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Angelas Frohe Botschaft

"Gemein sind wir"

Als ich mich am vergangenen Freitagmorgen (30.12.) etwas verspätet ans Frühstücken machte, verblüffte mich diese öffentliche Bekanntmachung: Seit wann sind Regierungen ehrlich? Die Bundesregierung: »Gemein sind wir«?
     Ich war wohl noch etwas müde, ich schlug die Seite weiter auf und fand ein Werbefoto für eine erfolgreiche anti-angieing-creme:

Werbefoto für eine erfolgreiche anti-angieing-creme

Klar erkennbar eine irgendwie trotzdem lächelnde 20-jährige im Großmutterkostüm, ganz allein zwischen allerlei nebulösen Gestalten: Gemeinsam sind wir stärker. Deswegen wirkt sie also so verloren…

In den vergangenen Monaten bin ich oft FÜR MEHR WACHSTUM

Der erste Satz nach der der Anrede verblüffte erneut: In den vergangenen Monaten bin ich oft FÜR MEHR WACHSTUM. Manchmal also auch nicht – wen wundert’s, vor allem nicht einen so Unausgeschlafenen wie mich.
     Und dann überflog ich den richtigen Text: Aha, statt an Gott glaubt Angela Merkel »an dieses Land und seine Menschen« – seit wann gehöre ich Deutschland? Deutschland gehört mir (zugegeben: unter anderen). Und: sie »ist oft gefragt worden« (Vergangenheit), aber sie »entgegnet (Gegenwart) dann immer« mit ihrem Glaubensbekenntnis: Wird sie folglich immer noch gefragt? Oder will sie nicht mehr gefragt werden, weil jetzt jeder die Antwort kennt?
     Sie ist überzeugt, dass »Deutschland voller Chancen steckt«, gesteht sie, und dass »wir sie nutzen können«. Richtig, davon sind alle Lottospieler und Wetter und Klassenlosabonnenten überzeugt! Immerhin hat sie ihre Chance genutzt – und das ist kein 1-Euro-Job geworden! Die Weiterführung des Gedankens in diesem Absatz erstaunt – letztlich aber dann doch nicht: »Die große Koalition hat den festen Willen, die Probleme zu lösen und die Herausforderungen zu meistern.« Wenn Deutschland voller Chancen steckt – wo sind dann die Probleme? Und welche Herausforderungen sind zu meistern, wenn die Probleme gelöst werden, oder sind die Chancen die Herausforderungen oder die Herausforderungen die Lösungen? Was ein Sprachmüll! Franziska Augstein hat schon Recht mit ihrer Feststellung, dass die Ausdrucksweise »im grammatikalischen und rhetorischen Sumpf des Polit-Geschäfts« verschwindet. Schlussfolgerung: Es gibt gar keine Chancen, es gibt nur Probleme; aber die will die Koalition nicht lösen, sie hat lediglich den festen Willen dazu.»Nur der gute Wille ist an sich gut.« hat Kant festgestellt – aber der Wille nützt gar nichts, wenn ein Mensch oder ein Staat nicht seine Vernunft einsetzt, denn leider sind Mensch und Staat nicht vernünftig, sondern allerhöchstens vernunftfähig. Und an dieser Vernunftfähigkeit kommen geharnischte Zweifel auf, wenn man sich ernsthaft mit solchem hohlen Wortgeklingel auseinandersetzen muss! (Doch: muss! Als mündiger Staatsbürger ist es meine Pflicht, den Politikern aufs Maul zu schauen.)
     Und wozu hat die große Koalition (nicht etwa die gewählten Politiker!) den festen Willen? Sie ist FÜR MEHR ARBEIT! Dem entnehme ich, dass jeder, der arbeitet, mehr und länger arbeiten soll. Das wird auch sicherlich so kommen – aber gemeint ist, dass die Regierung begonnen hat, »ein neues Klima für Unternehmen zu schaffen«; das führt unweigerlich zur Klimakatastrophe, das ist bewiesen! Lohnnebenkosten werden gesenkt, »damit endlich wieder mehr Menschen in Arbeit kommen«. Die bekommen also keine Arbeitsplätze, sondern »sie sollen in Arbeit kommen«, m. a. W. malochen, zur Not auch ohne Entgelt.
     Es folgen die üblichen Plattitüden: Die Bundesregierung ist FÜR NÖTIGE REFORMEN statt für unnötige, dafür gibt’s den festen Willen, auch wenn Vernunft hin und wieder auf der Strecke bleibt; FÜR MEHR WACHSTUM, das zwei Zeilen weiter zu »höherem Wachstum« wird, was etwas vollständig anderes ist, denn höher wachsen kann nur, was bereits wächst, während mehr wachsen bedeutet, dass da etwas gesät wird. Ich schätze mal, dass es den Großkonzernen besser gehen wird. Schließlich wird eine Lanze FÜR EINE BESSERE ZUKUNFT gebrochen, allerdings nicht gesagt, für wen es eine bessere Zukunft geben soll! Die Bürgerinnen und Bürger jedenfalls sollen sich um und für ihre Zukunft und ihre Kinder sorgen, das wird ihnen leichter gemacht.
     Der Ausruf »Überraschen wir uns damit, was möglich ist und was wir können« ist typisch unehrlich, denn wir wissen, was wir können. Der Satz müsste aus der Sicht der Bundesregierung korrekt so lauten: »Sie werden überrascht sein, was möglich ist und was wir können!« Ich glaube allerdings nicht, dass wir überrascht sein werden, das Programm spricht für sich.

Malte Bremer

PS: In ihrer Neujahrsansprache schwafelt sie erneut munter drauflos: »Unerreichbare Ziele setzen? Das ist nicht unsere Art. Unhaltbare Versprechungen machen? Davon haben Sie zu Recht genug.« Das ist wohl wahr! Aber natürlich folgt keine Entschuldigung für die eigenen unhaltbaren Versprechungen. Dafür gibt es neue: »Viele kleine Schritte gehen, die aber in die richtige Richtung. So haben wir angefangen. Und dabei ein Ziel fest im Blick: unser Land in 10 Jahren wieder an die Spitze Europas zu führen, und zwar weil jeder von uns ganz persönlich etwas davon hat.« Wir freuen uns jetzt schon im Vorgefühl von jenem höchsten Augenblick auf die Genugtuung, dass das Land (!) an die Spitze Europas geführt worden ist. Diese Genugtuung über den ersten Platz ist es, was wir zu erwarten haben. Doch woran der Spitzenplatz qualitativ gemessen wird, etwa als Spitze im sozialen Bereich, als Spitzenplatz in Wissenschaft und Forschung, als Land der meisten Arbeitslosen und Armen, der meisten Milliardäre oder der hilflosesten Politiker – das wird tunlichst verschwiegen.

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