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Textkritik: Kreuzzug des Hasses – Romananfang

Eine Textkritik von Malte Bremer

Kreuzzug des Hasses

von Barbara Jung
Textart: Romananfang
Bewertung: 3 von 5 Brillen

Eine schwarze Gestalt öffnet das niedrige hölzerne Gartentor. Der Junge hört sie nicht, obwohl das Tor leise in seinen Angeln quietscht. Aber es sind noch viele andere Geräusche um ihn herum: das Zwitschern der Vögel, die emsig an ihren Nestern bauen, hoch über seinem Kopf streicht singend ein sanfter Wind durch die Zweige mit ihrer weißrosa Blütenpracht, und immer wenn die Brise in einer übermütigen Bö auflebt, lässt sie Blütenblätter herabregnen, leise und sacht, so wie Schnee, der unversehens aus einem sonnig blauen Himmel fällt. Ein Schiff tutet dumpf auf dem breiten Strom. Und der Hund, fast noch ein Welpe, zerfetzt unter drolligem Knurren einen Filzpantoffel der Mutter, der durchlöchert ist und sowieso nicht mehr hatte repariert werden können, obwohl die Mutter es mehrmals versucht hat, weil die Zeiten schwer und neue Hausschuhe teuer sind.
Der Junge blickt erst auf, als ein dunkler Schatten über ihn fällt. Er erschrickt heftig.
Der Träumende weiß, nicht die gespenstische altersschwache Vogelscheuche, deren klapperdürre, fetzenbehängte Gestalt das frisch eingesäte Getreidefeld weiter landeinwärts bewacht, hat ihren Standort verlassen und ist gekommen, um ihm, dem kleinen Jungen, der er war, seine kindliche Furcht vor ihr in seinen kleinen behüteten Garten nachzutragen.
Der Träumende weiß, es handelt sich um keine übernatürliche Erscheinung, wenn auch die erbärmliche Gestalt, die da vor dem Jungen steht, einer Vogelscheuche durchaus ähnelt: Ein Bettler ist es, der in das kleine Refugium im Alten Land eingedrungen ist. In Deutschland regiert das Wirtschaftswunder, aber Wunder sind launisch wie das Schicksal und bei ihrem Wirken höchst unzuverlässig. Manche verzweifelt Hoffenden werden einfach vergessen, obwohl auch sie leben wollen. Und viele von ihnen fliehen vor der gefühllosen, eigensüchtigen Geschäftigkeit der nahen Großstadt und ziehen über Land, um von den Glücklicheren, die selbstgezogenes Obst, selbstangebautes Gemüse ihr eigen nennen, eine Mahlzeit zu erbitten, weil sie selbst gar nichts haben außer viel Zeit, die ihnen nur vertrieben wird durch die langen Märsche von Haus zu Haus, und mit der Musik ihrer knurrenden Mägen als einzigem Wegbegleiter.
Obgleich dem Träumenden all dies gegenwärtig ist, beschert der Alp ihm, jedes Mal neu, die Furcht des kleinen Jungen, der er einstmals gewesen ist, der sich seinen Hund schnappt und angstvoll »Mutter!« schreit und zum Haus rennt. Und er träumt, wie es war, als der Schatten über ihm nicht weicht, sondern ihn verfolgt bis hin zu den drei Stufen vor der Haustür, wo der Junge über seine kleinen Füße stolpert und hinfällt. Und er sieht die braungrauen, löchrigen Stiefel des Mannes mit ihrem Muster aus weißen Schweißflecken und der mit einem Gummiband gehaltenen, klaffenden Sohle, in der kleine rostige Nägelchen halten sollen, was nicht mehr zu halten ist, und die aussehen wie das Gebiss eines Hechtes. Übergroß ragen die Stiefel vor ihm auf, ihre Schäfte halb verdeckt durch die Fransen einer ehemals dunkelbraunen Cordhose und ein Stück weiter drüber durch den löchrigen, abgestoßenen Saum eines dunklen Mantels, dessen Farbe und erst recht sein Alter kaum noch zu benennen sind.
