Am 29. Juni werden in Klagenfurt am Wörthersee die »40. Tage der deutschsprachigen Literatur« eröffnet. Im Mittelpunkt der knapp einwöchigen Veranstaltung steht der Bachmannpreis-Wettbewerb, bei dem es in diesem Jahr gleich einen doppelten Geburtstag zu feiern gibt. Welche Autorinnen und Autoren zum Lesen um die insgesamt vier ausgelobten Preise eingeladen wurden, ist seit einiger Zeit kein Geheimnis mehr. Wie sich diese AutorInnen für den Bewerb vorstellen, auch nicht: Mit Ausnahme eines Kandidaten haben alle ein Videoporträt erstellt. Doris Brockmann hat sie sich angeschaut.
Doris Brockmann
ist (bzw. war) passionierte Fernsehstudentin der »Tage der deutschsprachigen Literatur«. Bis 2013 bloggte und twitterte sie über den Bachmannpreis immer im angenehm kühlen Arbeitszimmer, 2014 war sie erstmals live im aufgeheizten Klagenfurt dabei, um sich mal alles vor Ort anzuschauen. 2017 wird sie zum vierten Mal nach Kärnten reisen. Ansonsten widmet sie sich der angewandten Schriftstellerei im Dienste der Alltagsbeobachtung auf
walk-the-lines.de
Sag einem Bäcker mit Innungswettbewerbsgewinnambition, er möge sich in einem Videoclip porträtieren: Was wird er uns zeigen? Den Bäcker vor der Knetmaschine, am Backofen, beim Teigausrollen, beim Befüllen der Brotkörbe. Für Kandidatinnen und Kandidaten der TDDL scheint eine solch unverpackte Art der Selbstdarstellung schon seit einigen Jahren eher keine Option mehr zu sein. Ein wenig mag dazu die 2008 von der »Zentralen Intelligenz Agentur« entwickelte, ebenso lustige wie ernstzunehmende »Automatische Literaturkritik« (AK) beigetragen haben.
Der zum Zweck einer objektivierbaren Kritik entwickelte Kriterienkatalog ahndet in der Rubrik »Autorenporträt« u.a. »Redender Autor vor Bücherregalen«, »Autorenporträt zeigt den Autor beim Schreiben«, »Beschriebene Seiten werden zerknüllt und oder weggeworfen« mit je einem Minuspunkt.
Auf die Frage »Was machst du? Wer bist du?« geben auch die BewerberInnen des Jahrgangs 2016 meistenteils künstlerisch verpackte Antworten, die einem beim Betrachten der Videos vor die Fragen stellen: Ist das nun ernst gemeint oder ironisch? Wird auf bisherige Werke referiert oder vielleicht auf den zu lesenden Klagenfurt-Text? Ist die Musik nur Hinter- oder gar Erklärgrund? Wurde zu viel oder zu wenig im Kriterienkatalog der AK geblättert?
Am ehesten direkt und unverstellt und auch sogar (kurz) mal beim Schreiben zeigen sich Sharon Dodua Otoo, Sylvie Schenk, Astrid Sozio und Isabelle Lehn.
Sharon Dodua Otoo sehen wir im bei einem Gespräch im Park, und – at home? – auf einer Art multikulturellen Familienfeier. Im Voice-over erläutert die Autorin, dass sich für sie die Bedeutung des Wortes »Pflichtbewusstsein« über »Bewusstsein« im Sinne von »bewusst leben« und »Pflicht« im Sinne von »Wir haben eine Aufgabe« erschließe. Zentral für Leben und Werk ist die Frage: »Was habe ich für Stärken, Talente, Kapazitäten, und wie kann ich die sinnvoll einsetzen?«
Sylvie Schenk zeigt ihre Wanderschuhe und schon geht es ab über Stock und Stein durchs waldreiche Aachener Dreiländer-Umland und man kriegt die ganze Zeit Tom Pettys »I´m walking« nicht mehr aus dem Kopf, auch wenn es (leider) gar nicht eingespielt wurde. Wandern als die Erfahrung, Grenzen zu überwinden, Bekanntes stets neu (wieder-) zu entdecken, manchmal nur mühsam voranzukommen, hinter jedem erreichten Gipfel, »immer ein Danach«, eine neue Etappe sich auftun sehen, – tritt als eine dem Schreiben ähnliche Erfahrung zutage.
Astrid Sozio eröffnet bildlich im Stil der Genesis. Darum sehen wir hier als Naturelement nichts Waldiges, sondern Lichtspiele, Eisschollen und -meer und hören: »Am Anfang ist immer ein Bild.« Dann sehen wir die Autorin an ihrem Schreibtisch vor dem Kasten, in dem sie die fotografierten, ausgeschnittenen oder gekauften Bilder sammelt: »Aus manchen Bildern entsteht sofort ein Text. Aus anderen nicht.« Texte als Bildcollage. Schließlich geht Frau Sozio über eine Straße und sagt: »Eigentlich schreibt und träumt man ja nur, um wieder aufstehen zu können und dann wieder zurückzugehen zum Leben.«
Während man sich noch ein wenig über die solcherart behauptete Trennung zwischen Schreiben und Leben wundert, hört man Isabelle Lehn Ähnliches sagen. Frau Lehn geht abends, »wenn ich das Gefühl habe, ich hätte genug geschrieben«, gerne in einen bestimmten Park in Leipzig: »Man kann hier z. B. schreiben und gleichzeitig weiterleben.« Alles, was hier entstehe, komme noch oben drauf, als eine Art »Bonusmaterial«. Der Park als offener Raum voller Geschichten. »Mir ist hier mal mein Handy geklaut worden. Das ist jetzt Schlüsselszene in meinem Roman.«
Ein netter Gag ist, dass im Video der ehemaligen Literaturinstitutsstudentin Lehn kurz der ehemalige Literaturinstitutsstudent Sascha Macht zu sehen ist. Er sitzt im selben Park und isst ein Eis. Herr Macht bietet in seinem Vorstellungsfilm eine wilde Collage aus Traumsequenzen und Kindheitsfilmaufnahmen (natürlich auch im Wald) mit herrlich schrägen Textkommentaren. Sind Nachtmahre und Kindheitserinnerungen hier der unerschöpfliche Quell, aus dem sich die literarische Produktion speist? Herr Macht selbst gibt im Film keine Auskunft über sich und sein Schreiben. So bleibt unklar, ob das folgende Zitat ihm persönlich zugesprochen werden kann oder vielleicht seinem Roman »Der Krieg im Garten des Königs der Toten« entlehnt ist. Toll ist es allemal: »Die Nacht ein ausklingendes Fest, an dem ich nicht teilgenommen hatte.«
Doris Brockmann
Wie kann ich mich für die Veranstaltung anmelden?
Danke
Liebe Magdalena,
wie meinen Sie das genau?
Als Zuschauerin oder Zuschauer: Einfach nächste Woche nach Klagenfurt zum ORF-Studio kommen. Es gibt keine Eintrittskarten o.ä. Wer zuerst da ist, hat einen Platz im Studio.
Als Autorin oder Autor: Man kann sich – in der Regel im Frühjahr – bei den Juroren bewerben. Die Adressen und Fristen sind dann immer auf bachmannpreis.orf.at zu finden.