Näumanns NörgeleiEine Tasse Kaffee
Monatliches vom Café-Tisch - Juni 1997


…und erlöse mich von den Lehrern

Näumann am Café-TischFreitagmorgen, halb acht, mitten in Deutschland. Ich habe es eilig. Die Straße ist trocken und die Sicht ausgezeichnet, alles easygoing. Fröhlich brummt der Motor, sanft gleiten die Gänge durch's Getriebe, die Vöglein zwitschern, im Radio ein Interview mit Günther Grass: So macht Autofahren Spaß! Doch plötzlich verdunkelt sich meine Laune. Schwarze Gedanken umkreisen das Lenkrad. Vor mir tauchte ein Auto auf, das genau hundert fährt…
     Aha, jetzt hat er sich geoutet: Näumann gehört also auch zu denen. Diesen Verkehrsrowdieschweinen, die das Auto als verlängertes Gemächt betrachten, mit dem sie unschuldige Bürger in Angst und Schrecken versetzen und jeden erledigten Kinderwagen durch eine Kerbe im Mahagoni des Armaturenbretts verewigen. Und tatsächlich! Diesmal zuckte mein Finger schon nervös an der Lichthupe, der Gedanke an ein Überholmanöver von rechts spukte im Kopf - beides habe ich nur deshalb verworfen, weil an meinem Fahrzeug in großen Lettern der Name der Firma prangte, für die ich gerade unterwegs war. Vor mir, auf der Überholspur, fuhr ein Lehrer.
     Natürlich war es keiner jener ehrbaren Pädagogen, die einem Pythagoras beibringen, Knie und Nomen beugen lassen oder Kinder zu anständigen Mitgliedern der Gesellschaft erziehen. Nein, es handelte sich um einen der ungezählten »Lehrer im freiwilligen Dienst«, die millionenfach unser Land tyrannisieren.
     Das Problem war nämlich folgendes: Der Fahrer im Wagen vor mir fuhr völlig korrekt. Hundert war das Tempolimit. Er darf nicht nur so langsam fahren sondern er muss -  und dass ich das auch muss, genau das wollte er mir zeigen, denn die rechte Spur war völlig frei. Er hätte also genauso gut dort fahren können. Neben einer dicken Dieselwolke sandte er mir eine Botschaft: Fahr' nicht zu schnell, es ist gefährlich, die Wälder sterben, außerdem ist es verboten und ich habe Recht.
     Klar eine Gesellschaft, in der sich jeder alles erlaubt, kann nicht funktionieren. Man geht rechts, legt seine Füße nicht auf die Parkbank, parkt nur dort wo man darf, raucht nicht am U-Bahnsteig, fährt nicht zu schnell. Bin ich froh, dass sich so viele engagierte Bürger als Aufpasser gefunden haben!
     Das Gaspedal gibt nur einen sanften Widerstand, als ich es nach unten durchtrete…

Johannes Näumann


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