Das Kind klammert sich an seinen Hund, der laut fiepend protestiert und wild strampelt. Doch es hält ihn fest, den Mund zum Schrei geöffnet, aber die Stimmbänder vom Entsetzen gelähmt. Auch der Träumende kann nicht schreien, so sehr er sich auch anstrengt. Er keucht und windet sich auf seinem Lager und hält in schützender Abwehr die Hände über seinen Kopf. Das Grauen ist riesengroß, und es schüttelt ihn mit rohen Fäusten. Es hilft nichts, dass er weiß: Gleich öffnet sich die Tür hinter dem Kleinen, und seine Mutter breitet den Trost ihrer Stimme über ihn.
Die Mutter hat eine herbe Stimme, durchsetzt mit einer kratzigen Heiserkeit, die vom Weinen um den Vater herrührt, der die Folgen des Krieges und der Gefangenschaft nicht überlebt hat, vom ewigen Wind in der Nähe des Stromes mit seiner salzigen Meeresfeuchtigkeit, vom Klagen und von den erbitterten Racheschwüren, die einer herzlosen Gesellschaft gelten, und vom Hersagen der Gebete, die Linderung schaffen sollen und diese verweigern.
In diesem Augenblick ist ihre Stimme schrill und hart, hart wie das Nudelholz, das sie schwingt, um ihren Sohn, sich selbst, ihr Haus und ihre geringe Habe vor einem zu verteidigen, der nichts hat von alldem, nur sich selbst und seine armselige Bedürftigkeit, und der dieses Selbst genauso wertschätzt wie sie ihres und der es unterhalten muss, damit er weiterkommt auf seinem Weg von Irgendwoher nach Irgendwohin. Der Junge hört die Worte, die sie schreit. Hört Worte wie »Gesindel, Landstreicher, faules Pack, Schänder und Mordbrenner« und weiß mit den meisten nichts anzufangen. Er versteht auch nicht genau, was sie meint mit: »Ich schwöre dir bei Gott, ich schlage dich tot, du räudiger Strolch!« Der Junge vertraut darauf, dass es zu seinem Wohl, zu seinem Schutz ist.
Und ganz und gar versteht er nicht das Folgende, weiß es bis heute nicht, ob es ursprünglich ihm oder wirklich seinem Hund gegolten hat, als sich der Fuß des Mannes hebt, als er ausholt und als sich die Stiefelspitze mit der klaffenden Sohle seinem Gesicht nähert. Er spürt, wie sie kurz davor abschwenkt und statt dessen seinen Hund in seinen Armen trifft. Er weiß das Knacken im Körper des Hundes nicht zu deuten und auch nicht, warum dieser Körper plötzlich schlaff und leblos wird. Er sieht den Schrecken und die Schuld in den Augen des Bettlers, aber er erkennt beides nicht. Er sieht den Mann nur davonrennen, verstohlen nach allen Seiten nach Nachbarn Ausschau haltend, die es hier nicht gibt, jedenfalls nicht innerhalb der Distanz, welche die Schreie der Mutter überbrücken können. Es dauert nicht lange, da ist er verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben. Nur die Worte »Mörder!« und »Elender Lump, verrecken sollst du!« und noch eine ganze Menge mehr verfolgen seine Spur. Doch nur der Flüchtling selber weiß, wie viel davon er noch gehört hat.
Die Mutter verstummt noch lange nicht. Nur leiser ist ihre beanspruchte Stimme geworden. Selbst als sie am Abend nach einem ungewöhnlich üppigen Abendessen mit viel gebratenem Fleisch eine Schaufel holt und sich im Garten unter einem der Apfelbäume zu schaffen macht, schimpft und jammert sie noch immer vor sich hin, und der Junge, der in seinem Bett liegt, hört sie abwechselnd fluchen und lamentieren über die Ungerechtigkeit und Hartherzigkeit der Welt gegenüber einer schuld- und schutzlosen verwitweten Mutter, bis er endlich einschläft.

© 2001 by Barbara Jung. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Der Anfang von diesem Romananfang ließ meine Erwartung zunächst ins Bodenlose sinken, aber dann erholte sie sich zusehends und bekam nur noch stellenweise ihre Dämpfer: Es finden sich viele vorzügliche Stellen, sprachlich und inhaltlich: Diese zu vermehren muss das Ziel sein!
