Buchmesse 2004: Autoren sind wie Tiere im Freigehege
Buchmesse 2004? Alles schon wieder vergessen? Gerade noch Medienrummel scheinbar ohne Ende und nun schon wieder lange vorbei. Damit nicht alles vergessen wird, fasst Barbara Fellgiebel ihre wichtigsten Eindrücke von fünf Messetagen hier zusammen

Impressionen von der Buchmesse 2004Mit gemischten Gefühlen fahre ich zur diesjährigen Buchmesse nach Frankfurt: Einerseits fiebere ich dieser alljährlichen Kulturinjektion entgegen wie Kinder der Weihnachtsbescherung oder weniger Literaturbesessene einem Wellness-Aufenthalt. Andererseits habe ich diese sporadischen Angstvisionen von möglichen Gewaltanschlägen im Stil von Madrid oder Istanbul, verursacht durch die Wahl des diesjährigen Gastlandes. Die arabische Welt. Tausend und eine Nacht. Die Ambivalenz zwischen morgenländischer Verzauberung und skrupelloser Gewaltanwendung ist für friedfertige europäische Nordlichter wie mich schwer erträglich. Doch fatalistischer Optimismus gepaart mit meinem ungebrochenen Vertrauen in die Gründlichkeit deutscher Sicherheitsvorkehrungen lässt mich zuversichtlich zu der Überzeugung kommen: Es kommt wie es kommen muss. Wird schon alles gut gehen!

Auf der Anreise mache ich mir Gedanken über die kommenden fünf Tage, versuche sie im Vorfeld zu visualisieren: Ein Dieter Bohlen bleibt uns in diesem Jahr zum Glück erspart, Daniel Küblböck und seinesgleichen ebenso. Wer wird ihre Spektakularität (das Wort gibt’s nicht, ich weiß) übernehmen? Frank Schätzing? Im SZ-Interview meinte er, er sei mainstream und habe gezielt den Weltbestseller inszeniert. Ist Überheblichkeit als neuer Sympathieträger Trend? Oder wirkt bewusst eingesetzte Unbescheidenheit antipathiesteigernd und dadurch verkaufsfördernd?

Oder Sven Regener? Der - ähnlich wie Schätzing - multitalentierte Musiker, Komponist und Autor sonnt sich im absatzfördernden Rummel um seine Person.
     Autoren sind wie Tiere im Freigehege: Alle werden begafft, manche erregen mehr, andere weniger Aufsehen, manchen ist das angenehm, andere reagieren irritiert. Manche faszinieren durch unerwartetes Agieren, andere langweilen obwohl oder gerade weil sie mit Lob und Großartigkeit vorangekündigt und somit hohe, womöglich uneinlösbare Erwartungen geschürt haben. Wie wahrscheinlich Terezia Mora.

Die Organisation klappt - wie immer - verlässlich vorzüglich und die Messe beginnt für mich mit einem Autorenessen mit Sabine Kornbichler, die vor ein paar Jahren mit ihrem Erstlingsroman Klaras Haus auf Anhieb bei einem der ganz großen Verlage landete und im Nu eine Leserinnengemeinde schuf, die süchtig alle Folgeromane verschlingt, sei es ein heiß ersehnter Roman, sei es eine Sammlung bemerkenswerter Kurzgeschichten (Vergleichsweise wundervoll).

