Ab Ende Juni 2025 müssen E-Books barrierefrei sein – doch Selfpublisher können zunächst einmal aufatmen: Sie sind meist von der Pflicht ausgenommen. Dennoch lohnt es sich, barrierefreie Standards zu beachten – für Leserfreundlichkeit und Reichweite für alle und nicht nur für Menschen mit Einschränkungen.
»E-Reader sind doch schon barrierefrei – schließlich können Menschen mit eingeschränkter Sehkraft die Schrift vergrößern, oder?« Diese naive Annahme mag vielleicht einigen durch den Kopf gehen, wenn sie das erste Mal vom Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) hören, das ab dem 28. Juni 2025 auch für E-Books gilt. Doch wer denkt, dass eine verstellbare Schriftgröße bereits das Maß aller Dinge ist, unterschätzt die Bedürfnisse von Menschen mit verschiedenen Behinderungen erheblich.
Barrierefreiheit beginnt schon bei der korrekten Strukturierung des Textes, reicht über sinnvolle Alternativbeschreibungen für Bilder bis hin zu einer logischen Navigation – Aspekte, die oft übersehen werden, aber entscheidend sind für Menschen, die auf Screenreader oder andere assistive Technologien angewiesen sind.
Selfpublisher sind meist ausgenommen – sollten aber trotzdem handeln
Die gute Nachricht: Die meisten Selfpublisher sind von den neuen Vorschriften ausgenommen. Das BFSG sieht eine wichtige Ausnahme für Kleinstunternehmen vor: Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanzsumme von unter zwei Millionen Euro sind von den Barrierefreiheitsanforderungen für Dienstleistungen – und E-Books fallen unter diese Kategorie – befreit.
Diese Regelung dürfte für die allermeisten Autorinnen und Autoren im Selfpublishing-Bereich greifen. Wie die Bundesfachstelle Barrierefreiheit schreibt: »Kleinstunternehmen (weniger als zehn Beschäftigte und höchstens 2 Millionen Euro Jahresumsatz), die Dienstleistungen anbieten, sind vom Gesetz ausgenommen.«
Aber Achtung: Kleinstunternehmen, die Produkte in Umlauf bringen, fallen jedoch unter das BFSG. Das bedeutet, wer physische E-Reader oder andere Hardware verkauft, ist trotzdem betroffen – aber das dürfte für die allermeisten Buchautoren irrelevant sein.
Barrierefreiheit hilft allen
Auch wenn man rechtlich nicht verpflichtet ist, lohnt sich ein Blick auf die Barrierefreiheits-Anforderungen. Denn vieles, was das Gesetz fordert, sollte ohnehin schon längst in jedem professionell gestalteten E-Book vorhanden sein. Dazu braucht man keine Profi-Tools, eine normale Textverarbeitung wie Word bietet auch alle Möglichkeiten – man sollte sie aber auch konsequent nutzen.
Die wichtigste Regel: Verwenden Sie die Strukturelemente Ihrer Textverarbeitung! Das bedeutet konkret: Formatieren Sie Überschriften nicht einfach »fett« und »größer«, sondern nutzen Sie die entsprechenden Formatvorlagen. Das kommt nicht nur Menschen mit Behinderungen zugute, sondern verbessert auch die Lesbarkeit für alle und schafft die Voraussetzung für korrekte Inhaltsverzeichnisse. Dazu unten mehr.
Überschriften richtig auszeichnen
In Microsoft Word funktioniert das so: Markieren Sie den Text, der als Überschrift fungieren soll, und wählen Sie im Reiter »Start« die entsprechende Formatvorlage – »Überschrift 1« für Hauptkapitel, »Überschrift 2« für Unterkapitel und so weiter. Diese Strukturierung ist entscheidend, damit Screenreader durch das Dokument navigieren können. Selbst wenn Ihre Kapitel nur eine Zahl tragen, wollte diese entsprechend formatiert sein.
Wichtig dabei: Organisieren Sie Überschriften in der vorgeschriebenen logischen Reihenfolge und überspringen Sie keine Überschriftenebenen. Verwenden Sie beispielsweise Überschrift 1, Überschrift 2 und dann Überschrift 3 statt Überschrift 3, Überschrift 1 und dann Überschrift 2, wie auch Microsoft in seiner Support-Dokumentation empfiehlt.
Das gilt für alle Strukturelemente: Nutzen Sie für Aufzählungen die entsprechenden Listen-Funktionen, für Zentrierungen die Absatzformatierung und nicht händisch eingefügte Leerzeichen. Was für Print-Layouter wie Pedanterie aussehen mag, ist für assistive Technologien überlebenswichtig.
Das Inhaltsverzeichnis als Navigation
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Inhaltsverzeichnis: Laut dem Leitfaden des Börsenvereins für barrierefreie EPUB3-E-Books soll »die Gliederung des Dokumentes durch Überschriften für die Navigation im Produkt möglichst 1:1 auch im TOC bzw. im Inhaltsverzeichnis abgebildet« werden. Moderne E-Book-Formate erstellen automatisch ein navigierbares Inhaltsverzeichnis aus den korrekt formatierten Überschriften – ein weiterer Grund, warum die saubere Strukturierung so wichtig ist. Dieses »maschinenlesbare« Inhaltsverzeichnis, das aus den korrekt formatierten Überschriften erzeugt wird, ist nicht mit dem zu verwechseln, das man direkt ins Dokument einfügen kann (Einfügen/Index…). Dieses muss nicht zwingend eingefügt werden.
