| Handke, Hamsun und andere Wilhelm Weller über Literatur und Moral nicht nur in Zeiten des Krieges Vor 50 Jahren, am 21. Mai 1949, starb Klaus Mann. In seinem Hotelzimmer in Cannes hatte sich der Schriftsteller vergiftet. In seinem letzten, kurz zuvor (englisch) geschriebenen Essay »The ordeal of the European Intellectuals« schrieb er über eine »Heimsuchung des europäischen Geistes«, die seine Verzweiflung mitbedingt und gesteigert hatte: »Woran soll er glauben, der europäische Intellektuelle von heute? So vieles von dem, was er ererbt hat, ist fragwürdig oder hinfällig geworden; so viele Maximen, die ihm gültig schienen, haben jetzt einen hohlen, unüberzeugenden Klang. Die europäische Luft widerhallt von falschen Glaubensbekenntnissen, trunkener Rhetorik, sich gegenseitig aufhebenden Argumenten, wütenden Anklagen.« Nach dem Sieg über Hitler war auch die Allianz der antifaschistischen Intellektuellen zerbrochen, in welcher Klaus Mann u.a. als Herausgeber der Emigrantenzeitschrift »Die Sammlung« eine zentrale Rolle spielte. Erst 4 Jahrzehnte später sollten der Kalte Krieg und die ihn begleitenden ideologischen Schlachten mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion enden. Alle bösen Geister dieses zu Ende gehenden Jahrhunderts scheinen sich nun aber auf dem Balkan noch einmal gegen ihr Verschwinden, welches ein modernes Europa erhoffte, aufzubäumen. Die hässlichen Fratzen eines gewalttätigen Nationalismus und die eines gleichermaßen desavouierten »realen« Sozialismus zeigen und vereinen sich in einem mörderischen Reigen, der in den letzten Jahren fast alle Regionen des ehemaligen Jugoslawien erfasste. Ein ehemaliger Kommunist und Banker, Milosevic, verficht seit 10 Jahren die völkische Sache der Serben - und ruiniert so sein Land. Seine Verbündeten, innen und außen, sind Rechts- und Linksradikale. Erst recht führt die Allianz seiner Widersacher jene ideologischen Rechts-Links-Koordinaten ad absurdum, welche dieses Jahrhundert und Europa geprägt und geteilt haben. Einer in der Rhetorik ihrer Gegner »faschistischen« NATO steht als Generalsekretär Javier Solana vor, ein spanischer Sozialist und früherer Gegner Francos. Der kolumbianische Literaturnobelpreisträger Gabriel Garcia Marquez nennt ihn seinen »Freund bei der NATO«. Über Solana, einen Großneffen Salvador de Madariagas, schreibt er: »Auf der ganzen Welt genießt er zu Recht den Ruf, der an Lächeln und Umarmungen verschwenderischste Mensch zu sein«. Und doch habe dieser Zivilist, der unfähig schien, einer Fliege etwas zuleide zu tun, nun den riskantesten militärischen Befehl gegeben. In Deutschland sind es Achtundsechziger, Gegner des Vietnamkriegs, welche nun die erstmalige Beteiligung der Bundeswehr an einem kriegerischen Einsatz verantworten. Ein früher Steine werfender Frankfurter Sponti ist als Außenminister im Bunde mit seiner amerikanischen Kollegin Albright und lässt Bomben auf Belgrad werfen. Die Realitäten haben am Ende dieses Jahrhunderts so viele Ordnungen auf den Kopf gestellt, auch die Ordnungen in den Köpfen selbst. Was kann in einer solchen Situation von den Intellektuellen erwartet werden? Noch einmal sei Klaus Mann zitiert: »Der Intellektuelle ist der Nachfolger und das säkulare Gegenstück des Priesters insofern, als auch sein Interesse vor allem geistigen Werten gilt und nicht materiellem Erfolg
Er muss treu bleiben gewissen freiwillig anerkannten Grundwerten und Prinzipien, wenn er sich nicht verlieren will in einem Irrgarten von Zweifeln und Widersprüchen«. Der serbische Erzähler Aleksandar Tisma, in seinen Romanen auch ein Chronist des Zweiten Weltkriegs, erlebt in seiner Heimatstadt Novi Sad nun einen weiteren Krieg und sieht dabei die Rolle des Schriftstellers ungleich zynischer. Auf die Frage eines Journalisten, ob der Schriftsteller ein Parasit des Schreckens sein, antwortet er: »
ja, ein Vampir, der saugt Blut aus allem, was geschieht
Alles dient der Literatur, sogar Diebstahl und Mord.« Diese pessimistische Sicht dürfte der Realität näher sein, als jene, welche im Schriftsteller den modernen Hohepriester der Moral sehen möchte. Was Klaus Mann über den westlichen Menschen schreibt, »