Weil das nur der Anfang eines Romans ist, erfahren wir fast nichts vom Hass, und gar nichts vom Kreuzzug; wir erfahren viel von der Deformation eines Kindes, von einem Trauma, das dieses Leben wohl prägt. Dies wird zum großen Teil eindringlich und sprachlich überzeugend gestaltet. Aber es bleibt noch viel zu tun, allein schon an diesem Beginn: Ich würde eine Bearbeitung empfehlen; das ist leicht gesagt, denn ich weiß nicht, wie lang der Roman (schon) ist, weiß nicht, ob die guten Momente stärker werden oder ob eher zum Fragwürdigen der weitere Text sich neigt. Und: Kann die erzeugte Spannung gehalten werden?

Die Kritik im Einzelnen

Etwas Schwarzgestaltetes bricht gleich zu Anfang in eine Idylle ein: das ist schon kein Wink mehr mit dem Zaunpfahl, da wird ein ganzer Gartenzaun geschwenkt: Liebe Leserinnen und Leser, macht euch auf etwas Erschreckendes gefasst, etwas Oberböses schlägt gleich zu!
Der auktoriale Erzähler weiß sehr wohl, dass die schwarze Gestalt ein Bettler ist: warum wird das verschwiegen? Würde das anschließende Erschrecken des Jungen an Intensität verlieren? Einen solch brachialen Beginn hat dieser Romananfang in keiner Weise verdient, geschweige denn nötig! Vielleicht wäre eine Passivkonstruktion angemessener: Das niedrige Gartentor wird geöffnet. Dieser Verbesserungsvorschlag gilt jedoch nur für diesen isolierten Satz, nicht für den weiteren Zusammenhang (s.u.). zurück
Als unerbittlicher Feind von Adjektiven frage ich, welchen Sinn diese beiden Adjektive stiften: soll niedrig eine Klein-aber-mein-Idylle unterstützen? Hölzern die Naturverbundenheit? Reicht nicht eines von diesen Adjektiven, sofern überhaupt eines sein muss? Vielleicht niedrig im Gegensatz zu einer hohen Gestalt (aber nicht hoch genug, um das Tor einfach zu überschreiten), oder hölzern im Kontrast zu dem fleischernen Bettler? Was anschließend einzig von Bedeutung ist, ist ein Quietschen! Wozu sich also mit dem Gartentor aufhalten, das seinerseits niemanden aufhält? zurück
Zunächst muss ein Gartentor quietschen, damit jemand es hören kann (oder gerade nicht: wo nichts Schallwellen verbreitet, kann jemand auch nicht nichts hören). Die nachgeschobene Konzession stellt dieses Verhältnis jedoch auf den Kopf; erneuter ein isolierter Vorschlag: Obwohl das Tor leise quietscht, hört der Junge es nicht. Die Angeln habe ich entfernt, schließlich sind sie als Hauptursache für das Tür&Tor-Quietschen landauf landab berüchtigt. zurück
Aber stellt einen Gegensatz zum Quietschen her, gemeint ist aber (!!!) eine Begründung, warum der Junge das Quietschen nicht hört! Folglich müsste der Satz anfügen: Denn es sind noch viele andere Geräusche um ihn herum.
Doch auch dieser Satz missfällt mir: sein und haben als Vollwerben drücken prinzipiell nur wenig aus, können in sehr vielen Fällen durch stärkere Verben oder bessere Konstruktionen ersetzt werden: denn andere Geräusche beschäftigen seine Aufmerksamkeit oder denn andere Geräusche übertönen es.
Das ist gewiss nicht der Weisheit letzter Schluss! Ich möchte auch nicht länger an jedem einzelnen Satz rumbosseln, sondern ich würde den ganzen Beginn umformulieren: Als das Gartentor geöffnet wird, quietscht es leise. Der Junge hört es nicht wegen der anderen Geräusche um ihn herum: Diese Inversion ist ganz bewusst, denn jetzt folgt eine Aufzählung von (mit einer Ausnahme.) Geräuschen; das unterstreicht bereits der vorliegende Text goldrichtig mit dem Doppelpunkt! zurück
Zwitschern Vögel, wenn sie bauen? Halten die nicht eher den Schnabel, um die mühsam ergatterten Bauteile nicht zu verlieren? Der Relativsatz engt die in Frage kommenden Vögel zu sehr ein! Zudem sind alle folgenden Geräusche in einem Satz versteckt, nur hier nicht! Aus stilistischen Gründen (Parallelführung) würde ich raten, auch hier einen Satz zu bilden und diesen vom nächsten durch einen Strichpunkt zu trennen usw., bis alle Geräuschquellen bekannt gegeben sind: erst dann ist der doppelgepunktete Hinweis erfüllt! Vögel begleiten zwitschernd den Nestbau; (einige Fleißvögel könnten bauen, während andere für Unterhaltung sorgten.). zurück
Hier geht es überraschend lyrisch-alliterierend zu: singend ein sanfter Wind; dazu will das präpositionslastig nominalstilige durch die Zweige mit ihrer weißrosa Blütenpracht so gar nicht passen; ich würde wagen: hoch über seinem Kopf singt sanfter Wind durch weißrote Blütenpracht (streicht musste ich streichen, schließlich ist nomen omen!).
