Näumanns NörgeleiEine Tasse Kaffee
Monatliches vom Café-Tisch - Mai 1997


»Kuh fiel vom Himmel: Kutter versenkt!«

Näumann am Café-Tischtitelte heute eine große und populäre Zeitung in Berlin in dicken Lettern auf der ersten Seite. Im nachfolgenden Bericht, für den verständlicherweise nicht mehr viel Platz blieb, erfahren wir dann beruhigt, dass dies irgendwo in der Südsee geschah und wir uns um unsere teuren Autos doch keine Sorgen zu machen hätten. Dass diese Zeitung mit »B« anfängt, braucht nicht groß erwähnt werden, ähnlich wie ihre große Schwester, die bundesweit die meistgelesenste ist. Natürlich, wir schmunzeln darüber und - Hand aufs Herz - hin und wieder beschleicht uns in der U-Bahn auch ein bisschen ein Gefühl der Herablassung, wenn mit unserem klugen Kopf über den Rand unseres Blattes in einen schillernden Regenbogen blicken. Das ist natürlich der Hochmut unverbesserlicher Bildungsbürger, für die es ja manchmal geradezu chick ist, sich doch heimlich mal an einer richtig bunten Zeitung zu erfreuen. Ich mache dies bevorzugt in Nachtbuslinien, wenn sowieso alle besoffen sind.

Liest man die Regenbogenblätter dann aber genauer, überkommt mich dann doch ein Unbehagen. Nicht über die Kuh auf der ersten Seite, warum auch nicht, vielmehr ist es die schlichte Erkenntnis, dass diese Zeitungen einfach zu perfekt sind und von knallharten Profis gemacht werden. Immerhin müssen solche Überschriften erstmal erfunden und die Storiess recherchiert werden, mit Methoden, die ja hinlänglich bekannt sind! Vor allem, trotz journalistischer Ausbildung, einen Text nur in Hauptsätzen zu schreiben, mit Wörtern, die nun wirklich jeder versteht und das ganze Blatt wie aus einem Guss wirkt: Hut ab, das ist harte Arbeit und fast könnte man Respekt haben.

Aber nur fast. Es sei denn, man betrachtet die Welt als großes absurdes Theater: Wir erinnern uns: da moderte ein halbes Jahr ein enttäuschter Jüngling am Strick baumelnd auf einem Dachboden, anschließend Pogromstimmung gegen Lee, schwarze Sängerin von TicTacToe, die natürlich an allem Schuld war. Sofort sprang das Privatfernsehen auf den Zug auf, es gab ergreifende Bilder, hart an der Kotzgrenze, bundesweit mit erhobenem Zeigefinger. Dann legte man noch einen drauf: Lee im Puff, auf der ersten Seite, jener Sündenpfuhle für die im selben Blatt kräftig Reklame gemacht wird. Das Fernsehen schob noch die entsprechenden Pornos nach, damit man(n) sich entrüstet aufgeilen konnte.

Und was machte Lee? Sie hob den Mittelfinger, hat mehr Erfolg als je zuvor und alle sind zufrieden.

Johannes Näumann


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