Impressionen von der Buchmesse 2004Mittwochabend habe ich eine Presseeinladung für die Verleihung des hessischen Filmpreises, die zum zweiten Mal stattfindet und einer Mini-Oscar-Verleihung gleicht. Nach strikten Sicherheitskontrollen betritt man die heiligen Hallen des Congress-Zentrums, bekommt die ZEIT des nächsten Tages druckfrisch überreicht, sowie ein sternförmiges Backförmchen. Über der endlos langen Rolltreppe nach oben prunkt eine Banderole mit der zweifelhaften Aufschrift Stars und Sternchen,was die nun folgende Situation ziemlich auf den Punkt bringt: Je mehr Star desto leiser der Auftritt, je kleiner das Sternchen, desto spektakulärer die Fotosessions, allen voran eine Miss Noname aus irgend einer Vorabend-TV-Serie, die einer sehr jungen Verona Feldbusch gleicht und ähnlich intelligente Aussagen zwischen das gekonnte Unendlich-Perlweiß-Lächeln streut.
     Je später der Abend desto bedeutender die Stars - als letzte treffen Omar Sharif, Maximilian Schell sowie Madame Mubarak ein. Anna Thalbach und Hanns Zischler schmeißen die Moderation ziemlich professionell und pannenfrei. Bei manchen Preisträgern sucht man vergeblich den Bezug zu Hessen, aber insgesamt ist die fast dreistündige Show unterhaltsam und aufschlussreich. Auch die Schlacht am warmen Büffet verläuft zivilisiert und plötzlich sitze ich neben einer jungen, leicht ermüdet aussehenden Kindfrau, die ich erst nach mehreren Minuten als Anna Thalbach erkenne. Sie ist bescheiden, wirkt unsicher, obwohl ihr von allen Seiten versichert wird, sie habe ihre Sache gut gemacht. Harry Owens, Erfinder und Boss des inzwischen seit 25 Jahren bestehenden Traumtheaters Salome setzt sich zwischen uns. Während wir mitten im Gespräch vertieft sind, bemüht sich Hannelore Elsner neben unserem Tisch verzweifelt und vergebens, einen Heiner Lauterbach-Verschnitt für die Nacht an Land zu ziehen. Der Herr weiß die heiße Anmache nicht zu schätzen und steht da wie eine Marionette. Plötzlich gibt Anna Harry eine halbe Zigarette, die aussieht, als sei sie aus einer Matschpfütze gerettet worden. Er ist peinlich berührt, nimmt jedoch einen tiefen Zug ehe er den Joint zurückgibt. Schade eigentlich, dass ich nicht Bild- oder Bunte-Reporterin bin, sonst hätten die Schlagzeilen am Donnerstag peinlich werden können...

Donnerstag
Jeder sucht etwas anderes auf der Buchmesse, der eine sein Spezialgebiet, der andere die neuesten Trends, der nächste Promis und der letzte den Verlag, der ihn als Bestseller auf den Markt bringt. Der Erstbesucher fragt sich irritiert, was habe ich inmitten dieser gestylten PIBs (people in black) verloren, nur um wenig später die Faszination der Mannigfaltigkeit zu entdecken, der Verführung des kindlichen Staunens zu erliegen und schließlich in den meisten Fällen vom Bazillus des »Da-will-ich-wieder-Hin« befallen zu werden.

Impressionen von der Buchmesse 2004Als alter Hase (Häsin?), die in diesem Jahr zum 5. oder 6. Mal auf der Buchmesse ist, weiß ich, dass die für mich interessantesten Hallen 3 und 4 sind, das Pressezentrum jedoch in Halle 6 und das Übersetzerzentrum in Halle 5. Auch dem diesjährigen Ehrengast, der arabischen Welt im Forum möchte ich einen Besuch abstatten. Im Vorfeld habe ich die für mich interessantesten Autoren zusammengestellt; deren Auftritte bestimmen, wann ich mich wo befinden will. Dass man wegen oben genannter Faszination verzaubert irgendwo verharrt und daher gnadenlos zu spät zu manchen Veranstaltungen kommt, gehört dazu und ist unvermeidlich. Das gilt auch für kulinarische Verführungen, wie zum Beispiel die Espressomaschine am portugiesischen Verlagsstand, oder die Schwyzer Happy-hour-Häppchen zum enttäuschenden »Aerobic-beim-Putzen« Event.

Erfreulich viele junge Kamerafrauen, teilweise mit blauen langen Fingernägeln, scheinen diese jahrzehntelange ausgeprägte Männerbastion erfolgreich gestürmt zu haben. Weiter so Mädels!
     Trüffelguru Wolfram Siebeck tritt erstmals mit seiner Frau Barbara auf, was seiner Beliebtheit äußerst bekömmlich ist: sie ist schlagfertig, humorvoll und besticht mit erfrischender Natürlichkeit. So gesteht sie freimütig, dass sie seit 35 Jahren täglich für ihn kocht und zwar mit zunehmendem Widerwillen. »Herr Siebeck, ich bin die Frau aus Portugal, die Ihnen so gerne mal die verborgenen Highlights der portugiesischen Küche zeigen würde!« »Ach um Gottes Willen, warum denn so weit?« Wir werden unterbrochen.

