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Textkritik: Circe – Lyrik

Eine Textkritik von Malte Bremer

Circe

von Bruno Bansen
Textart: Lyrik
Bewertung: 3 von 5 Brillen

Bei Männern konnte Frollein Circen
vermittels Kräutern und Gewürzen,
auch Zaubersprüchen und dergleichen
die Wandlung zu ‘nem Schwein erreichen.

Man dieserhalb vor jenem warnte,
was dem passiert, den sie umgarnte,
denn jeden Mann macht diese Frau,
mit Links und Leichtigkeit zur Sau!

© 2004 by Bruno Bansen. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

Zusammenfassende Bewertung

Handwerklich absolut sauber und mit schönen altertümelnden Wörtern und Formen, doch inhaltlich zu flach – das Gedicht stürzt in der zweiten Strophe nicht in mögliche Tiefen, sondern versandet.
Viel zu früh wird »Witz komm raus« signalisiert, aber das Versprechen nicht eingelöst: Das ginge nur, wenn die zweite Strophe vollständig überarbeitet würde; dann könnte dieses Gedicht Lachen oder zumindest Schmunzeln hervorrufen.

Die Kritik im Einzelnen

Hier laufen zwei Bedeutungen durcheinander: die konkrete (die Männer wurden – will man der Odyssee Glauben schenken – realiter in neunjährige Mastschweine verwandelt) und die übertragene (Mä-na-sind-Schwai-ne—–glaubeihnenniiicht-mainkiiind). Als borstige Fleischträger jedoch waren sie zu der übertragenen Tätigkeit bezüglich Circe gar nicht fähig – also wäre es sinnvoller, zumindest in der ersten Strophe auf der konkreten Ebene zu bleiben, quasi als Erinnerung (Stimmt! So war sie, die blöde Kuh!). Dann ließe sich Wandlung in Verwandlung umwandeln, das zu in in verwandeln und das umgangssprachliche ‘nem zu einem hochsprachlichen ein abwandeln. Rückübersetzte man das allzu launige Frollein in das korrekte Fräulein, bliebe einem Leser die Drohung erspart, dass er eigentlich gleich lachen müssen müsste – er bliebe zunächst in der Sicherheit seiner Stimmt!-Erinnerung geborgen; will man homer-historisch ganz korrekt sein, müsste man einwänden (Hoppala: Grauen-Gräuel, Uberschwang-überschwänglich, aber Einwand-einwenden??? Mooooment, dudenhol … nachschlag … Tatsache, duglaubsteseinfachnicht: einwenden-Einwendung [welch widerliches Wort, niemandem ließe ich das durchgehen, dudenhin-dudenher], und Einwand steht ganz allein, dazu gibt es angeblich kein passendes Verb … Was ist nur mit unserer Sprache los?) also, fadenwiederaufnehm (immer diese Unterbrechungen!): will man homer-historisch ganz korrekt sein, müsste man einwänden (das ist jetzt nackter Trotz), dass 1 singulärer Zauberspruch genügte, jedoch unabdingbar war, also nicht neben Anderem auch verwendet werden konnte, und dass dergleichen doch sehr nach Verlegenheitslösung müffelt, schließlich benutzte Circe nur noch 1 weiteres Mittel: eine Gerte! Homerisch-historisch korrekt könnte die Strophe dann folgendermaßen ihre nach wie vor astreinen Jamben entfalten:

Bei Männern konnte Fräulein Circen
vermittels Kräutern und Gewürzen
und Zauberspruch und Gertenstreichen,
Verwandlung in ein Schwein erreichen.
zurück

Die zweite Strophe verstimmt, da sie nicht mehr stimmt: bei Circe ging aber auch gar nichts mit Links und Leichtigkeit! Zunächst einmal musste sie singen, um Mannsvolk anzulocken, alsdann Flaschen entkorken und Wein panschen und kredenzen, in der Folge Essen zubereiten und die Speisen mit gemeinen Kräutern und Gewürzen verfeinern (und dabei höllisch aufpassen, dass man sie nicht ertappt!), dafür sorgen, dass das Mannsvolk dem tückischen Gericht auch anständig zusprach, die betütelten Männer mit dem Zauberspruch belegen und schließlich mit der Gerte schlagen und in den Schweinekoben treiben und zusperren – also wenn das nicht verdammt nach Arbeit riecht, dann weiß ich auch nicht …
Männer im übertragenen Sinn in Schweine verwandeln – dazu müssen Frauen eigentlich nichts Anderes tun, als versehentlich in Sicht- bzw. Reichweite zu geraten: dann verwandeln sich Männer völlig freiwillig. Und jemanden zur Sau machen (im Sinne von »demütigen, fertig machen«) ist eine Fähigkeit, die vor allem Männern eignet – Circe wäre da eine seltene Ausnahme, und die ist, wie gezeigt, erheblich aufwendig (hihi, kommt ja schließlich von Aufwendung!).
Ich erstelle zum Abschluss eine Komplettversion unter Beibehaltung des gleichen Metrums und vieler schöner Wörter und Sätze der Vorlage, um zu verdeutlichen, was Fallhöhe bedeuten kann, hier im Standard-Rahmen Damals-Heute inklusive der genannten Standard-Klischees; die Form würde sich dabei ebenfalls ändern, da das Damals jetzt 6 Zeilen umfasste und das Heute (die »Pointe«) sich mit 2 Zeilen begnügte; formal wird das Heute abgesetzt durch die elliptische Frage, das umgangssprachliche, wiederholte heut und das rhythmisch leicht störende freiwillig: ‘s isch halt heit nimme so schee wie domols, wo die Fraue sisch so rischtisch um die Männä habbe bemiehe misse – tätäää, tätää, tätääääää!

Bei Männern konnte Fräulein Circen
vermittels Kräutern und Gewürzen
und Zauberspruch und Gertenstreichen,
Verwandlung in ein Schwein erreichen.
Man dieserhalb Odysseus warnte,
damit sie ihn nicht auch umgarnte …

Und heut? – Heut wird bei einer Frau
freiwillig jeder Mann zur Sau.

© 2004 by Malte Bremer. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – verboten.