Die Kapitel


Vorwort der Autoren

»Ich liebe den Kummer«
Eine Alternative von Klaus Strube

Teil 1
17.10.1998/08:00
Teil 2
17.10.1998/21:15
Teil 3
18.10.1998/14:15
Teil 4
18.10.1998/23:45
Teil 5
19.10.1998/13:30
Teil 5 (alternativ)
19.10.1998/13:30
Teil 6
19.10.1998/24:00
Teil 7
20.10.1998/16:30
Teil 8
20.10.1998/23:00
Teil 9
21.10.1998/07:06
Teil 10
22.10.1998/00:30

Nachwort der Autoren

Frame ein/aus

 Inselflucht - Ein fiktiver Online-Roman in der realen Welt
Muschel Verschicken Sie Elektropostkarten Edition »Inselflucht«
Muschel Lesen Sie die Kommentare der Leser

Teil 6 - Regen und Romane

Mit dem Fahrrad fuhr ich in Richtung Meierei. Ich ärgerte mich, dass ich die einfache Ausstattung ohne Gangschaltung gewählt hatte. Bei diesem flachen Land würden die hohen Gänge einige Tretumdrehungen ersparen – so dachte ich. Auch auf dem Rückweg sollte ich die Wahl bereuen, dann jedoch wegen der fehlenden kleinen Gänge.

Panorma auf Melkhörn
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     Ich stoppte an der Melkhörndüne, die mit exakt 21,3 Metern die höchste Erhebung Langeoogs darstellt und von der man einen wunderbaren Blick nach Westen auf den Hafen und das Dorf hat. Im Norden die See, im Süden das friesische Festland mit seinen unzähligen Windkraftanlagen und im Osten die Meierei.
     Nur wenige Menschen saßen in der Gaststube, die aussieht, als habe sie sich in den letzten Jahrzehnten nie verändert, was wohl auch den Tatsachen entspricht. Ich trank einen Tee mit Kluntjes und Sahne, aber Postkarten schrieb ich keine. Mir war nicht danach, die Leute mehr oder minder fröhlich aus meinem Urlaub zu grüßen und von der Wetterlage zu berichten.
Beobachtung - Zum Strand     Ich radelte noch ein kurzes Stück weiter, stellte das Rad dann ab und lief zur Aussichtsplattform. Hier am Ostende darf der Strand nicht betreten werden, die Dünen natürlich ohnehin nicht. Es ist der Brut- und Zufluchtsort vieler Vogelarten, und zwischen Langeoog und Spiekeroog kann man auch Seehunde beobachten.
     Das östliche Ende der Insel ist menschenleer. Ich blicke durch das Fernrohr auf der Aussichtsplattform, und tatsächlich dösen dort draußen etliche Dutzend Seehunde auf einer Sandbank.
     Bereits seit geraumer Zeit hatte sich der Himmel zugezogen und dann – pat-pat-pat – fielen die ersten Tropfen auf meine Regenjacke. Ich wartete auf der Plattform im Schutz der kleinen grünen Hütte bis der Regen nachließ und lief dann zurück zu meinem Rad. Immer noch keine Menschenseele zu erblicken.
     Der Wind kam nun genau von Westen und ich hatte Schwierigkeiten, dagegen anzukämpfen. Noch allzu weit entfernt sah ich den Wasserturm von Langeoog, der sich von Sekunde zu Sekunde aufzulösen schien. Eine Regenfront kam schnell näher. Ich passierte die Meierei und die Jugendherberge, als der Regen schließlich einsetzte. Verbissen radelte ich jetzt gegen Wind und Nässe an und erreichte eine der kleinen Schutzhütten. Gegen den Regen hätte beinahe auch meine Regenjacke kapitulieren müssen. Hier schützt eigentlich nur das, was 100-prozentig wasserdicht ist.
Fahrrad     Ich blickte aus der Hütte hinaus nach rechts und links, und aus Richtung Meierei kam ein einzelner Radfahrer, der auch mit Wind und Regen kämpfte und dann ebenfalls in der Hütte Schutz suchte.
     »Hallo.«
     Sie war wohl etwas jünger als ich, zog Ihre 100-prozentig wasserdichte Regenjacke aus und ließ sie abtropfen.
     »Hallo. Was für ein Sauwetter!«
     Und was für ein wahnsinnig origineller Satz von mir.
     Sie strich sich die nassen Haarsträhnen, die nicht unter der Kapuze Schutz gefunden hatten, aus dem Gesicht.
     »Na, das ist hier nichts Besonderes für diese Jahreszeit. Bist du zum ersten mal auf der Insel?«
     »Ja.«
     »Allein?«
     Sie stellte ganz schön direkte Fragen.
     »Ja.«
     »Was treibt einen denn so allein um diese Jahreszeit auf Langeoog?«
     Wieder so eine direkte Frage, die mich irritierte. Was sollte ich antworten? Aus irgendwelchen Gründen, vielleicht weil mir die Wahrheit in diesem Moment einfach zu banal erschien, log ich.
     »Ich schreibe einen Roman.«
     Überrascht schaute sie mich an.
     »Im Internet?«
     Was war denn das jetzt für eine merkwürdige Frage?
     »Äh, nein.«
     »Achso, ich dachte nur, weil ich am Samstag von so einem Projekt in der Ostfriesenzeitung gelesen habe.«
     »Aha.«
     Stille, bis auf das Pot-pot-pot der Regentropfen auf dem Dach. Beide blickten wir nach draußen.
     »Bist du denn auch allein hier?«
     »Ja, sozusagen. Ich arbeite hier in einem Hotel. Noch bis zum Ende der Woche. Eigentlich komm‘ ich aber vom Festland.«
     »Aha.«
     Sie zog ihre Regenjacke wieder an. Das Pot-pot-pot hatte aufgehört. Fast schon wieder auf dem Weg zu ihrem Fahrrad, fragte sie: »Was für einen Roman schreibst du denn?«
     Wieder log ich: »Eine Gespenstergeschichte. Es geht darin um einen Schwarzen Reiter, der mit Labith-Kugeln um sich schießt.« Was für ein Unsinn einem so auf die Schnelle einfällt.
     »Aha.«
     Sie saß schon auf ihrem Fahrrad.
     »Na, dann wünsch‘ ich noch eine kreative Feder. Tschüs.« Und sie radelte von dannen und ließ mich allein in der Hütte zurück.
     Irgendwie war ich wohl noch etwas verwirrt über unser Gespräch, und dann war mein erster Gedanke, warum ich sie nicht gefragt hatte, in welchem Hotel sie arbeitet. Der zweite Gedanke kam auch reichlich verzögert: Hinterher!
     Aber ich konnte sie nicht mehr entdecken.

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