Elfriede Jelinek bekommt den Nobelpreis! Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer und löst vielerseits ungläubige Begeisterung aus. Endlich mal wieder eine Frau. Endlich eine Österreicherin! Der Rowohlt Verlag ist überglücklich und völlig überrumpelt. Mit Phillip Roth hatte man eventuell gerechnet und sich entsprechend vorbereitet, aber von Frau Jelinek befinden sich lediglich lächerliche fünf Exemplare ihres bekanntesten Buches Die Klavierspielerin am Stand. Nachschub ist auf dem Weg.

Roger Willemsen signiert für ein Berliner TV-Team sein neuestes Buch Gute Tage und ich nutze die Gelegenheit, ihn zu seiner auffallenden Produktivität (jedes Jahr ein neues Buch) zu beglückwünschen. Er freut sich ehrlich. »Wie hat er in der Kultsendung lesen! Elke Heidenreichs irritierende Art ihn zu unterbrechen empfunden?« möchte ich wissen. Darauf war er gefasst, das gehört zu ihrem Programm. Schlimmer war, dass sie die ohnehin schon so hektische Sendung um ganze 11 Minuten zu früh beendete. Hat aber niemand gemerkt, ist hinterher gut gestreckt worden. »Ich mache das anders, viel geruhsamer, habe aber auch mehr Zeit zur Verfügung.« »Wie, Sie machen eine Literatursendung?« »Ja, in der Schweiz, wird bei 3sat übertragen!« Die nächste am Sonntag 24.10.2004 um 9.15h. Na wunderbar.
     Als hätte Frau Heidenreich meine Kritik gelesen, stellte ich am vergangenen Dienstag erfreut fest, dass sie bedeutend weniger hetzte und Reinhard Mey kein einziges Mal unterbrach.

Impressionen von der Buchmesse 2004Beim hessischen Rundfunk wird eine witzige Schokoladenlektion mit sechsfacher Degustation abgehalten.
     Am SZ-Stand spricht Joachim Fest klug über sein neuestes Buch und wird auch schon zum nächsten Termin gejagt. Nach ihm sind Norbert Blüm und Dieter Hildebrandt an der Reihe. Unverhohlene Sympathie zwischen den beiden grau-weißen Herren. Der Erste einer der wenigen Politiker, die sich nicht verbiegen lassen, der Letztere möglicherweise der beste lebende Kabarettist Deutschlands, dessen neu vorgestelltes Buch Ausgebucht immerzu ausverkauft ist. Die cleveren jungen Eventmanagerinnen, betrachten ihn nämlich als ferner liefen und versehen die entsprechenden Signierstände mit ein paar Anstandsexemplaren. Sie staunen nicht schlecht, wie Hildebrandt sein zwar überwiegend »altes« doch ausgesprochen zahlreiches Publikum begeistert, und nehmen sprachlos ein paar bemützte Rappertypen zur Kenntnis, die den Grandseigneur der deutschen Satire »echt cool Mann« finden.

Trend: Klassiker als Billigbücher. Die SZ-Bibliothek hat in wenigen Monaten unerwartete 5 Mio. Exemplare zum Stückpreis von unglaublichen 4,90 Euro verkauft, ZEIT und andere ziehen nach. BILD bietet diese Woche Der Pate als Hardcover, ansprechend aufgemacht und gut gebunden zu 4,99 Euro an, was jedem Verleger die Kalkülhaare zu Berge stehen lassen muss.

Joy Fielding , eine der vielen amerikanischen Krimiautorinnen, die nicht mit E- und U-Literaturabgrenzungen kämpfen muss und sich - wie ihre meisten Landsmänninnen (Landsfrauen klingt so doof) - einer beidgeschlechtlichen Leserschaft erfreut. Sie liest auf Englisch, ihre deutsche Hörbuchstimme ist Hansi Jochmann, die aus dem deutschen Text liest. Hansi Jochmann ist als deutsche Stimme Jody Fosters bekannt, sieht Bette Midler, die sie sehr verehrt, verblüffend ähnlich und dreht zurzeit mit Otfried Fischer in Wiesbaden.