Darüber hinaus würde ich empfehlen, die verschiedenen Geräusche nach Stärke zu sortieren, also zunächst Windgeräuschlein, dann Vogeläußerungen; zurück
Das Wort fällt ist wesentlich geräuschvoller als das, was die Blütenblätter beim Absturz treiben; wenn Blütenblätter leise fallen, ist gerade nicht das Geräusch gemeint; es handelt sich um ein Synästhesie, um einen Assoziationsbereich quer durch unsere Sinnenwelt. Die Blütenblätter fallen leicht und langsam und absolut geräuschlos von leise bleiben also lediglich die Assoziationen leicht und langsam schwebend übrig.
Da hier aber Geräusche aufgezählt werden sollen, müsste von Rechts wegen der Satz nach Blütenpracht bis zu fällt ersatzlos gestrichen werden, so sehr er auch die Jahreszeit näher bestimmen mag! zurück
Der Hund zerfetzt einen Filzpantoffel; der Filzpantoffel ist durchlöchert; der Filzpantoffel hatte nicht mehr repariert werden können. Drei Informationen werden sehr ohne Zusammenhang zusammen gehängt. Entscheidend ist doch: die Mutter hatte es aufgegeben, die Löcher zu reparieren, und so kam der Hund zu seinem Filzpantoffel. Warum dieses nachgeschobene und sowieso? Das heißt doch, dass der Filzpantoffel zwar durchlöchert war, aber aus ungenannten anderen Gründen sowieso nicht mehr zu reparieren war, selbst wenn die Löcher gestopft oder verrammelt oder vernietet oder wasweißichnichtalles wären. Hier wird versehentlich-leichtfertig eine Spur gelegt, die inhaltlich ins Abseits führt! Ein zusammenhängender Verbesserungsvorschlag erfolgt für den gesamten ersten Abschnitt am Ende desselben! zurück
Der Filzpantoffel wäre durchaus noch zu retten gewesen, entnehme ich verblüfft diesem obwohl: denn nur Mutter hat nach mehrmaligen Versuchen aufgegeben (und hat andere wohl an eigenen Versuchen gehindert). Wäre Mutter in den vorherigen Satz gezogen worden, wäre obwohl berechtigt: Mutter hatte ihn nicht mehr reparieren können, obwohl sie es mehrmals versucht hatte leuchtet mir auf Anhieb ein. Die Originalversion dagegen ist unfreiwillig komisch. zurück
Warum erschrickt der Junge? Der Junge erschrickt, weil er aufblickt und etwas sieht. Was sieht der Junge? Er sieht einen schwarzen Schatten. In Reinschrift: Der Junge blickt auf, sieht einen schwarzen Schatten und erschrickt darob. So weit so gut.
Aber: Warum blickt der Junge auf? Nun: der Junge blickt auf, weil ein schwarzer Schatten über ihn fällt, woraufhin er den schwarzen Schatten, den er gerade gesehen haben muss ohne zu erschrecken, unversehens sieht, woraufhin er erschrickt, weil er hastenichtgesehen den schwarzen Schatten plötzlich sieht, der wie gesagt seinerseits wiederum zunächst gesehen werden musste, damit er anschließend gesehen werden konnte.
