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Warum Sibylle Berg Ihr Leben zerstören könnte – und Trost bringt

Sibylle Berg: Der Tag, an dem meine Frau einen Mann fand

Der neue Roman von Sibylle Berg ist da: »Der Tag, als meine Frau einen Mann fand«. Ein feines, in Leinen gebundenes Buch mit Lesebändchen. Man nimmt es gerne in die Hand, doch die Lektüre könnte unerträglich werden.

Das Prosawerk ist ein Ratgeberbuch für ein glückliches Leben – wenn man nicht ständig an sein eigenes Dasein denken müsste.

Sibylle Berg gehört zu den Autorinnen, die die meisten eher als Spiegel-Kolumnistin oder via Twitter und Facebook kennen. Doch nicht nur als Theater-, sondern auch als Romanautorin ist sie seit Jahren eine der besten zeitgenössischen Schriftstellerinnen.

Der sogenannte »Literaturbetrieb« verschmäht sie meist. Man findet ihre Bücher so gut wie nie auf den Short- und Longlists der deutschen Literaturpreise, obwohl sie dort hingehören. Dass ihr letzter Roman »Vielen Dank für das Leben« nicht für den Deutschen Buchpreis nominiert war, ist peinlich für die Jury. »Der Tag …« steht fast schon erwartungsgemäß nicht auf der Nominiertenliste für den Preis der Leipziger Buchmesse.

Die Autorin scheut eher die große Auftritte, aber das kann nicht der Grund sein, warum sich die Qualität ihrer Bücher nicht in Preisen ausdrückt.

Vielleicht haben die Literaturpreisjurys Angst vor Bergs Texten?

Denn die Romane von Sibylle Berg muss man aushalten können! Ihre Figuren fragen sich beständig, warum das Leben so ist, wie es ist, und welchen Sinn das Ganze hat. Man könnte es sich auf dieser Welt schließlich so schön machen – aber man macht es nicht. Man nimmt irgendwie Teil an den Spielen der Gesellschaft um Ruhm, Macht und Sex.

Bergs Figuren sind jedoch keine Jammerlappen oder defätistische Selbstmordkandidaten. Sie nehmen an den Spielen teil; einige Aspekte daran sind interessant, doch gleichzeitig hinterfragen sie ständig ihre Situation. Das macht die Romane von Sibylle Berg so gefährlich: Man identifiziert sich nicht unbedingt mit den Figuren, aber deren Denkweise ist einem sehr vertraut. Passt man nicht auf, so stellt man plötzlich selbst den Sinn vieler Dinge infrage: den aktuellen Job, die aktuelle Beziehung oder die geplante Urlaubsreise. Alles ist oftmals so anstrengend – und das müsste es doch gar nicht!

»Der Tag, als meine Frau einen Mann fand« ist von der Form her ein typisches Berg-Werk. Wie schon in ihrem Erstling »Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot« oder in »Die Fahrt« ist der Text in viele kurze Kapitel unterteilt, die jeweils aus der Perspektive einer anderen Figur erzählt werden. Anhand der Beschreibungen und Reflexionen wird die Handlung gleichsam im Hintergrund mitgezogen. In »Der Tag, als meine Frau einen Mann fand« sind es (fast) nur zwei Perspektiven: die eines Ehepaares.

Seit über 20 Jahren sind sie verheiratet, und nun sehen sie sich beim Älterwerden zu. Rasmus wollte ein berühmter Theaterregisseur werden, hatte Ambitionen, wollte Karriere machen, in den großen Häusern dieser Welt inszenieren, doch es hat nicht geklappt. Dennoch hofft er weiter darauf. Jetzt sitzt er in einem Drittweltland und führt soziale Theaterprojekte mit einheimischen Jugendlichen durch. Die kommen – wenn überhaupt – nur zu den Treffen, weil es hinterher Bier gibt.

Chloe hingegen hat die Aufgabe, an Rasmus‘ Seite zu sein, jedoch nicht als schwache Partnerin. Sie scheint die Stärkere in dieser Beziehung, lebt für diese Aufgabe, denn Sie weiß, dass sie wichtig ist.

