StartseiteAlmtraumFolge 91 vom 1. Juli 2007

Folge 91 vom 1. Juli 2007

Im Herd knackte ein Scheit wie ein Pistolenschuss. Bettina stand auf und versorgte das Feuer.

»Gedrosselt«, informierte sie und setzte sich auf ihren Platz.

»Willkommen an Bord«, sagte er und betrachtete die Tür zur Küche. »Ich kann den Kurs nicht halten.«

»Die Entführung läuft doch nach Plan, oder? Nachdem ich Ihr Manuskript gelesen habe, drängt sich bei mir der Verdacht auf , dass …«

»Ich habe keine wildfremde Frau entführt«, unterbrach er. »Ich kannte Ihren Namen.«

»Ich bin schon einen Schritt weiter. Amanda, die Lektorin, das bin ich, und Sie spielen das Literaturphantom. Stimmt’s?«

»Nein. Amanda hat hellblonde schulterlange Haare und sie trägt ein hautenges pinkfarbenes Kostüm, für Männer praktisch eine Klarsichtverpackung. Vielleicht bin ich selbst Amanda oder sie ist meine Schwester.«

Bettina antwortete nicht sofort. »Das klingt alles ein wenig …« Sie suchte nach dem passenden Ausdruck. Ȇberspannt.«

»Wundern Sie sich? Sie haben mir doch bereits gestern gesagt, dass ich verrückt bin. Und ich Ihnen, dass Sie sich in dieser Meinung nicht beirren lassen sollen.«

»Nein«, schüttelte Bettina den Kopf. »Sie tischen mir leicht Verdauliches auf. Hier findet keine Entführung statt, sondern eine Parodie, obwohl ich das weiß Gott nicht komisch finden kann mit dieser Angst, die mir immer wieder auflauert.«

Stefan hielt die Bierflasche mit beiden Händen. Seine Daumen streichelten die Rundung am Hals. »Wenn ich Ihnen«, sagte er langsam, »einen status quo anböte, eine Art von Garantie …«

»Ob ich einem Versprechen glauben würde?«

Stefan wartete, aber Bettina beantwortete ihre Frage nicht. »Zum Frühstück habe ich das Brotmesser nicht gefunden«, sagte er. »Es lag nicht in der Besteckschublade und auch nicht in den anderen. Sehr viele Möglichkeiten, ein Brotmesser zu verlegen, gibt es hier nicht. Die Erkenntnis kam mir schlagartig: Frauen greifen immer zum Brotmesser. Sie verbinden mit der Größe der Klinge die Wirkung als Waffe. Dabei hat ein Brotmesser eine runde Spitze und es ist zu biegsam. Soll ich Ihnen nicht besser das Kartoffelschälmesser ins Bett legen?«

Bettina funkelte ihn an. »Was bezwecken Sie mit Ihrer Bemerkung? Den Beweis, dass Sie obenauf sind? Oder wollen Sie sich dahinter verstecken?«

»Warum sollte ich abwarten, über Sie herzufallen? Wegen eines intensiveren Genusses?«

»Wenn Sie verrückt genug sind, macht auch das Unwahrscheinliche einen Sinn.«

»Sie müssen es wohl oder übel darauf ankommen lassen.«

»Dann entscheide ich mich für das Kartoffelschälmesser«, sagte Bettina.

Stefan lachte. »Sie nehmen mich ernst, und das fasse ich als Kompliment auf.«

»Werden Sie mich morgen gehen lassen?«

»Ja.« Er ließ vom Hals der Bierflasche ab und füllte das Stamperl mit Obstler auf.

»Was werden Sie wegen der Entführung tun? Werden Sie untertauchen?«

»Das ist meine Sache«, antwortete er bestimmt und trank, um ihr nicht ins Gesicht schauen zu müssen.

»Gut«, sagte Bettina, ohne dass es nach Triumph klang.

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