Beglückt, beseelt, bereichert taumele ich leicht ermüdet von einer Happy-hour zur nächsten, stärke mich mit köstlichen fantasievoll zubereiteten Kleinigkeiten, ehe es Zeit für den Römer ist - die alljährliche Autorenlesung »Literatur im Römer« lasse ich mir nicht entgehen.

Die unter dem etwas hochtrabenden Titel »Literatur im Römer« am Messedonnerstag und -Freitag stattfindenden Lesungen im Frankfurter Rathaus gehören zur Frankfurter Buchmesse wie die Zahnpasta zum Zähneputzen. Hier kann der weder Presse- noch Fachbesucher-Laie, dem der Zutritt zur Messe von Mittwoch bis Freitag verwehrt ist, mit Autoren auf Tuchfühlung gehen und gewinnt unmittelbare Eindrücke, die er so schnell nicht wieder vergisst. Hier trifft sich ein lesebesessenes, kontaktfreudiges Publikum, das sich bereits zwei Stunden vor Einlass in der Warteschlange formiert, um auch ja in den ersten Bankreihen einen Platz zu ergattern. Trotz umgebauter, größer und luftiger wirkender Lesehalle steigt die Temperatur dank der für die Fernsehübertragung erforderlichen Scheinwerfer rasch auf saunaähnliche Höhen. Einige Spezies wissen das und stellen sich gleich am Seiteneingang an. Dort können sie entweder in erprobter Hase-und-Igel-Manier (»Ich bin schon da!«) die begehrten ersten Reihen sozusagen durchs Hintertürchen erstürmen, oder sie begeben sich gemächlicher an die in der Seitenkemenate vor großen Leinwänden und Bildschirmen bereit stehenden Bänke und Tische, holen sich eine Schmalzstulle und ein Glas Wein oder Wasser und genießen das Spektakel zwar nicht Aug in Auge, aber simultan und angenehm.
     Peter Rühmkorf ist zuerst an der Reihe. Der 77jährige, blitzgescheite Dichter unterhält, amüsiert, brilliert.

Silvio Blatter - Schweizer Maler und Schriftsteller hat 12 Sekunden Stille verfasst. Er wirkt zunächst humorvoll, kann die ihm entgegenströmenden Sympathiewallungen wie Bälle auffangen, verliert jedoch bei allen weiblichen Zuhörern als Moderatorin Randi Crott ihn fragt, warum sein 58-jähriges Alterego am Ende des Buches ein 16-jähriges Mädchen erobern muss...
     Seine Entgegnung, dass gerade diese Tatsache, dem Moderator auf dem blauen Sofa besonders gefallen hat, macht die Sache nicht besser...

Impressionen von der Buchmesse 2004Terezia Mora - hoch gelobt, 1971 in Ungarn geboren, vor nur 14 Jahren nach Deutschland gekommen, hat mit ihrem ersten Roman Alle Tage ein Buch geschaffen, das verblüfft, fasziniert und die deutsche Sprache zu ungeahnter Akrobatik verführt. Mora schreibt nicht, sie komponiert die Sprache. Mit Ingeborg Bachmann verglichen (deren gleichnamigen Preis sie für ihre 1999 erschienenen Kurzgeschichten erhalten hat), meint sie »das ist nicht das Schlechteste, damit kann ich leben« und wirkt dabei nicht die Spur überheblich, eher jugendlich naiv. Leider geht niemand auf das Sprachphänomen ein: Schon Wladimir Kaminers Beherrschung der deutschen Sprache sorgte für Aufsehen und Anerkennung, bei Terezia scheinen die Kritiker völlig zu vergessen, dass Deutsch nicht ihre Muttersprache ist.

Jan Kjaerstad - der einzige nicht Deutsch sprechende Schriftsteller dieses Abends. Er ist Norweger und wird von Randi Crott auf Norwegisch interviewt, was ihre Sprachgewandtheit ins Rampenlicht stellt, dem Autoren aber weder Sympathie noch Aufmerksamkeit vielmehr ungezogene Unruhe im Saal einbringt. Spätestens seit dem fast peinlichen Auftritt des Portugiesen Antonio Lobo Antunes im vorigen Jahr sollten sich die Veranstalter beim nächsten Mal darauf beschränken, nur Deutsch sprechende Autoren bei diesen Lesungen zu berücksichtigen.