Aber warum? Warum sind die beiden noch zusammen? Welche anderen Aufgaben muss man erfüllen? Sollte man noch Sex haben, obwohl es eher eine Pflichterfüllung ist? Kann man nicht einfach nur so zusammen sein? Die Körper werden ja auch nicht schöner mit den Jahren. Dann lernt Chloe einen anderen Mann kennen. Dieser folgt ihr nach Deutschland, als Chloe und Rasmus wieder dorthin zurückkehren.

Man könnte den Roman als »Beziehungsdrama« bezeichnen. Vielleicht ist es gar ein Schicksalsroman. Doch keine der Bezeichnungen passt für diesen Text, denn er ist von Sibylle Berg und hat daher seine ganz eigene Kategorie, seine ganz eigene Sicht, die immer wieder durchscheinende Ruhe trotz all der unglaublichen Dinge, die da passieren. Rege dich nicht auf, so ist das Leben, irgendwie blöd, aber so ist es eben. Verdammt. Wir könnten es ja ändern.

Wer bei der Lektüre nicht verzweifelt, weil er oder sie sich im Text zu sehr wiederfindet, der blickt auf den Humor, der in den Romanen von Sibylle Berg steckt. Natürlich sind es auch die vielen aphoristischen Formulierungen, die wie eine Zitatsammlung den Text durchsetzen. Beim Hanser Verlag hat man viele davon auf den Schutzumschlag gesetzt. Die machen neugierig, doch ihre ganze Wirkung entfalten sie erst im Text selbst, der dadurch sprachlich ungeheuer dicht wirkt.

Man kann nach der Lektüre eines Berg-Werks verzweifeln, man kann aber auch dazu angeleitet werden, das Absurde dieser Welt besser wahrzunehmen, zu ertragen und etwas im eigenen Leben ändern, wenn man nicht so sein will wie die Menschen im Roman, die irgendwie so sind wie viele im richtigen Leben.

Das ist der unglaubliche Trost, den Sibylle Bergs Texte ins eigene Leben bringen können.

Wolfgang Tischer

Sibylle Berg: Der Tag, als meine Frau einen Mann fand: Roman. Gebundene Ausgabe. 2015. Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG. ISBN/EAN: 9783446247604. 11,61 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Sibylle Berg: Der Tag, als meine Frau einen Mann fand: Roman. Kindle Ausgabe. 2015. Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG. 9,99 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige

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5 Kommentare

  1. Nicht verzweifeln! Gelobt sei, was hart macht!

    Ich kann sie mir schon vorstellen, die Herren Literaturpreisentscheider! Weicheier vor dem Herrn! Man lese einfach mal Kruso und schüttele den Kopf!

    Aber meine Antwort kommt bald: Krudo! Der neue Roman von Brad Roderick, dem Autor von “Eine verrückte Geschichte der Zeit” und “Zopflos”. Nimmt aktuellen Bezug auf Pegida und Salafismus!

    Und Action Bradson knöpft sich dann mal die Feuilleton-Fuzzis vor.

  2. Ich fürchte, Herr Tischer geht hier einer recht durchschaubaren PR-Masche der Autorin (oder ihrer Agentur, ihres Verlages) auf den Leim. Ein rascher Blick auf Wikipedia zeigt ja, dass Frau Berg schon einige Literatur-Auszeichnungen herzeigen kann (wenn auch wohl zumeist für ihre Bühnenwerke). Wenn nun über fehlende Preise für ihre Prosa geklagt wird (von wem auch immer), so kann das zwei mögliche Folgen haben: 1) JurorInnen fühlen sich angesprochen und verpassen ihr einen Preis, oder 2) jetzt erst recht nicht! Im zweiteren Fall kann man dann wieder beklagen, dass die Autorin boykottiert, gemobbt, unterdrückt, vernachläsigt werde … Aus meiner Sicht als Österreicherin die älteste Masche überhaupt, beginnend bei Grillparzer über Bernhard bis Heller.

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