Erschreckend: diese Addition von Ereignisses funktioniert nicht! Nicht so! zurück
So, wir sind am Ende des ersten Abschnittes angelangt: das behaupte ich, obwohl der Satz im vorliegenden Text einzeln steht: aber zu Unrecht (meine ich): Der Abschnitt beginnt mit etwas Unbekanntem, es folgt eine Idylle, dann der Schrecken, verursacht durch das Unbekannte aus der ersten Zeile; der Rahmen ist geschaffen, und ich finde keinen Grund, diesen Satz besonders hervorzuheben, zumal sich die Situation im folgenden Absatz radikal ändert!
Ich habe damit gedroht, den ersten Absatz (meinen ersten Absatz) nochmals und erstmals im verbesserten Zusammenhang zu präsentieren; ich versuche mich dabei eng an die Vorlage zu halten. Dass man durchaus anderer Meinung sein kann, ist Binse! Und nicht minder Binse ist, dass mein Vorschlag ebenfalls verbesserungswürdig sein wird. Es geht mir auch nur um die Hauptfehler.
Darüber hinaus: In dem vorliegenden Text ist dieser der einzige Absatz, der so problematisch ist! Alles andere hat sehr viel Hand und Fuß und Kopf und Bauch – allein schon deshalb mache ich mir die Mühe! Los geht’s:
Als das Gartentor geöffnet wird, quietscht es leise. Der Junge hört es nicht wegen der anderen Geräusche um ihn herum: hoch über seinem Kopf singt sanfter Wind durch weißrote Blütenpracht; Vögel begleiten zwitschernd den Nestbau; ein Schiff tutet dumpf auf dem breiten Strom; der Hund, fast noch ein Welpe, zerfetzt unter drolligem Knurren einen Filzpantoffel der Mutter, den sie nicht mehr hatte reparieren können ungeachtet all der Versuche: in diesen schweren Zeiten, wo neue Hausschuhe teuer sind. Als ein dunkler Schatten über ihn fällt, blickt der Junge erschrocken auf.
PS: dass das erste und letzte Satzgefüge mit als beginnen, ist mitnichten Zufall! zurück
Zwischen diese beiden Wörter gehört ein Doppelpunkt! Dem Leser wird Zeit gegeben, über den plötzlichen Sichtwechsel nachzudenken: »Der Träumende weiß:«, und es folgt anschließend (wie schon oben bei den Geräuschen), was der Träumende weiß. zurück
Hier wird überflüssigerweise 2x die selbe Aussage getroffen: der Träumende war einst der kleine Junge. 1x muss genügen: .ist gekommen, dem kleinen Jungen, der er war seine. zurück
Ebenfalls ein Doppelpunkt zwischen die beiden Wörter, um die beiden Absätze parallel zu führen. zurück
Da im parallelen Absatz nach dem Doppelpunkt mit einer Negation fortgefahren wurde, könnte und sollte das hier (annähernd) wiederholt werden: Der Träumende weiß: um keine übernatürliche Erscheinung handelt es sich, wenn. zurück
Hier wird wieder addiert, statt dass der Zusammenhang geklärt wird: Wunder sind nicht launisch und zusätzlich unzuverlässig, sondern unzuverlässig, weil sie launisch sind: Wunder schlagen zu, wenn sie Bock drauf haben! Will heißen: .aber Wunder sind in ihrem Wirken höchst unzuverlässig, denn sie sind launisch wie das Schicksal. zurück
Da sind wieder so lecker Adjektive, da möchte ich doch wieder zupacken: ist Eigensucht kein Gefühl, nicht sogar ein sehr starkes, nämlich bereits eine Sucht? Was ist eine gefühllose Sucht? Eigensucht mag ein falsches Gefühl sein, ein böses meinethalben, ein gesellschaftsschädigendes auch, ein verbreitetes, ein gekämmtes, ein nützliches sogar überaus: Geschäftigkeit ist entweder gefühllos oder eigensüchtig, also muss eines der beiden (bin gerade sehr gnädig gestimmt!) erwürgt werden. Diese Entscheidung überlasse ich Besonneneren. zurück
Was soll das und, was soll das und, was soll das tun in diesem Satz, das und, was soll das tun? Raus damit, sogar das Komma davor kann fehlen (muss aber überhaupt nicht, iwo!), schließlich ist der Satz noch nicht beendet: das Motiv des Herumziehens wird deutlich, und durch das (grammatisch wohl eher falsche) Komma wird es betont! Aber ja kein und! Keine erneute Addition! zurück
