»Ich habe den Text irgendwie inhaliert«

Die Stimme, die jeder kennt: Ein Interview mit dem Sprecher und Vorleser Christian Brückner

Sollte Ihnen der Name Christian Brückner nichts sagen, so kommt spätestens dann das Aha-Erlebnis, wenn Sie seine Stimme hören. Brückner ist die deutsche Synchronstimme u.a. von Robert DeNiro und Harvey Keitel, spricht Reportagen und Berichte, ist in unzähligen Hörspielen zu hören und hat zahlreiche Hörbücher gesprochen (u.a. »Der Pferdeflüsterer«, »In eisigen Höhen« und »Die Asche meiner Mutter«). Mit Christian Brückner sprach Wolfgang Tischer.

Literatur-Café: Wie kam es, dass Sie sich als Künstler fast ganz auf die Stimme konzentriert haben? War das Zufall oder war das schon immer von Ihnen angestrebt?

Brückner: Es waren einfach die Arbeitsmöglichkeiten, die sich mir damals parallel zum Studium in erster Linie boten: im Funk zu arbeiten, im Synchron zu arbeiten. So bin ich gewissermaßen in diese Arbeit hineingeraten, obwohl ich das schon gut fand. Ich habe das exzessiv und intensiv gemacht und mache es - etwas weniger exzessiv, aber hoffentlich genauso intensiv - heute noch.

Literatur-Café: Haben Sie überhaupt noch einen Überblick darüber, wie viele Filme, Hörbücher und Hörspiele, Reportagen und so weiter Sie in Ihrem Leben gesprochen haben? Wieviel Minuten, Tage, ja vielleicht Wochen Brückner das am Stück wären?

Brückner: Nein, (lacht) keine Ahnung. Ich habe keinen Überblick, da müsste ich mir jetzt irgendwelche Statistiken selbst zusammenstellen… Nein, ich habe keine Vorstellung, es ist natürlich überall sehr viel gewesen. Das ist das Einzige, was ich weiß. Ich habe viel gearbeitet.

Literatur-Café: Wenn Sie jetzt nach all den Jahren lesen: können Sie vom Blatt lesen oder brauchen Sie noch Vorbereitung für die Texte?

Brückner: Die Frage ist schon richtig gestellt, verkennt aber die Situation. Natürlich kann ich vom Blatt lesen. Es würde mir keine allzu große Mühe machen, einen x-beliebigen Text prima vista wiederzugeben, egal ob vor dem Mikrofon oder vor Publikum. Nur wäre das - speziell bei literarischen Texten - überhaupt nicht meine Absicht, sowas auszuprobieren. Es wäre der Literatur, dem Text gegenüber fahrlässig zu glauben, man brauchte sich nicht damit zu beschäftigen. Ich beschäftige mich während der Vorbereitungsarbeit sehr wohl und ziemlich ausführlich damit, weil ich nur auf diese Art und Weise den Text für die Zuhörer wirklich plastisch machen kann, statt ihn irgendwie beliebig zu präsentieren. Durch meine Vorbereitung versuche ich, dem Autor gerecht zu werden, dem Autor und dem Text selbst.

Literatur-Café: Wie bereiten Sie sich denn vor? Sicher ist jede Arbeit anders. Nehmen wir beispielsweise ein Hörbuch: Lesen Sie das Buch öfter? Machen Sie sich Anmerkungen? Man hat den Eindruck, gerade auch wenn man Sie live vor Publikum erlebt, dass Sie den Text förmlich leben. Das als »auswendig kennen« zu bezeichnen wäre fast schon zu banal.

Brückner: Ich mache keine schriftlichen Anmerkungen und kenne den Text auch nicht auswendig, aber trotzdem habe ich ihn natürlich irgendwie inhaliert. Das ist der Prozess, von dem ich gerade gesprochen habe. Ich habe ihn mir zurechtgemacht, als hätte ich für mich selbst ein Theaterstück inszeniert, so kann man das vielleicht am ehesten noch ausdrücken. Ich kenne eigentlich den ganzen Ablauf der Dinge, die da geschehen, was sozusagen szenisch und inhaltlich passiert. Und da mir das klar ist, da dieses Gerüst vorhanden ist, kann ich mich darin beliebig bewegen.

Literatur-Café: Verlesen Sie sich überhaupt noch?

Brückner: Ja natürlich, man verliest sich immer wieder, aber das geschieht verhältnismäßig selten. Ich nehme den Text eben nicht als lineares Ding von der Seite runter, sondern er ist vorher schon irgendwo anders; zwischen Kopf und Bauch, da irgendwo schwebt er schon.

