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Damit der Schreibmuskel nicht verkümmert: »Leben, schreiben, atmen« von Doris Dörrie

 

Doris Dörrie: Leben, schreiben, atmen

Als ich »Das Parfum« von Patrick Süskind las, wollte ich an allen Gegenständen um mich herum riechen, vom Bleistift über den Vorhang bis hin zum Kaffeelöffel. Als ich »Leben, schreiben, atmen« von Doris Dörrie las, wollte ich über alles um mich herum schreiben, über meine Gedanken und Erinnerungen.

Die Buchcover des Diogenes Verlags sind die allerschönsten. Schlicht und klar gehalten, zeitlos und elegant. Dies trifft auch auf das Cover des Buches »Leben, schreiben, atmen« der deutschen Regisseurin und (Dreh-)Buchautorin Doris Dörrie zu, der im September 2019 erschienenen »Einladung zum Schreiben«. Nehme ich den Schutzumschlag im vorwiegend schwarz-weiß gehaltenen Design ab, der in seiner Schlichtheit an das langjährige klassische Diogenes-Layout angelehnt ist, so halte ich ein schickes, dunkelblaues, leinengebundenes Büchlein in den Händen.

Doris Dörrie: Leben, schreiben, atmen
Diogenes-Postkarte im Buch: »Es macht wenigstens nicht dick«

Beim Öffnen entdecke ich darin eine Postkarte des Verlags mit dem Slogan »Es macht wenigstens nicht dick«. Die passende Antwort auf das Bonmot des US-amerikanischen Schriftstellers Alexander Woollcott: »Alles was ich wirklich mag, ist entweder verboten oder unmoralisch oder macht dick.« Lesen und Schreiben machen es in der Tat nicht. Atmen auch nicht. Die 18 Euro, die das 288 Seiten umfassende Buch kostet, scheinen angemessen. Aber nicht wegen der Ausstattung, sondern auch wegen des Inhalts hat sich meine Investition gelohnt.

Werden Kinder in zehn Jahren noch lernen, von Hand zu schreiben? Oder wird diese Fähigkeit überflüssig sein? Genügt vielleicht bald das Tippen auf Tastaturen, beziehungsweise wird es mittels KI-gesteuerter Assistenten eine direkte Form der Übertragung von Gedanken in Text geben?, frage ich mich. Als Freund alles Handgeschriebenen höre ich Doris Dörries Antwort auf die Frage »Warum von Hand Schreiben?« überaus gerne: »Weil die Hand wir selbst sind, die direkte Verbindung von unserem Kopf in die Hand ist die Handschrift«. Zudem sei Schreiben eine »sinnliche Erfahrung«.

Dörrie legt uns nahe, mit der Hand zu schreiben, zehn Minuten am Stück, und nicht nachzudenken (was die Inspiration vertreibe), sondern einfach loszulegen.

Den Zweifler und Perfektionisten weist sie an: »Schreib los: Jetzt!«

Die Autorin macht vor, wozu sie den Leser ihres Buches auffordert: Ihr etwas anderer Schreibratgeber besteht aus rund 50 Kapiteln. Zu Beginn eines jeden Kapitels schreibt Dörrie anhand eines bestimmten Aufhängers über ihr Leben. Aufgaben und Themen, wie man sie vielleicht von Schreibseminaren oder -ratgebern kennt. Danach folgt eine kurze Erklärung oder ein Tipp. Und nun ist der Leser selbst an der Reihe: »Schreib über Brot«, »Schreib über Lügen« oder »Schreib über einen fremden Ort«, lauten die Anweisungen.

Selbst losschrieben nach und beim Lesen von Doris Dörrie: Leben, schreiben, atmen
Selbst losschrieben nach und beim Lesen von Doris Dörries »Leben, schreiben, atmen«

Dörrie beherrscht das autobiografische Schreiben zweifelsohne und wird ihrer Rolle als Schreiblehrerin gerecht, schließlich unterrichtet Dörrie als Professorin seit Jahren angewandte Dramaturgie und Stoffentwicklung an der Hochschule für Fernsehen und Film in München.

Die Autorin formuliert schöne Sätze, überrascht und macht neugierig. Bei ihren Erzählungen ist sie sprunghaft, vermengt Banalitäten mit Schicksalsschlägen. Dennoch bildet jedes Kapitel aus ihrem Leben eine Einheit. Und schlussendlich fügen sich alle Kapitel zu einer persönlichen und ehrlichen Autobiografie zusammen.

