Buch wie selbstverständlich zu fernöstlichen Nahkampftechniken, um der Bissigen Herr zu werden.
»Stolz und Vorurteil und Zombies« ist keine literarische Blödelei, wie es der Heyne Verlag durch das mĂ¤ĂŸig witzige Beiwerk der deutschsprachigen Ausgabe suggeriert. Dennoch sei dem Verlag gedankt, dass er die Koproduktion auch deutschsprachigen Lesern zugänglich macht. Die deutsche Ăœbersetzung stammt von Carolin MĂ¼ller, die das Werk vollständig neu »durchĂ¼bersetzte«.
Anders als der englische Originaltext, der mittlerweile urheberrechtsfrei ist und daher problemlos von Seth Grahame-Smith fĂ¼r den Genre-Mix verwendet werden konnte, sind die Ăœbersetzungen noch urheberrechtlich geschĂ¼tzt. Nebenbei also ein Beispiel, wie das bestehende deutsche Urheberrecht solch interessante literarische Experimente leider verhindert. Einen »Zombieberg« wird es daher in absehbarer Zeit sicherlich nicht geben.
»Stolz und Vorurteil und Zombies« ist daher eine ernst zu nehmende LektĂ¼reempfehlung fĂ¼r alle, die den englischen Klassiker neu kennenlernen wollen. Sie verpassen absolut nichts von der Originalhandlung, können sich jedoch auf blutig-brutale Intermezzos freuen, die die viktorianische Beziehungslethargie wohltuend aufmischen.
Die deutschsprachige Ausgabe:
Jane Austen; Seth Grahame-Smith; Carolin MĂ¼ller (Ăœbersetzung): Stolz und Vorurteil und Zombies: Roman. Taschenbuch. 2010. Heyne Verlag. ISBN/EAN: 9783453533516
Das englische »Original«:
Seth Grahame-Smith; Jane Austen: Pride and Prejudice and Zombies: The Classic Regency Romance-Now with Ultraviolent Zombie Mayhem (Pride and Prej. and Zombies, Band 2). Taschenbuch. 2009. Quirk Books. ISBN/EAN: 9781594743344. 12,37 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige
Gerade gestern bin ich auf diese Adaption gestoĂŸen und schon sehr gespannt darauf. Dieser Beitrag bestärkt mich darin, sie als PflichtlektĂ¼re fĂ¼r Jane-Austen-Fans auf meine persönliche Leseliste zu setzen! Nur ein kleiner Hinweis: Jane Austen gehört natĂ¼rlich nicht in die viktorianische Epoche, sondern in die georgianische.
Sehr empfehlenswert ist hier das Hörbuch, eingelesen von Stefan Kaminski. Phantastischer Hörgenuss!!