Wellers Wahre Worte am Café Tisch
Oktober 2004 - Die monatliche Kolumne von Wilhelm Weller


Eröffnet der Literaturnobelpreis für Elfriede Jelinek Wege zur Heilung?

Ein Interview mit dem bekannten Therapeuten Bert Hellinger

Wilhelm Weller


An Tagen wie diesen hüpft das literarische Herz höher: 38 Jahre nach der Verleihung des Literaturnobelpreises an Nelly Sachs wird wieder einer deutschsprachigen Schriftstellerin diese im Geistesleben weltweit bedeutendste Auszeichnung verliehen. Und wer von uns hätte dabei an die streitbare Elfriede Jelinek gedacht?
     Matthias Matussek fragt im neuen Spiegel, ob die »ziemlich kuriose Entscheidung« des Stockholmer Komitees denn auch eine politische war.
     Tatsächlich scheiden und schneiden sich an der Wiener Autorin die österreichischen Geister wie an keiner zweiten Person - ausgenommen vielleicht nur Hermes Phettberg.
     Man kann die tiefe Kluft in Österreich zwischen der linken Intelligenz und dem rechtskonservativen Lager durchaus vergleichen mit dem früher zwischen schwarz und weiß zerrissenen Südafrika.
     Vielleicht ist es ja mehr als ein Zufall, dass Jelinek unmittelbar auf den im letzten Jahr mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten südafrikanischen Apartheidkritiker J.M. Coetzee folgt. Auch wenn nun die von Jelinek seit langem aufs heftigste attackierte Rechtsregierung zumindest den hohen Preis als solchen gerne »heim« holt und insoweit seine Trägerin vereinnahmt. Der tiefe Riss in der österreichischen Gesellschaft wird so nicht heilen.

In Stockholm sollte mit Doppelauszeichnungen schon häufiger ein Versöhnungsprozess belohnt und befördert werden: Man denke an die Friedensnobelpreise für Kissinger und Le Duc Tho (1973), Sadat und Begin (1978), Mandela und de Klerk (1993), Rabin und Arafat (1994), Hume und Trimble (1998).
     Wäre es da nicht weiser gewesen, wenn die Königliche Akademie auch im Falle Österreichs »beide Seiten« gewürdigt hätte? Neben dem Literaturnobelpreis für Jelinek ein Friedensnobelpreis für Kanzler Schüssel und dessen Balanceakt einer gleichzeitigen Einbindung und Schwächung der Haider-FPÖ?
     Die Chance ist vertan und der Friedensnobelpreis nach Kenia vergeben.
     Da lässt aufhorchen, was der bekannte Therapeut Bert Hellinger dieser Tage in einem Interview verlautbarte. Auch er sieht die österreichische Gesellschaft und ihre Volksseele in tiefer Zerrissenheit und glaubt, mit seiner Methode der »Familienaufstellung« einen volksweiten Heilungsprozess anstoßen zu können. In einem aus aktuellem Anlass geführten Telefoninterview präzisierte er uns gegenüber seine Vorstellungen:

WW: Herr Hellinger, Ihre Methode der Familienaufstellung zielt doch zunächst auf das leidende Individuum in seiner Familie. Glauben Sie wirklich, das sei generalisierbar? Wie wollen Sie denn ein ganzes Volk aufstellen?

BH: Sie vergessen, dass auch in der Familienaufstellung normalerweise nur Stellvertreter (!) aufgestellt werden. Das gilt natürlich auch für das, was Sie eine »Volksaufstellung« nennen.

WW: Warum bietet sich dafür in Ihren Augen Österreich an?

BH: Ich habe Österreich nur als Beispiel genannt. Ich könnte Ihnen ebenso gut Amerika, Ruanda oder Israel nennen. Außerdem war ich auf Frau Jelinek angesprochen worden.

WW: Welche Auswirkungen hat aus Ihrer Sicht die Verleihung des Literaturnobelpreises an Jelinek.

BH: Das ist eine große Chance. Sie kann jetzt wieder eingeschlossen werden, wo sie vorher ausgeschlossen war. Aber Sie muss auch selbst einschließen wollen, was sie ausschließt. Da ist eine Täterenergie und eine Opferenergie.

WW: Angenommen, Österreich wäre Ihr Patient

BH: Klient!

WW: Also angenommen, Österreich wäre Ihr Klient. Wen würden Sie aufstellen?

BH: Das ist natürlich anders als bei einer klassischen Aufstellung, aber irgendwo doch wieder das selbe. Also Hitler ist natürlich der Schatten, der liegt über allen. Und Deutschland ist der große Bruder, der den kleinen verlassen hat.

WW: Wo steht dann Elfriede Jelinek und wo steht Jörg Haider?

BH: Der Haider steht ja zu seinem Vater, das ist natürlich gesünder und die Jelinek hasst ihn deswegen. Doch Hass ist Missachtung und macht krank. Das rächt sich.

WW: Sie würden die beiden deswegen näher zusammen stellen?

BH: Die Frau folgt dem Mann.

WW: Wohin würden Sie Arnold Schwarzenegger stellen? Der steht heute als kalifornischer Gouverneur weltweit für einen Erfolg »made in Austria«.

BH: Aber er hat seinem Land den Rücken gekehrt, das ist ein gefährlicher Weg. Auch Kennedy wurde erschossen und er ist mit seiner Nichte verheiratet. Da liegt ein Fluch, der ihn einholen kann.

WW: Als Therapeut beziehen Sie Ihre Informationen und Intuitionen während der Familienstellung aus einem »wissenden Feld«. Funktioniert das Familienstellen auch dann, wenn Sie sich die Personen nur im Geiste vorstellen, oder anders gefragt: Können Sie sich schon jetzt eine Konstellation vorstellen, die für Österreich heilsam wäre?

BH: Da muss ich mich erst versenken…

Stille.

Ich sehe Schwarzenegger und Jelinek nah beisammen, sie geben sich die Ehre.
Jörg Haider kniet vor Maria Shriver: »Mutti, für Dich tue ich es gerne
Hitler und Deutschland umarmen sich. Die beiden kann keiner mehr aufhalten.
Kanzler Schüssel gibt Kennedy die Hand und verbeugt sich.
Alle zusammen bilden einen Kreis um Österreich.
Österreich fällt und wird von Schwarzenegger aufgefangen.
Haider und Shriver verlassen die Szene.

WW: Darf ich hier einhalten? Sehen Sie das symbolisch?

BH: Nein, da zeigen sich reale Verstrickungen.

WW: Ich danke Ihnen für das Interview.

Wir hätten gerne auch die diesjährige Literaturnobelpreisträgerin persönlich interviewt, leider sah sie sich durch eine Vielzahl gleichartiger Anfragen überfordert. Unsere besten Glückwünsche (auch von Bert Hellinger) gehen jedenfalls nach Wien.

Wilhelm Weller


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