Bald fällt der Startschuss für die 40. Tage der deutschsprachigen Literatur (TDDL). Im Zentrum steht der alljährlich in Klagenfurt veranstaltete Bachmannpreis-Wettbewerb. Er wird am 29. Juni mit einer Rede des ehemaligen langjährigen Juryvorsitzenden Burkhard Spinnen und der Auslosung der Lesereihenfolge der eingeladenen Autorinnen und Autoren eröffnet. Vorab haben die KandidatInnen kleine Visitenkarten in Form kurzer Videoporträts eingereicht. Sie können auf bachmannpreis.orf.at angeschaut werden.
Doris Brockmann hat das gemacht und fasst zusammen.
Doris Brockmann
ist (bzw. war) passionierte Fernsehstudentin der »Tage der deutschsprachigen Literatur«. Bis 2013 bloggte und twitterte sie über den Bachmannpreis immer im angenehm kühlen Arbeitszimmer, 2014 war sie erstmals live im aufgeheizten Klagenfurt dabei, um sich mal alles vor Ort anzuschauen. 2017 wird sie zum vierten Mal nach Kärnten reisen. Ansonsten widmet sie sich der angewandten Schriftstellerei im Dienste der Alltagsbeobachtung auf
walk-the-lines.de
Ein Wald – ein verfallenes Haus – und mittendrin eine Autorin in geblümten Stiefeln. Ada Dorian geht umher, schaut in die Kamera, streichelt Bäume und Wände. Aus dem Off teilt Frau Dorian mit, dass sie Small Talk verabscheue. Sie sei gut darin, bevorzuge aber, kühne Fragen zu stellen, um so etwas vom Gegenüber und dabei auch etwas über sich selbst zu erfahren. Auf die Literatur gewendet, bedeutet das: »Im Schreiben habe ich eine Form gefunden, von mir zu erzählen, ohne „ich“ zu sagen.«
Stefanie Sprengnagel stellt die Kunstfigur Stefanie Sargnagel in einem Animationsfilm vor. Darin geht es nicht um Schreiben oder Literatur, sondern allein um Biographisches: Die Zeichentrickfigur Sargnagel zeigt ihre erkennungsdienstlich relevanten Attribute vor: rote Baskenmütze, Bier, Zigaretten und verrät ihre Lieblingsfarbe (»ein intensives Grau«), Lieblingseissorten (»Noccio(la?), Blutorange, Topfen«) und dass sie ihre Kindheit und Jugend vor dem Fernseher verbrachte, aber auch »gern im Park«, wo sie sich weggeflasht habe, was »geil« gewesen sei. Und über allem steht eine große gelbe Sonne, die nie lacht.
Marko Dinić kocht Kaffee und summt dabei den Song »Balkan« der seinerzeit noch jugoslawischen Rockkapelle Azra, die im Hintergrund zu hören ist. Vor und nach diesen Bildern aus dem Alltag von Herrn Dinić wird dieser im Wald gezeigt, wo laut des im Hintergrund zu hörenden Textes der damals Elfjährige kurz vor dem Serbienkrieg 1999 (»Irrlichterzeit«) Erinnerungsstücke versteckt hat und sich nach Jahren (»ich kehre der Straße den Rücken«) immer wieder Erinnerung einstellen kann an »dieses kleine Etwas, was jeder Heimat nennen möchte, das nicht Gewählte also.« (Bin ich eigentlich die Einzige, die findet, dass Marko Dinić Clemens Setz ähnlich sieht?)
Selim Özdogan gerät ins Trockenschwimmen und Schwärmen über Wasser und Wassermetaphern: In kreativen Phasen habe er das Gefühl, in Tinte zu schwimmen. Phasen voller Schreibzweifel vermitteln sich dagegen als die Erfahrung, wie im Wasser nirgends Halt zu finden, den Wellen ausgeliefert zu sein, keinen Grund unter den Füßen zu haben. Da das Gegenteil von Angst Vertrauen sei, könne es immer nur darum gehen, sich hineinfallen zu lassen und einfach zu schwimmen. »Wer weiß, dass er schwimmen kann, vertraut.« Während Herr Özdogan das sagt, macht er verschiedene trockengymnastische Übungen vor einer blau-weißen Leinwand und wird die ganze Zeit von einem Mann schwimmübungsartig umtanzt.
Um Wasser und Schwimmen, ebenfalls auf dem Trockenen, geht es auch im Video von Julia Wolf. Sie hat ältere Männer in Badehose und Badekappe auf Schwimmbadfliesen gelegt, befragt sie u. a. nach deren Schwimmpensum und schmiert ihnen später Ketchup ins Gesicht. Es wird »Are you lonesome tonight« gesummt. In einer kurzen Einstellung ist das Gesicht der Autorin – um 180° verdreht – zu sehen, sonst nur die sehr freundlichen Herren in verschiedenen Close-Ups.
Tomer Gardi legt noch einen drauf. Nicht nur sagt er nichts über sich und sein Schreiben: Er sagt überhaupt nichts. Nicht nur zeigt er irgendwen in Nahaufnahme: Er scant sich selbst mit schonungsloser Kamerafahrt: Brusthaar, Arm, Ohr, Augen, Bein, Gesicht, etc. Und keine Musik spielt dazu. Nichts lenkt den Zuschauenden ab vom voyeuristischen Blick auf den Autor. Ist dieses Video gemeint als eine kleine Meditation zum Thema der medialen Zurschaustellung der Beteiligten am Klagenfurter Literaturbetriebsfest?
Bastian Schneider hat eine Mischung aus Porträtaufnahme und Animationsfilm gewählt. Er sitzt auf einem Stuhl und zeigt im Stil von Bob Dylans Videoclip zu »Subterranean Homesick Blues« Schilder hoch, die sich zu folgendem Text zusammenfügen: »Früher wollte ich Schauspieler werden. Danach habe ich Psychologie studiert. Mittlerweile versuche ich es als Schriftsteller, fühle mich aber meistens als Betrüger. Hin und wieder falle ich aus der Rolle und verwechsele die Reihenfolge oder umgekehrt.« Dazu fliegen Bildchen durch die Luft und gibt es Umkehrungen der Reihenfolge.
Erst ein Countdown, dann der Filmtitel »Ein Wortsalat«. Dieter Zwicky geht das Ganze literaturkulinarisch an: Wir sehen Wortschnipsel in einem Sieb und dann zum Verzehr auf einem Teller. Herr Zwicky hebt hervor, es gäbe »Schweizer Wörter«, wie z. B. »Chalet« als »Bezeichnung für eine höhere schweizerische Behausungsform«, »geliebte Wörter«, wie »Klainguti« und »geheimnisvolle Wörter«, wie »Maira«, welches der Name eines Flusses und der Name seines Jungpudels sei. Nun ist die Frage: »Wie es kommt, dass ein Hund wie ein Fluss heißt?« Ich könnte mir vorstellen, mit entsprechenden Kräutern, Gewürzen und einem guten Fendant kann man der Antwort auf die Spur kommen.
Von Jan Snela liegt bis zum jetzigen Zeitpunkt kein Videoporträt vor.
Doris Brockmann