Der Schatten hat keinen Grund, zu weichen: Wenn der Junge weg läuft, dann in der Hoffnung, dem Schatten zu entrinnen, nicht in der Erwartung, dass der Schatten seinerseits weicht, also sich weg bewegt! Korrekt könnte es heißen: Und er träumt, wie es war, als der Schatten über ihm sich nicht abschütteln lässt, sondern ihn verfolgt bis hin. zurück
Der Junge sieht zunächst die durch fransige Hosenbeine halb verdeckten Stiefelschäfte; offenbar wandert sein Blick etwas höher, also nach oben (nicht drüber: dann hinge der Mantel über den Fransen, der Junge hätte sie nicht sehen können); ein Stück weiter drüber ist nur noch unverständlich! Frage: sieht er den Mantelsaum ein Stück oberhalb des Stiefelschaftes? Wenn dem so ist, sollte es auch so heißen! In jedem Falle ist hier mehr sprachliche Genauigkeit erforderlich: schließlich sind dem Jungen all diese Details eingebrannt, und dann will ich mir als Leser das auch bildlich vorstellen können dürfen! zurück
Diesem sein sei ein schleuniger & stillschweigender Auszug aus dem Satz angeraten: es trampelt nur auf der grammatisch korrekten Struktur herum – denn schließlich bezieht sich dessen sowohl auf Farbe wie Alter: eines dunklen Mantels, dessen Farbe und erst recht Alter. zurück
Wir hatten gerade eine Steigerung: Farbe und erst recht Alter; jetzt sind beide wieder gleich, denn beide sind kaum noch zu benennen. Lässt sich Alter benennen? Das behagt mir miss, ich weiß aber nicht, woher das rührt; sicher bin ich nur: sowohl Alter als auch Farbe lassen sich bestimmen: für mich wäre dieses Verbum entschieden geeigneter.
Bleibt das Problem der Steigerung: Wenn kaum noch auf Farbe zutrifft, müsste Alter nicht mehr bestimmbar sein; träfe kaum noch auf Alter zu, dürfte Farbe noch einigermaßen bestimmbar sein! Wie da rauskommen?
Ich würde auf die Steigerung verzichten: .Saum eines dunklen Mantels, dessen Farbe und Alter nicht mehr zu bestimmen sind. zurück
Man stelle sich folgenden Satz vor: Das Grauen ist schnuckelig klein, und es schüttelt ihn mit rohen Fäusten. Alles klar? Prima! Dann geht’s wieder zurück.
Sollte es noch nicht klar sein: Die Größe = Stärke des Grauens ist bildlich dargestellt: Es schüttelt den Jungen mit rohen Fäusten! Dieser Satz sagt alles, er beschreibt die Auswirkungen. Niemand käme auf die Idee – stünde dieser Satz alleine – an ein kleines Gräulein zu denken! Der erste Teilssatz ist völlig überflüssig, denn er benennt nur! Heißen muss es: Das Grauen schüttelt ihn mit rohen Händen. zurück
Wie entscheidend für ein Verständnis dieses Satzes ist es, dass hier ein ganz bestimmter Krieg und eine ganz bestimmte Gefangenschaft betont wird durch die bestimmten Artikel? Reichte nicht aus: der die Folgen von Krieg und Gefangenschaft nicht überlebt hat? Ich denke: doch! Auch Artikel gehören zur Sprache und verdienen es, bewusst gesetzt zu werden! zurück
Ich kann mir im Ernst nicht vorstellen, dass hier das gemeint ist, was da zu lesen steht: der Strom mit seiner salzigen Meeresfeuchtigkeit – denn was für ein Strom sollte das sein, der nur Meeresfeuchtigkeit mit sich führt? Nicht einmal als Rinnsal dürfte dieses Unding bezeichnet werden! Hier verrinnt der Sinn in einer labyrinthischen Satzkonstruktion: vom ewigen Wind mit seiner salzigen Meeresfeuchtigkeit soll es wohl heißen, und diesen Zusammenhang darf man durch weitere substantivische Attribute nicht auseinander reißen.. Oder besser: mit seiner salzigen Meeresfeuchte; das verlagerte den Aspekt mehr auf die Substanz, weg vom Äußerlichen. zurück