der sich schon für ein völlig gezähmtes, durchaus rationales Geschöpf gehalten hatte, erwies sich, sehr zu seiner eigenen entsetzten Überraschung, als ein noch immer von Dämonen besessenes, von irrationalen und barbarischen Kräften getriebenes Geschöpf«, kann auch für den Literaten selbst gelten. Dessen Platz ist nicht selbstverständlich auf der Seite des »Guten, Schönen und Wahren«, auch wenn ihm mehr und bessere Worte zur Verfügung stehen, um dies - scheinbar - herbeizureden. Wer sich heute über Peter Handke als Fürsprecher von Milosevic wundert, mag sich erinnern, dass der große Romancier Knut Hamsun, 1920 mit dem Literaturnobelpreis geehrt, ein glühender Anhänger Hitlers war. Wobei die Vergleiche in vieler Hinsicht und Dimension hinken. Einer der bedeutendsten Wegbereiter der literarischen Moderne, der amerikanische Lyriker Ezra Pound, wurde zu einem Propagandisten Mussolinis. Der ihm ebenbürtige deutsche Lyriker Gottfried Benn bejubelte in seinem Essay »Der neue Staat und die Intellektuellen« die Machtergreifung der Nazis. Der Franzose Louis-Ferdinand Celine, auch er ein sprachlicher und stilistischer Neuerer, war gleichzeitig ein hasserfüllter Antisemit. Anders als Hamsun, Pound oder Celine, die nach dem Krieg in ihren Ländern verfemt waren, blieb Ernst Jünger, der 1920 »In Stahlgewittern« aus der Position eines heroischen Nihilismus das Kriegserlebnis verherrlichte, eine literarische Ikone, in Frankreich noch mehr verehrt als in Deutschland. Mishima, einer der wichtigsten Nachkriegsautoren Japans, begnügte sich nicht mit der literarischen Kritik einer ihm steril und wertevergessen scheinenden Gesellschaft. Er gründete eine nationalistisch-paramilitärische Gruppe und beging 1970 aus Prostest gegen das moderne Japan Harakiri. Weit größer noch war die Schar jener Schriftsteller, deren Sympathie dem Sozialismus galt, oft ganz konkret der Sowjetunion und mitunter auch peinlich konkret dem anderen Jahrhunderttyrannen Stalin. Sartre verlangte einst eine »literature engagée«: »Es ist die Funktion des Schriftstellers, so zu wirken, dass keiner die Welt ignorieren und keiner in ihr sich unschuldig nennen kann.« Und wenn er selbst eine mörderische Praxis zugunsten eines scheinbar hehren Ideals ignoriert? Oder jene Ideen und Ideale erst in die Welt setzt, welche letztendlich in einer solchen Praxis kulminieren? Den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien ging ein Memorandum voraus, welches 1986 von der serbischen Akademie der Wissenschaften erstellt wurde und ein Ende der behaupteten Diskriminierungen des serbischen Volkes forderte. Redigiert wurde dieses Memorandum von Dobrica Cosic, einem der populärsten serbischen Schriftsteller. 1992 - 1993 war er Präsident Restjugoslawiens. Vielen galt er als »Vater der Nation«, manchen auch als geistiger Vater von Milosevic - rückblickend waren auf jeden Fall die Titel seiner zwei Trilogien ahnungsvoll weitsichtig: »Die Zeit des Todes« und »Die Zeit des Bösen«. Sein Namensvetter Bora Cosic, Autor von »Bel Tempo«, zog entgegengesetzte Konsequenzen und zog weg aus Belgrad nach Berlin. Die Stadt, in der er aufwuchs, mag er nicht mehr beim Namen nennen: »Ich sage lieber, die Stadt aus der heraus der Krieg regiert wird.« Die junge, serbische Dramatikerin Biljana Srbljanovic, Autorin des hochgerühmten Theaterstücks »Belgrader Trilogie«, schildert in ihrem Tagebuch, wie sie zwischen Bleiben und Flüchten hin und her gerissen ist. Schon bereit zur Abfahrt entscheidet sie anders: »Ich stehe auf und beginne langsam, meinen Koffer auszupacken. Ich stehe auf und bleibe hier. Ich lache.« Sie muss das verachtete Regime fürchten, fehlgeleitete Flugabwehrgeschosse und fehlgeleitete Bomben. Nach dem Massaker in Srebrenica fassungslos über die Rückkehr der Barbarei nach Europa wünschte ich schon vor 4 Jahren eine Intervention der Staatengemeinschaft, des Westens. Notfalls auch Bomben über Schuldige und vielleicht noch mehr Unschuldige? Sehe ich nun Bilder der Verwüstungen, »Kollateralschäden«: zerstörte Wohnhäuser, Verstümmelte, Tote, ertappe ich mich beklommen bei dem gleichen Reflex, den Walser in seiner fragwürdigen Rede zur Friedenspreisverleihung beschrieb: Ich möchte wegschauen, denn ich fühle mich mitschuldig. Wilhelm Weller 30.05.1999 Lesen Sie zum Thema Kosovo-Krieg auch die Juni-Nörgelei von Wolfgang Tischer: Was würdest du denn tun? Zur Homepage von Wilhelm Weller: www.wahre-worte.de |