Am 18. Mai 1989 war der Bischof in den Abendstunden an einem Seitenaltar des Doms damit beschäftigt, eine stille Messe zu lesen, als ein Motorradfahrer in voller Montur zum Haupteingang hereingeknattert kam. Er fuhr bis unmittelbar vor den Seitenaltar, an dem der Bischof wie versteinert stand, bremste mit kreischenden Reifen, sprang von seinem Gefährt und bedeutete dem Bischof mit brüllender Bierstimme, er, der Bischof, möge schleunigst zusehen, dass er Land gewinne, da er, der Motorradfahrer, hier und jetzt sofort beten müsse und dabei nicht gestört sein wolle. Diese Forderung unterstrich er, indem er dem Bischof eine tätowierte Faust unter die Nase hielt, auf der ein schwerer Schlagring prangte. Der Bischof, an aufgeregte Gläubige gewöhnt, versuchte es mit gutem Zureden; doch es bedurfte einer halben Stunde intensiver Vorstellungen mit seiner geschult sanften Stimme, bis der Motorradfahrer nach einem unwirsch hingemurmelten Vaterunser (in dem die fünfte und sechste Bitte fehlten) mitsamt seiner ölstinkenden Maschine die Kirche räumte. Nach diesem Zwischenfall, übrigens nicht der erste seiner Art, wohl aber der übelste, kam der Bischof zu dem Schluss, es sei an der Zeit, sich eine Leibwache zuzulegen. Andere Kollegen hatten längst ihre Bodyguards. Er ließ sich von ihnen beraten und nahm endlich die Dienste einer Wachgesellschaft in Anspruch, und von dort schickte man ihm bemerkenswert prompt zwei junge Männer. Jeder von ihnen war einen Kopf größer und mindestens sechzig Pfund schwerer als der Bischof, sie hatten Hände wie Bügelbretter und trugen stets dunkle Anzüge und Sonnenbrillen. Der Bischof, ein stiller, sanfter Mensch, brauchte eine Weile, um sich an sie zu gewöhnen. Anfangs versuchte er immer wieder, eine Unterhaltung in Gang zu bringen, wenn sie so zu dritt über die Straße gingen, der Bischof links und rechts flankiert von den riesigen Gestalten in schwarzer Kleidung. Sie antworteten aber nicht viel. Nach einigen Tagen nahm er sie gar nicht mehr richtig wahr. Auch in den Dom kamen sie mit; der eine setzte sich stets in die vorderste Kirchenbank, der andere ganz hinten in die Nähe der Tür. Da keiner von ihnen katholisch war, nahmen sie nicht die Kommunion und zeigten auch sonst keine Beteiligung. Sie waren einfach da. Der Bischof nannte sie in Gedanken ein wenig unfein »meine beiden Gorillas«. An einem warmen Abend im Juni, als altgoldenes Sonnenlicht von oben aus den buntgläsernen Kirchenfenstern tröpfelte, hatte der Bischof wieder seine stille Messe an demselben Seitenaltar gelesen und wollt anschließend den Dom durch den Haupteingang verlassen. In solchen Fällen hatte der Gorilla, der ganz hinten neben der Tür saß, einen der schweren Türflügel vorsichtig zu öffnen und abzusichern, dass draußen nichts Ungewöhnliches im Gang war, bevor er seinen Mitgorilla und den Bischof heranwinkte. An diesem Abend kam es anders. Der Hintermann öffnete die Tür einen Spalt, ließ sie aber sogleich mit einer Geste des Schreckens wieder zufallen, dass es durch die ganze Kirche dröhnte. Mit einer Miene, als sei er im Innersten erschüttert, kehrte er schnurstracks zu seiner Bank zurück, setzte sich wieder hin und senkte den Kopf wie zum Gebet, ohne ein Wort zu sprechen. Der andere Gorilla und der Bischof tauschten einen erstaunten Blick. Alarmiert erhob sich der erstgenannte, zischelte dem Bischof zu: »Sie bleiben hier!« und wandte sich selbst zum Ausgang. Er kam nicht einmal bis zur Tür. Zwei Schritte davor blieb er stehen, verharrte einen Augenblick, machte ruckartig kehrt und ließ sich ebenfalls in der letzten Bank nieder, den Kopf tief gesenkt. Nun war es an dem Bischof selbst, etwas zu unternehmen. Er fühlte sich stark und sicher wie nie zuvor. Mit festem Schritt ging er selbst zur Tür, an der letzten Bank vorbei, aus der seine Bodyguards ihn mit hochroten Gesichtern anstarrten. Erst unmittelbar vor der Tür erkannte der Bischof, was die beiden am Hinausgehen gehindert hatte. An der Kirchentür, dicht über dem Türgriff, saß eine riesige, schwarze, behaarte Spinne.
Und der Bischof nahm die Spinne behutsam zwischen zwei Finger, öffnete mit der anderen Hand die Tür, trat hinaus und setzte das Tier sanft auf das Straßenpflaster, mitten in den altgoldenen Sonnenschein. Als er in den Kirchenraum zurückkam, standen die beiden Männer im Mittelgang, die Hände ineinander gelegt und die feuerroten Köpfe gesenkt. »Können wir jetzt?« fragte der Bischof. Am nächsten Tag rief er den Wachdienst an und erklärte, er werde auf die Leibwache verzichten, da es zu weiteren Attentatsversuchen nicht mehr gekommen sei. Und von da an machte er seine Wege wieder alleine. Aber an Sonntagen erschienen die beiden Männer regelmäßig in der Messe. Sie saßen nicht mehr wie früher getrennt, sondern einträchtig nebeneinander im Mittelgang, und sie standen auf, setzten sich, knieten nieder wie alle anderen Kirchenbesucher, als gehörten sie hierher.
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