Viola Roggenkamp - stellt ihren ersten Roman Doppelleben vor. Schnörkellos, unprätentiös erklärt sie, dass diese Familiengeschichte »aus ihr raus musste« bevor sie über andere Themen schreiben kann und konnte.

Friedrich Christian Delius fasziniert mit seinem neuen Buch Mein Jahr als Mörder und setzt sich unvermeidlich der penetranten Journalistenfrage aus: Wie viel ist autobiografisch, wie viel ist frei erfunden.

Dorothea Dieckmann - die sprachgewaltige Spiegel-Autorin hat mit Guantanamo eine zweifellos gute aber grausam detaillierte Beschreibung eines Konzentrationslagers abgegeben, die ich mir nicht freiwillig zumuten würde.

Hanns-Josef Ortheil liest aus Die weißen Inseln der Zeit, empfiehlt dabei Hemingway: Paris - ein Fest fürs Leben und demonstriert »redefreie Wolllust am Klang«!

Nach so vielen gelungenen Formulierungen schwappt der Kopf fast über und man wankt beglückt von dannen.

Freitag
Ungewöhnlich voll! Wie soll das bloß am Wochenende werden. Statt mich über die nervende Langsamkeit der sich dahin wälzenden Masse aufzuregen drehe ich in bewährter portugiesischer Art den Spieß um, denke Paciência (=Geduld) und genieße die Verschiedenartigkeit der Messebesucher. Dadurch geht’s nicht schneller, aber angenehmer.

Petra Hammesfahr - bei Rowohlt. Ich stelle mich frech neben sie und ihre Lektorin und werde wie selbstverständlich mit in ihr Gespräch einbezogen. D.h. Frau Hammesfahr agiert eher als Alleinunterhalterin und wäre eine würdige Nachfolgerin für die ihre Karriere beendenden Missfits. Mit ihrem trockenen rheinischen Humor erzählt sie ohne Punkt und Komma die grusligsten und die komischsten Kapriolen ihres alles andere als langweiligen Lebens, unterbrochen von detaillierten Personenschilderungen einiger ihrer Protagonisten, was zur Folge hat, dass man am liebsten sofort das jeweilige Buch erwerben möchte. Lesen? Nö, das tut sie eigentlich kaum. Sie schreibt doch. Seit sie 17 ist. Fast ununterbrochen. »Und dat bissken, dat se liest könnte se eigentlich auch selber schreiben!« sagt sie feixend und man glaubt ihr jedes Wort. Auch dass sie vor ihrer ersten Veröffentlichung 159 Absagen erhalten hat, klingt bei ihr wie ein Guinessrekord auf den sie stolz ist. Nächstes Jahr erscheint ihr kompliziert auf drei Ebenen angelegtes selbstredend spannendes Buch Der Schatten. Wenn sie da nicht in den Römer geholt wird, verpasst der Veranstalter einen Quotensprung!

Impressionen von der Buchmesse 2004Peter Esterhazy - der schelmenhafte diesjährige Preisträger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Er kennt nur das Entsetzen des Friedens, nicht des Krieges, polemisiert er zu Beginn eines seiner vielen Interviews. Jetzt sitzt er am Verlagsstand und beantwortet Fragen. Warum er so gut Deutsch spricht? Er spräche nicht gut, meint er, nur fließend. Also schreibt er auch nicht auf Deutsch sondern Ungarisch. Und hat seine große Anerkennung seinen Übersetzern zu verdanken, denn ohne sie wäre seine Sprachgewalt den ungarischen Hemmschuhen nicht entwachsen. Und wer hat sein in erster Linie für den Preis verantwortliches Werk Harmonia Caelestis übersetzt?!?: Terezia Mora!
     Ich bin sprachlos vor Anerkennung dieser Frau gegenüber und gleichzeitig sprachlos vor Wut, dass sie nirgends, nicht einmal in der Dankesrede dieses sonst so genialen und bescheidenen Mannes erwähnt wird.