Gebete als Bitten an Gott – und nur die können hier gemeint sein – sollen insofern Linderung schaffen, als sie erhört und beantwortet werden. Das ist die Hoffnung. Gebete können aber keinesfalls etwas verweigern, nicht einmal symbolisch personifiziert: sie sind ja selbst Symbol! Gebete können ungehört verhallen, um bei einer typischen Wendung zu bleiben; Hilfe verweigern kann nur der da droben (glücklicherweise nur bei denen, die an ihn glauben); der Satz könnte also lauten: .die Linderung schaffen sollen, aber unerhört verhallen (unerhört öffnete den doppelten Boden, der dieser Situation angemessen wäre; aber das ist nur meine bescheidene Meinung, passt zugestandenermaßen auch nicht zum Stil des vorliegenden Textes. Ungehört erfüllte vorzüglich seinen Zweck.) zurück
Wir wissen nicht viel von dem Bettler, und wir wissen nichts von seinem Weg; der auktoriale Erzähler weiß auch nichts von des Bettlers Weg, also sollte er nicht so tun, als wisse er etwas, als sei von Irgendwoher nach Irgendwohin irgendetwas Bedeutendes; das schrammt gefährlich nahe an der Kitschklippe, und diese Richtung hatte dieser Text bislang nicht nötig: er will eine Geschichte erzählen, was bisher inhaltlich-sprachlich in großen Passagen gelungen ist! Bitte innigst mit flehend erhobenen Armen und vor Inbrunst zitterzuckbebenden Lippen: Weg mit diesem Flachsinn! zurück
Halten zu Gnaden: das sind beileibe keine Worte, weder goldene noch wahre noch erlesene noch erhabene noch tröstende noch erlösende noch befreiende noch liebende noch flehende noch beruhigende noch noch noch; es sind ganz schnöde, einfache, stinknormale und einigermaßen ordinäre Wörter.
Ich hoffe, der Leser weiß die Anstrengung zu würdigen, die es mich gekostet hat, meine chronische Adjektiv-Allergie zu bezwingen, um diese Anhäufung von schmückenden Eigenschaftswörtern aufs virtuelle Papier bringen zu können! Dank auch schön! zurück
Der Bezug zu diesem es folgt unmittelbar in Form der indirekten Frage, damit wird es hinfällig: tilgen! zurück
Wie kann jemand einen Baum sehen, ihn aber nicht erkennen? Welcher Hirnschaden liegt hier vor? Oliver Sacks weiß von solchen organischen Störungen zu berichten – doch dieser Fall ist zum Glück anders gelagert: der auktoriale Erzähler weiß, was in des Bettlers Augen sich widerspiegelt, aber er unterstellt dieses versehentlich dem Knaben. Logisch korrekt könnte dieser Satz lauten: Er erkennt den Schrecken und die Schuld in den Augen des Bettlers nicht. Damit wird wie in der Vorlage deutlich, dass diese Gefühle vorhanden waren, der Bettler also nicht der Schwarze Mann ist, wie die Schwarze Gestalt ganz am Anfang in die Irre führt. Dass ich auf »sehen« verzichtet habe, hängt auch damit zusammen, dass der Junge den Bettler davonrennen sieht – und ich bezweifle, dass der rückwärts gelaufen ist. zurück
Zweimal nacheinander die Präposition nach nebst Nach-barn ist nachgeradezu zu nach-haltig; dabei ist nach allen Seiten verzichtbar, schließlich weiß der Flüchtige nicht, wo Nachbarn sein könnten; um nach Nachbarn zu vermeiden, würde ich nach anderen Menschen vorschlagen, denn die beinhalten selbstverständlich alle Nachbarn und weiten darüber hinaus den Kreis potentieller Helfer aus auf zufällig Anwesende, wenn es schon keine Nachbarn gibt! zurück
Auch hierbei handelt es sich um Wörter. zurück
Da es sich um Wörter handelt, muss es hier viele heißen. zurück
Ein ganz dickes Lob dem auktorialen Erzähler, dass er dem Leser hier kein Hundefleisch auftischt, sondern die Not deutlich macht; das ist viel erschreckender als platt-vordergründige Wahrheit oder wie immer man das betiteln mag. Zudem muss es ja auch kein Hundefleisch gewesen sein.zurück

© 2001 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.