Der einzige Kritikpunkt meinerseits: Die Erkrankung und der frühe Tod ihres ersten Mannes und ihrer besten Freundin werden mitsamt ihrer Tragik etwas zu sehr ausgeschlachtet. Auch ohne diese Anspielungen auf zukünftiges Unheil in jedem zweiten Kapitel wären Dörries Texte spannend zu lesen.

Man kann das Buch lesen ohne selbst zu schreiben. Es liest sich flüssig. Ich persönlich hatte mir fest vorgenommen, die Schreibübung am Ende eines jeden Kapitels konsequent durchzuziehen. Ohne Schummeln. Fast hat es geklappt, den meisten Aufforderungen bin ich gefolgt. Nachdem ich das Buch durchgearbeitet hatte, ist ein Notizheft mit 35 selbstproduzierten Texten weitestgehend gefüllt. Es war eine gute Übung.

»Leben, schreiben, atmen« ist vieles, jedoch kein Schreibratgeber im klassischen Sinne. Es ist eine Motivation und eine klare Anleitung, um mit dem Schreiben zu beginnen. Zunächst einmal, um eigene Erinnerungen zu Papier zu bringen. Dies kann wie eine therapeutische Schreibübung wirken. Oder einfach ein Auflebenlassen der Vergangenheit. Ich war erstaunt, an wie viele Details aus meiner Kindheit, die ich längst vergessen geglaubt hatte, ich mich durch das Schreiben wieder lebhaft erinnerte.

So kann man bei der Lektüre und praktischen Übung mit dem Buch quasi nebenbei etwas über das Schreibhandwerk lernen.

So lautet eine Aufgabe, einen Text zunächst in der ersten und dann in der dritten Person zu schreiben, um den Schreibprozess sowie das Ergebnis miteinander zu vergleichen. Apropos vergleichen: Nachdem ich eigene Texte verfasst hatte, schaute ich mir Dörries Texte noch viel genauer an. Sie beginnt im Gegensatz zu mir kein Kapitel mit »Ich …« oder »Als Kind habe ich …«. Das Buch hat mich für den sprachlichen Ausdruck sensibilisiert und in mir die Lust geweckt, alle Gegenstände um mich herum präzise zu beschreiben.

Die »Einladung zum Schreiben« ersetzt kein Schreibseminar, und das Buch mag für diejenigen redundant sein, die sich bereits mit autobiografischem Schreiben auseinandergesetzt haben – aber alle, die sich zum Schreiben auffordern lassen und das Schreiben ohne Druck und Ehrgeiz für sich ausprobieren möchten, sollten Dörries Einladung annehmen. Ich bin überzeugt, dass man dabei einiges lernt, erfährt und wachruft.

»Der Schreibmuskel ist ein Muskel, der verkümmert, wenn man ihn nicht trainiert«, so Dörrie. Daher lieber mal zehn Minuten selbst schreiben als vor dem Smartphone zu sitzen. »Leben, schreiben, atmen« macht definitiv Lust dazu.

Juliane Hartmann

Doris Dörrie: Leben, schreiben, atmen: Eine Einladung zum Schreiben. Gebundene Ausgabe. 2019. Diogenes. ISBN/EAN: 9783257070699. 18,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Doris Dörrie: Einladung zum Schreiben: Ein Schreibjournal nach dem Bestseller: Leben. Schreiben. Atmen. Gebundene Ausgabe. 2021. Diogenes. ISBN/EAN: 9783257071108. 16,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Zwischen den Zeilen wohne ich noch immer: 96 literarische Antworten auf Doris Dörries „Leben, schreiben, atmen”. Gebundene Ausgabe. 2022. CORRECTIV. ISBN/EAN: 9783948013196. 20,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Doris Dörrie: Leben, schreiben, atmen: Eine Einladung zum Schreiben. Kindle Ausgabe. 2019. Diogenes Verlag AG. 14,99 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige

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5 Kommentare

  1. Genauso möchte ich Juliane Hartmanns Bewertung von Doris Dörries Schreib-Ratgeber bestätigten: Das Buch ist total gelungen! Sehr empfehlenswert und für jeden, der gerne schreibt, ein fantastisches Weihnachtsgeschenk.

  2. Ein Buch, das Lust macht, eigene Geschichten aufzuschreiben. Ich habe mich sehr gerne bei dem Workshop am angemeldet, da ich immer ein Ziel brauche. Das ist der erste Dezember, Einsendeschluss!
    Allen, die mitmachen: viel Erfolg und Spass am Tun!

  3. Hallo, Sie kennen mich nicht, das soll sich bald ändern.Das Buch und die Geschichten drum herum, haben mir nochmal einen Kick gegeben und das Feuer der Schreiblust neu entfacht. Ich werde es mir heute bestellen.Danke dafür.

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