Näumanns NörgeleiEine Tasse Kaffee
Monatliches vom Café-Tisch - November 1997


Triumph der Männer

Näumann auf der Café-TerasseNeulich bekam ich ein sehr interessantes Buch geschenkt: Die Memoiren von Leni Riefenstahl. Ganz richtig: »Triumph des Willens«, athletische Körper und kontrastreiche Schwarzweißaufnahmen von Muskelmännern und Menschenmassen.
     Es ist die Geschichte einer Frau, die es geschafft hatte. Sie war Tänzerin, Schauspielerin unter Max Rheinhardt und später freischaffende Filmemacherin, deren Werke weltweite Bewunderung hervorriefen. Nichts konnte ihre Karriere behindern, und für sie ging Leni Riefenstahl jeden Kompromiss ein. Leider brach ihr genau das später das Genick: Wer sich von den Nazis protegieren ließ, für sie Auftragsarbeiten erledigte und mit Hitler Tee trank, mit dem wollte man nichts mehr zu tun haben. Man strafte Leni Riefenstahl mit Ächtung. Fällt ihr Name in irgendwelchen akademisch-hochkulturellen Zirkeln, wird mit der Nase gerümpft. Ganz recht, sollte man meinen, Strafe muss sein, wäre da nicht irgendwas faul an der Sache. Wäre Leni Riefenstahl nämlich »Opfer« einer konsequenten Entnazifizierung geworden, könnte man heute sicher mit ihrer Person und ihrem Werk wesentlich unbefangener umgehen. Leider wurde sie aber ein wirkliches Opfer einer zynischen Doppelmoral. Erstens werden ihre Beiträge zur Filmkunst nach wie vor gnadenlos kopiert. Nicht nur bei Reklame-Spots für die Bundeswehr (dann hätten wir sie ja dort, wo wir sie haben wollen), sondern in völlig seriösen Dokumentar- oder Werbefilmen findet sich plötzlich die Ästhetik von Leni Riefenstahl wieder. Und zweitens wurde in der Frage, wen man nach 1945 zur Unperson erklärte, nach höchst merkwürdigen Kriterien vorgegangen, bei denen zumindest eines keine Rolle spielte: Die Nähe zum Nazisystem. Er sei »stolz auf sein Deutschtum« konnte noch 1968 Wernher von Braun in die Mikrofone schwadronieren, nachdem seine Rakete auf dem Mond gelandet war. Und Deutschland war mächtig stolz auf ihn, den ehemaligen SS-Offizier und Technokraten, der für seine Karriere auch jeden Kompromiss eingegangen war, Zwangsarbeiter des KZ-Nordhausen für die ehrgeizigen Wunderwaffenpläne opferte und englische Städte mit seiner Genialität in Schutt und Asche legte. In einer Art Gruselkabinett in Form eines »Raketenmuseums« ist diesem verantwortungslosen Mitläufertum eines Ingenieurs auf der Insel Usedom heute ein Denkmal gesetzt.
     Nun ist Leni Riefenstahl Künstlerin, und für die galten andere Maßstäbe.
     Wirklich?
Da gab es doch mal einen Dauermaestro der Berliner Philharmoniker. Auch seine steile Karriere begann als Shooting-Star junggermanischer Taktschläger zwischen Aachen und Königsberg. Geschadet hat ihm das nichts. Oder die vielen Schauspielerinnen und Schauspieler der Leinwandschnulzen in den Fünfzigerjahren, die auf eine lange Vergangenheit bei der Ufa zurückblicken konnten, inklusive der rauschenden Feste mit der Nazi-Schickeria unter Joseph Goebbels, dem »Bock von Babelsberg«, der ja bekanntlich die wichtigste Besetzungscouch unterhielt.
     Nein, Nähe zum Nazi-System war nach 1945 wirklich kein Karrierehindernis. Da drängt sich der Verdacht auf, dass es bei Leni Riefenstahl ein andere Grund gewesen sein muss, der sie zur Unperson werden ließ.
     Vermutlich, weil sie eine Frau war, die es geschafft hatte.

Johannes Näumann


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