Literatur-Café: Gibt es denn eine Art von Texten, von denen Sie sagen würden - jetzt mal abgesehen vielleicht von weiblichen Rollen -, das ist nichts für Sie? Oder würden Sie sagen, ein guter Vorleser muss alles lesen können?

Brückner: Ich würde nicht behaupten, dass ich alles lesen würde und alles lesen kann. Beides stimmt nicht. Trotzdem versuche ich, die Bandbreite groß zu halten. Und mein Interesse ist auch groß. Ich lerne ja auch qua Beruf einfach viele Dinge kennen, die mir sonst gar nicht so unbedingt über den Weg gelaufen wären. Salter* ist so ein Beispiel. Ihn hätte ich vielleicht gar nicht gelesen oder kennen gelernt. Ich bin froh, dass ich als Auftragsarbeit diesen Büchern begegnet bin.

Literatur-Café: Ist es ein großer Unterschied, ob Sie vor Publikum lesen oder im Studio?

Brückner: Ja, natürlich, das ist ein großer Unterschied. Das kann man überhaupt nicht vergleichen. Bei der Studioproduktion liegen die Akzente ganz anders. Ich will nicht sagen, das Ergebnis wäre ein ganz anderes, aber ich muss mich auf ganz andere Dinge konzentrieren. Im Saal mit Publikum ist das eine Wechselwirkung. Nicht nur ich beeindrucke das Publikum, sondern das Publikum beeindruckt und verändert ja auch mich, also sozusagen meine Performance. Im Studio bin ich allein auf mich selbst angewiesen und auf die Vorschläge einer Regie; da geht meine Konzentration ganz woanders hin.

Literatur-Café: Wie würden Sie gutes Vorlesen definieren?

Brückner: Gutes Vorlesen ist sprachliches Vermögen, ist schauspielerische Fantasie, ist - ich sag es schlicht - Liebe zur Literatur.

Literatur-Café: Was sind die größten Fehler, die man machen kann?

Brückner: Aaach - unendlich viele (lacht)! Ich habe sie nie katalogisiert, es ist unglaublich! Naja, ich kann es theoretisch sagen: Der allergrößte Fehler beim Vorlesen ist sicher, dem Text kein Leben einzuhauchen und damit sein Publikum zu langweilen.

Literatur-Café: Eine letzte Frage: Nachdem Sie so viel lesen müssen, was lesen Sie denn privat gerne?

Brückner: Eigentlich genauso querbeet und genauso vielfältig wie öffentlich auch. Ich habe ein großes Faible für nordamerikanische Literatur. Da gibt es so viele wunderbare Autoren, die hier nur mäßig bekannt sind, und da bin ich immer wieder überrascht über die Fülle von fantastisch guter Literatur.

Literatur-Café: Ein Tipp?

Brückner: Ein grandioses Buch ist z.B. der letzte Roman von Philip Roth, »Amerikanisches Idyll«**. Wenn man ein bisschen was über Amerika weiß und dieses Buch liest… wunderbar!

Literatur-Café: Herr Brückner, wir danken Ihnen für das Interview.

07.07.1999


* James Salter; Beatrice Howeg (Übersetzung): Ein Spiel und ein Zeitvertreib: Roman. Gebundene Ausgabe. 1998. Bloomsbury. ISBN/EAN: 9783827000965
James Salter; Beatrice Howeg (Übersetzung): Ein Spiel und ein Zeitvertreib: Roman. Taschenbuch. 2013. Berlin Verlag Taschenbuch. ISBN/EAN: 9783833309502
James Salter; Beatrice Howeg (Übersetzung): Ein Spiel und ein Zeitvertreib: Roman. Kindle Ausgabe. 2010. Bloomsbury Verlag eBook. 9,99 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige

**Philip Roth; Werner Schmitz (Übersetzung): Amerikanisches Idyll: Roman. Gebundene Ausgabe. 2018. Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG. ISBN/EAN: 9783446262379. 16,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Philip Roth; Werner Schmitz (Übersetzung): Amerikanisches Idyll. Taschenbuch. 2000. Rowohlt Taschenbuch. ISBN/EAN: 9783499224331. 14,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Philip Roth; Werner Schmitz (Übersetzung): Amerikanisches Idyll: Roman. Kindle Ausgabe. 2015. Hanser, Carl GmbH + Co. 10,99 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige

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Christian Brückner

 

»Der allergrößte Fehler beim Vorlesen ist, dem Text kein Leben einzuhauchen und damit sein Publikum zu langweilen.«


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