Terezia Mora bei 3sat. So viel Gedränge am Stand, dass über den Köpfen der Menge eine Großleinwand das Interview wiedergibt. »Toll wie die Frau fast simultan übersetzt wird« meint eine Frau neben mir. Ich zeige ihr, dass Terezia jedes ihrer deutschen Worte selbst spricht und lerne im anschließenden Gespräch mit einer dieser jungen Kamerafrauen, dass der Sekundenbruchteile ausmachende Zeitunterschied auf Latenzverschiebungen bei der Internetübertragung zurückzuführen ist. So viel zu meiner Techniklektion des Tages. Da Terezia Mora wieder nicht auf das sprachliche Phänomen angesprochen wird, frage ich sie, ob sie auch auf Ungarisch schreibt. Nein, nie. Warum nicht? »Die ungarische Sprache braucht mich nicht!« sagt sie wieder mit dieser bei anderen überheblichen Art, die bei ihr nur jung und unbekümmert wirkt.
     Gerald Trageiser, der Leiter ihres Verlages (Luchterhand) weist den Vergleich Moras mit James Joyce zurück und meint sie sei bodenständiger. Ihre Behandlung der deutschen Sprache zeige die typisch ungarische flexible Prägung. Voller Stolz schildert er das Kopf-an-Kopf Rennen diverser namhafter Verlage, die sich alle darum gerissen haben, den seit vier Jahren ungeduldig erwarteten Roman herauszugeben. Er konnte die besten Konditionen geben und trug die Trophäe nach Hause. Tja ja, ihr alle, die auf verzweifelter Verlagssuche seid: das ist die andere, die Sonnenseite der Medaille.

Sandra Lüpkes - quicklebendige Krimiautorin liest (wegen mangelnden Gedränges ohne Großbildschirm, aber nicht minder begeisternd) am Books on Demand Stand.

LitAg - das Literatur-Agenten-Heiligtum ist in diesem Jahr praktischerweise direkt neben dem Pressezentrum angesiedelt. Das lockt. Voll gewappnet, mich ohne festen Termin mit einem/r Agenten/in unter irgend einem Vorwand durch die rigorose Kontrolle zu schmuggeln, finde ich eine offene, unbewachte Tür - und bin auch schon mitten in den heiligen Hallen. Meine Agentin ist schwer beschäftigt und ich nutze die Zeit, einen der wenigen »freien« Agenten zu interviewen, während er auf seine nächste Kundin wartet. Andreas Brunner ist Österreicher, seit acht Jahren im Geschäft, arbeitet grenzüberschreitend mit deutschsprachigen Verlagen. Er ist zufrieden mit dem Geschäft, freut sich, dass wider Erwarten niemand jammert. Ich befrage jeden Österreicher zu seiner Meinung über die frisch gebackene Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Also auch ihn. Er ist der erste, der sich freut, der sogar zugibt, am Vortag gerührt gewesen zu sein. Überrascht ist er - wie jeder - und findet es bemerkenswert, dass »eine Nestbeschmutzerin«, die sich so schwer mit der Anerkennung im eigenen Land tut, derart ausgezeichnet wird.

Impressionen von der Buchmesse 2004Arabische Welt - ich will mir wenigstens die Präsentation des diesjährigen Gastlandes im Forum ansehen und stehe irritiert vor riesengroßen Banderolen FILM & TV. Tja wie, was, bin ich in der falschen Halle? Nein, nur im falschen Stockwerk. Die arabische Welt ist im ersten Stock, wohlweislich versteckt, schwer, uneinladend zugänglich. Sie gibt sich so wie ihre Frauen: vermummt, verhüllt, verschleiert. Verglichen mit Gastländern vergangener Jahre muss Enttäuschung aufkommen. Die schwer ausfindig zu machenden Veranstaltungen sind verspätet (nicht immer durch arabisches Verschulden), Tanz- und Musikveranstaltungen finden in sterilweißen, wie Erste-Hilfe-Stationen wirkenden Zelten statt. Welch orientalisches Flair verbreitet hingegen das gute alte Lesezelt!

