Foto von Ulrich Struve Kosmonautenträume
Eine Kindheit in der DDR
Notizen am Rande - Buchbesprechungen von Ulrich Struve Selbst ein Staat mit viel ideologischem Gepäck, wie die DDR, ist zugleich ein ganz privates Land gewesen. Dieser privaten Seite des Aufwachsens in Ostdeutschland geht Kathrin Aehnlich nach in ihrem bezaubernden, klugen Erinnerungsbuch Wenn ich groß bin, flieg ich zu den Sternen.
     Aehnlich erzählt auf heitere und gelassene Weise von einer Kindheit in den 60er-Jahren. Sommertage im Schwimmbad, Familienrituale unter dem Weihnachtsbaum, das Hin- und Herschwanken zwischen Christenlehre und dem innigen Wunsch, Kosmonautin zu werden, ein überbordendes Hinterhoffest mit Westbesuch und die steif-pathetische Jugendweihe kommen gleichermaßen in den Blick. Doch geht es dabei nicht um Ostalgie.
     Das Buch lebt davon, dass die Autorin ohne kommentierende Beckmesserei aus der Perspektive eines neugierigen, sehr genau beobachtenden Kindes erzählt. Zugleich lässt sie Einsichten in die Hohlheit elterlicher wie staatlich verordneter Worthülsen und Erziehungsschemata ironisch gebrochen aufscheinen. Ihren Reim können sich Leserinnen und Leser selber darauf machen.
     Ein kleines Meisterstück ist die Suche der jungen Heldin nach Tante Elviras Fotoalbum, während diese, vom Rotwein beschwippst, im Sessel am Fenster eingenickt ist. Eingehend wird das Foto betrachtet, das Onkel Hans 1942 aus Krakau geschickt hatte. Auf den Kragenspiegeln der Uniform erkennt das Mädchen »das Zeichen, das der Mann aus der Drogerie immer auf meine mitgebrachte Limonadenflasche klebte, nachdem er Terpentin hineingefüllt hatte«. Kein Wunder, dass es der Tante damals, als es noch Zucht und Ordnung gab, so gut ging mit den großen Autos, schönen Wohnungen und Pelzmänteln! Auch warum Miriam 1936 beim 12. Geburtstag zum letzten Mal im Album auftaucht, wird plötzlich erschreckend klar.
     Wie diese historische Schuld in einem offiziell »antifaschistischen« Staatswesen zu einer ganz eigenen Mixtur von Verdrängung und Notlüge führen konnte, wird damit beiläufig und zugleich tiefernst vorgeführt. Insgesamt bleibt der Ton der Erinnerungen überwiegend heiter, die Lektüre kurzweilig.

Ulrich Struve

Kathrin Aehnlich: Wenn ich groß bin, flieg ich zu den Sternen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1998. 160 Seiten, geb., 29,90 DM/15,29 EUR (Preisangabe ohne Gewähr). ISBN 3-378-00608-0


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