Die lederne Aktentasche
von Michael Sommer

Einmal sprach mich eine Kollegin auf meine schwarze lederne Aktentasche an, sie würde ja nie Leder tragen, auf gar keinen Fall Pelze, auch würde sie kein Fleisch essen, was ihr aber nicht schlecht bekam, jedenfalls war sie zwar schlank aber auf keinen Fall so dünn wie die Models von cK, die wahrscheinlich Drogen nahmen, was meine Kollegin nicht tat, dafür umso mehr Kaffee trank, und bei einem solchen erklärte ich ihr, da sie mich so angegriffen hatte, die Geschichte der Kuh Lena auf dem Hof meiner Urgroßeltern, weit weg im thüringischen Herda, jener Kuh, die nach langen Jahren des treuen Dienstes - jeden Tag hatte sie Milch gegeben, auch gebar sie dem Bauern mehrere Kälber, die er Gewinn bringend veräußern konnte - nach einer schweren Krankheit, während derer sie unterm klagenden Muhen auf dem Scheunenboden lag, derweil Bauer und Bäuerin um sie herum standen mit ratlosen Blicken - der Bauer brachte es nicht übers Herz, sie zu töten -, verschieden war, jedoch nicht ohne eine kurze Notiz zu hinterlassen, in der sie bat, ihre Haut zu eben jener Aktentasche zu verarbeiten - es sei ihr letzter Wille, ihr treues Herz verlangte wohl danach, auch nach dem eigenen Dahinscheiden ihren Herrschaften dienstbar zu sein, und solch eine Aktentasche ließ sich ja über Generationen vererben, sofern man sie gut pflegte, und so war sie denn auch in meine Hände gelangt. Meine Kollegin aber schwieg dazu merkwürdigerweise.

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