Frank Schätzing - der werbewirksame Schönling mit dem sinnlichen Schlafzimmerblick im Stil von Sky Dumont. Schreiben kann er besser und jeder fragt sich, wie der aktive Werbetexter die Zeit findet, ein außergewöhnlich tief recherchiertes 1000-Seitenbuch zu produzieren, das so viel Furore macht, weil es das erste seiner Art in deutscher Sprache ist. Öko-Thriller mit viel Wissenschaft, was das Lesen dieses Mammutromans für viele, besonders vehemente Romangegner meist männlichen Geschlechts, legitimiert. Dass Der Schwarm im nächsten Jahr auf Englisch in Amerika erscheinen wird, macht seinen Autor zu Recht über die Maßen stolz.

Langsam stellen sich Ermüdungserscheinungen ein - selbst bei mir. Der Tag klingt aus bei Happy-hour am Japanstand und ich komme ins Gespräch mit verschiedenen Koreanern, der eine Verleger, der andere einer der Organisatoren des koreanischen Gastlandevents 2005 - die Vorfreude aufs nächste Jahr beginnt!

Abends in fröhlicher Runde bei den Sisters in Crime im Bahnhofsrestaurant Cosmopolitan, wo sich neue Gesichter zu bekannten Namen wie Puzzleteile zusammenfügen.

Samstag
Menschenstudien ohne Ende, Gedränge - unangenehm bis zur Bedrängnis. Dazwischen Glücksmomente: Im Gespräch mit Lothar Schirmer (Doppelverleger der Verlage Schirmer & Mosel und Schirmer & Graf), der witzelnd die 4 Hs der Deutschen nennt: Humboldt, Hitler, Hartz und Hanns Magnus.
     Wiebke Bruns, die angenehm auffallend kosmetisch unkorrigiert mit Stolz, Natürlichkeit und frappierender Ehrlichkeit zu ihrem Buch Meines Vaters Land steht und meint: sie würde auch heute nichts in ihm ändern. Welche/r Autor/in kann das schon reinen Gewissens sagen?

Müntefering im Gewusel auf der Rolltreppe: Völlig unbehelligt, trotz seines markanten Aussehens, fast peinlich unerkannt, was ihm aber nur Recht zu sein scheint.
     Das ist mit Günter Grass anders: der wird auch im dichtesten Gedränge bemerkt, obwohl er von Jahr zu Jahr an Länge, nicht an Größe zu schrumpfen scheint.

Impressionen von der Buchmesse 2004Volker Neumann , der unfreiwillig abgesetzte Direktor der Frankfurter Buchmesse verbreitet ansteckende Fröhlichkeit, wo immer er auftaucht. »Der Zirkusdirektor freut sich, wenn es dem Publikum gefällt!« erklärt er sein auffälliges Strahlen. »Die Woche der Frankfurter Buchmesse ist die schönste des Jahres für mich. Sie bereichert, stimuliert, beglückt mich jedes Jahr aufs Neue!« bringt er seine Euphorie auf den Punkt. Er denkt nicht darüber nach, dass ihm die Verantwortung für die schönste Woche des Jahres genommen worden ist, weiß aber, dass er der Bücherwelt erhalten bleiben wird und meint überzeugend, wir treffen uns im nächsten Jahr zur schönsten Woche des Jahres wieder. Mit Vergnügen, Herr Neumann!

Sonntag
Festlicher Abschluss: die Verleihung des diesjährigen Friedenspreises des deutschen Buchhandels an Peter Esterhazy, den wahrscheinlich ersten schlipslosen Preisträger, der die wohl amüsanteste Dankesrede hält, die je in der Paulskirche das feierlich ernste Publikum zum Lachen gebracht hat.

Summa summarum
Welch Glück, dass diese brisante Büchershow so friedlich verlaufen ist. Wie bereichernd, Teil dieser brodelnden Kontaktbörse gewesen zu sein. Wie spannend, zu sehen, was sich daraus ergibt.

Ein paar der vielen Bücher auf die ich mich besonders freue: Terezia Mora: Alle Tage, Roger Willemsen: Gute Tage, Martin Suter: Lila, Lila, Viola Roggenkamp: Doppelleben     

Barbara Fellgiebel
16.10.2004

Barbara Fellgiebel ist wissenschaftliche Autorin und Übersetzerin für Schwedisch. Sie lebt in Portugal.


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