Wellers Wahre Worte am Café Tisch
November 2004 - Die monatliche Kolumne von Wilhelm Weller


In tiefer Trauer: Kerry unterliegt und Dummheit siegt

War es falsch, die Vereinigten Staaten in die Unabhängigkeit zu entlassen?

Wilhelm Weller


Also dann. Ich verneige mich vor der Macht des Faktischen und des Unvermeidlichen. Schwarz ist die Nacht und George W. Bush ist wieder Präsident.
     Dabei harrte ich bis in die Morgenstunden des 3. November aus, um von jenseits des Atlantiks doch noch die erlösende (gegenteilige) Nachricht zu erhalten.
     Man murmelt ein Mantra, hofft auf die Wirkung von Michael Moore, ballt die Fäuste, glaubt an die alles überwältigende Kraft der eigenen Vorstellung ... und muss sich am Ende doch geschlagen geben.
     Es stimmt, auch ich saß vor dem Fernsehschirm so betroffen wie zuletzt am 11. September 2001. Erschüttert die hohen Türme der Aufklärung und der Rationalität.
     Wie kann, bei relativ hoher Wahlbeteiligung, mehr als die Hälfte der amerikanischen Wähler diese Person ein zweites Mal ins Weiße Haus lassen?
     Verantwortlich sind unter anderem die Wähler von: Texas, Missouri, Colorado, Arizona, Indiana, Kentucky und natürlich Ohio. Zumeist Bundesstaaten in der Mitte und im Süden der USA. Aus meiner, aus europäischer Sicht handelt es sich bei diesen Menschen im Grunde um Wilde, für die zivilisatorische Maßstäbe kaum noch gelten.
     Wissen diese Wilden überhaupt, dass es uns, die Europäer, gibt - und wenn: Verwechseln sie nicht Austria und Australia?
     Man sollte nun- soweit möglich - selektive Sanktionen in Betracht ziehen. Etwa den touristischen Boykott der von den Wilden dominierten amerikanischen Bundesstaaten, vielleicht auch den wirtschaftlichen Boykott.
     Einhergehen müsste damit allerdings ein Prozess der Missionierung, für deren Bezahlung die Europäische Union dann einen eigenen Fonds einrichten sollte.
     Aber wann werden solche Maßnahmen Erfolge zeitigen - und werden sie ausreichen?
     Nach 4 Jahren ist die Amtszeit von George W. Bush zwar definitiv zu Ende - für Michael Moore der wichtigste Grund, sich nicht die Pulsadern aufzuschneiden.
     Zu befürchten ist jedoch, dass sich der republikanische Halloween - Spuk mit anderen Darstellern fortsetzt. Jeb Bush, derzeit noch Gouverneur in Kalifornien, könnte den Bruder beerben. Vielleicht auch Arnold Schwarzenegger, wenn dessen Unterstützer bis dahin die amerikanische Verfassung entsprechend ändern konnten. (Arnie: »Warum nicht? Wenn man so eine Einstellung hat wie ich, will man immer an die Spitze.«)

Der frühere französische Außenminister de Villepin wurde schon vor einigen Wochen mit der Ansicht zitiert, dass sich wegen der weltpolitischen Bedeutung Amerikas eigentlich auch die Bürger anderer Länder an der US- Präsidentenwahl beteiligen sollten.
     Völlig zutreffend, erst recht nach dem nun bekannten Wahlergebnis. Aber wie soll man die Amerikaner dazu gewinnen bzw. dazu zwingen?
     Im Grunde müsste ja der 1783 von Amerikanern, Briten und Franzosen unterzeichnete »Frieden von Paris« aufgekündigt werden, also die amerikanische Unabhängigkeit revidiert werden.
     Wer weiß, vielleicht kann sich die in anderen Dingen oft zerstrittene Europäische Union darauf einigen, mit Hilfe zahlreicher US-kritischer Freunde in der ganzen Welt das unartig gewordene transatlantische Kind wieder an die koloniale Kandare zu nehmen
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Wilhelm Weller


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