Wellers Wahre Worte am Café Tisch
Juli 2002 - Die monatliche Kolumne von Wilhelm Weller


Dein ist mein ganzes Herz, Du bist mein Reim auf Scherz
Wilhelm Weller


Vor kurzem sorgte eine ungewöhnliche Online-Auktion für Aufsehen. Der amerikanische Student Adam Burtle bot bei eBay seine Seele zum Verkauf an. Das Mindestgebot »für die kaum benutzte Seele eines 20-jährigen Jungen aus Seattle« lag bei 5 Cents. Den Zuschlag erhielt am Ende eine Frau aus Des Moines in Iowa, die für die Seele des jungen Studenten 400 Dollar geboten hatte.
     Skandalös! Blasphemisch! So mögen nun viele wettern. Auch ebay zog die Konsequenzen und entzog Adam Burtle die Lizenz für weitere Auktionen. Aber war die ungewöhnliche Offerte des jungen Studenten nicht ein statthafter Versuch, sich dem Geheimnis der Seele zu nähern, zumindest deren Wert, auf kaufmännische Weise gewisserweise?
     Seit einigen Jahren melden Naturwissenschaftler zunehmend Erfolge bei der Beantwortung uralter Fragen: Was ist die Seele und wo sitzt sie?
     Irgendwo im Hirn und offenbar nicht im Herzen, wie lange Zeit irrtümlich angenommen wurde. Das sogenannte »Brain Imaging« zeigt auf einem Monitor sogar an, welche Hirnregionen bei bestimmten geistigen und seelischen Prozessen aktiv sind.
     Der Versuch von Adam Burtle, den Wert seiner Seele per Auktion quantitativ zu ermitteln, mag neben solchen hochkomplizierten Verfahren simpel erscheinen. Doch welche Information ist für den Zeitgenossen, für den Zeit Geld ist, schlüssiger und bündiger: 400 Dollar oder komplizierte Ausführungen über Cortex und Neocortex und neuronale, biophysikalische Reizübertragungen?

Der seine Seele als Sonderangebot anbietende Burtle knüpfte eigentlich an alte, religiöse Bräuche an. So hatte die katholische Kirche schon im 11. Jahrhundert ein ausgeklügeltes Verrechnungssystem entwickelt, das eine exakte wertmäßige Bezifferung unterschiedlichster Sünden erlaubte. Dem sündig gewordenen Gläubigen, dessen Seele sonst des Teufels war, erlaubte dieser »Ablasshandel«, sich seine Seele sündenfrei zurückkaufen zu können.
     Gleichzeitig unterstützte er mit seiner Zahlung die karitativen Tätigkeiten der Kirche.
     Der heutigen Praxis, sich durch Spenden in beliebiger Höhe ein gutes Gewissen zu erkaufen, mangelt es dagegen an einer transparenten Preisstruktur. Auch gibt es keinen Garantieanspruch, was aus verbraucherrechtlicher Sicht einen Rückschritt darstellt.
Doch zurück zu Burtle. Uns ist nicht bekannt, ob das Geschäft zwischen dem Studenten aus Seattle und der Frau aus Iowa auch wirklich zustande kam. Zuletzt war von Lieferschwierigkeiten die Rede.
     Vielleicht ging es Adam Burtle tatsächlich nicht um den Verkauf seiner Seele, sondern nur um die Ermittlung ihres aktuellen Verkehrswertes.
     Oder er fand ein letztes Hemd, das ihm materielles Überleben auch ohne Zwangsversteigerung seiner Seele gestattete. Schließlich haftet einem solchen Vorgang doch eine gewisse Endgültigkeit an.
Auch wenn er geglaubt hatte, sich nur einer großen Schar anderer Seelenloser anzuschließen, im letzten Moment mag er vor dieser irreversiblen Perspektive zurückgeschreckt sein.
     Wie wäre es statt dessen mit einem Pfandhaus bzw. mit einem Pfandkredit? VHB 400 Dollar.

Wilhelm Weller

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