Problemfeld Bild
Bei Abbildungen und Fotos wird es komplizierter. Jedes Bild in einem barrierefreien E-Book benötigt einen sogenannten Alternativtext – eine Beschreibung dessen, was auf dem Bild zu sehen ist. Wie Microsoft erklärt: »Alternativtext hilft Personen, die den Bildschirm nicht sehen können, zu verstehen, was in visuellen Inhalten wichtig ist.«
Alt-Texte in Word einfügen
In Microsoft Word funktioniert das folgendermaßen: Klicken Sie mit der rechten Maustaste auf das Bild und wählen Sie »Alt-Text anzeigen …« im Kontextmenü. Es erscheint ein Dialog am rechten Rand des Dokumentes. Geben Sie einen Alternativtext in das Beschreibungsfeld ein.
Der Alternativtext sollte neutral und sachlich beschreiben, was zu sehen ist. Bei einem Buchcover würde das etwa so aussehen: »Buchcover zeigt eine rote Rose auf schwarzem Hintergrund, darüber der Titel ‘Liebe im Dunkeln’ in weißer Schrift.« Nicht: »Romantisches, stimmungsvolles Cover.«

Bei sich wiederholenden Elementen wie Logos reicht später der Hinweis »Wiederholung Logo« oder »Verlagslogo (bereits beschrieben)«, wie Der Paritätische in seinem Leitfaden empfiehlt.
Achten sie auch darauf, dass Bilder entsprechend kontrastreich sind. Allein schon wegen der E-Reader mit Schwarzweiß-Darstellung sollten Farbbilder auch ohne Farben gut zu erkennen sein.
Wenn Inhalte zu Bildern werden
Besonders tückisch wird es, wenn wichtige Informationen als Bilder eingebunden werden. Tabellen, Diagramme oder sogar Textpassagen, die als Screenshots eingefügt werden, sind für Screenreader nicht zugänglich, es sei denn, sie werden mit ausführlichen Alternativtexten versehen.
Die bessere Lösung: Tabellen als echte Tabellen formatieren, nicht als Bilder. Textinformationen als Text einbinden, nicht als Screenshot. Diagramme mit detaillierten Beschreibungen versehen oder – noch besser – die wichtigsten Daten zusätzlich im Fließtext erläutern.
Weitere Stolpersteine und wie man sie umgeht
Spracheinstellungen: Bei mehrsprachigen Texten funktioniert die automatische Spracherkennung nicht immer zuverlässig. Die richtige Sprachzuweisung ist für Screenreader entscheidend, da sie sonst den Text in der falschen Sprache aussprechen.
PDF-Export: PDF-Dateien sind zwar keine E-Books im eigentlichen Sinne, doch wenn Sie Ihr Word-Dokument in ein PDF umwandeln, achten Sie auf die richtigen Einstellungen. Aktivieren Sie »Textmarken erstellen mit Hilfe von Überschriften« und »Dokumentstrukturtags für Barrierefreiheit« sowie »PDF/A-kompatibel«. Die Checkbox »Text als Bitmap speichern« sollte deaktiviert bleiben. Vorsicht: Dies gilt nicht für PDF-Dateien, die für den Druck erstellt werden.
Automatische Funktionen nutzen: Word bietet unter »Datei« → »Informationen« → »Auf Probleme überprüfen« → »Barrierefreiheit überprüfen« eine eingebaute Prüffunktion, die häufige Probleme identifiziert, wie die FernUniversität Hagen in ihrem Leitfaden erläutert.
Warum es sich für alle lohnt – auch ohne Gesetzeszwang
Fast jeder zehnte Deutsche ist behindert oder hat eine kognitive Einschränkung. Dazu kommen ältere Menschen, deren Sehkraft nachlässt, oder Menschen mit temporären Einschränkungen. Acht Prozent aller Männer sind farbenblind. Eine barrierefreie Gestaltung erweitert also nicht nur die potenzielle Leserschaft, sondern verbessert auch die allgemeine Benutzerfreundlichkeit.
Und mal ehrlich: Wer heute noch Überschriften durch »fett« und »größer« formatiert oder Aufzählungen mit Bindestrichen tippt, anstatt die entsprechenden Funktionen zu nutzen, arbeitet ohnehin unprofessionell. Barrierefreie E-Books sind in der Regel auch technisch sauberer und kompatibeler mit verschiedenen Lesegeräten.
Außerdem: Auch wenn Selfpublisher heute noch ausgenommen sind – wer weiß, wie sich das Geschäft entwickelt? Wer bereits heute sauber arbeitet, ist für eventuelle Änderungen der Rechtslage oder des eigenen Unternehmensstatus gerüstet.
Das Gesetz als Chance für alle verstehen
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz mag auf den ersten Blick wie ein weiterer bürokratischer Stolperstein aussehen. Für Selfpublisher ist es aber vor allem eine Chance: die Chance, professioneller zu arbeiten, die eigene Zielgruppe zu erweitern und – ganz nebenbei – auch noch rechtlich auf der sicheren Seite zu stehen.
Wer schon heute die Grundregeln befolgt, muss sich morgen keine Sorgen machen. Und wer noch nicht sauber formatiert, sollte es spätestens jetzt lernen – nicht nur wegen der Barrierefreiheit, sondern auch aus professionellem Anspruch. Gute Bücher verdienen gute Technik. Punkt.