StartseiteAlmtraumFolge 129 vom 8. August 2007

Folge 129 vom 8. August 2007

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Ich druckte das letzte Kapitel aus und legte die Seiten zum Manuskript. Mit meinem ersten Arbeitstag zu Hause war ich rundherum zufrieden. Wie immer, wenn ein Roman abgeschlossen war, suchte ich in Gedanken nach einem geigneten Verlag.

Weigold! Die letzte Absage! Von Bettina Kracht!

Den Roman durfte ich nicht mit der Post schicken, mit diesem Ende musste ich ihn Bettina persönlich übergeben. Ich heftete das Manuskript in eine Mappe und bestellte bei Moosbauer ein Taxi. Mit der Suche nach meinem Polo wollte ich mich jetzt nicht aufhalten.

Der Zufall teilte mir Mehmet zu und keinen von den alten Kollegen, die unangenehme Fragen gestellt hätten, wie es geht und warum und wieso, erst recht, sobald ich das Fahrtziel genannt hätte. Das Gesprächsthema ergab sich von allein, weil Mehmet den Weg zur Franz-Ferdinand-Straße nicht kannte.

Während der dreißig Schritte von der Eingangstür zum Empfang war ich nervös. Ein Manuskript persönlich abzugeben hebt aus der Masse der unverlangten Einsendungen heraus, die Lektorin konnte die Einschätzung über den Text unmittelbar mit meiner Person verbinden; ich stellte nicht nur den Roman zur Beurteilung, sondern sozusagen auch mich selbst.

Eine Frau in meinem Alter saß hinter der Empfangstheke, in ein schickes, blau in blau getöntes Kostüm eines Sicherheitsunternehmens gekleidet.

Ich möge doch bitte einen Termin vereinbaren, war die freundliche Auskunft, nachdem sie telefoniert hatte. Einen Augenblick musste ich mich sammeln. Ich war ein unangemeldeter Termin mit einem unverlangten Manuskript in der Hand; das ist, als hätte ich weder eine Eintrittskarte zu einer Vorstellung noch das Geld, mir eine zu kaufen. Ein zweites Mal würde der Zufall keinen Fahrauftrag erteilen, um Bettina nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause zu bringen.

Ich verlegte mich aufs Bitten. Nur eine Viertelstunde, die Sache ließe sich nicht schriftlich erledigen. Es folgten weitere Telefonate und Bedauern. Demonstrativ setzte ich mich in einen der Besuchersessel und zeigte auf die Armbanduhr. Gleich fünf Uhr, sagte ich, und dass ich warten würde; Frau Kracht würde kaum wegen mir in ihrem Büro übernachten.

Eine knappe Stunde lang vertrieb ich mir die Zeit, den Gehenden von der Treppe oder vom Aufzug bis zum Ausgang nachzusehen und meine Fantasie an Kleidung, Gang und Gesichtsausdruck zu erproben. Heute war das Spiel eher Gewohnheit, ich war zu angespannt und darum nicht besonders konzentriert bei der Sache.

»Ist er das, dort im Sessel?«

Wie elektrisiert sprang ich auf.

»Mutter?«

Mir war das Wort einfach so herausgerutscht. Das Gesicht, die Farbe der Haare und der Schnitt hatten mich zu dem Irrtum verleitet, auch das Alter und die Figur stimmten, aber meine Mutter trug keine Brille. Mit dieser Frau konnte Stefan Bruhks nicht in die Priach gestürzt sein. Ich machte zwei, drei Schritte, zögerte und rannte los, gegen die Tür. Ich zappelte einige Sekunden an der Glasscheibe und war dann draußen und lief weiter, etwa für zwei Euro, wenn ich ein Taxameter am Bein gehabt hätte. Zwischendurch bemerkte ich, dass ich das Manuskript auf dem Tischchen neben dem Besuchersessel vergessen hatte. Frau Kracht würde den Roman also lesen und ich mich in die entfernteste Ecke verkriechen. Nicht, dass ich den Roman für schlecht hielt, er kam mir jetzt nur peinlich falsch besetzt vor.

Ich ging für weitere zwei Euro, bis ich an eine U-Bahn-Station kam und in den ersten Zug stieg. Vielleicht hielt Frau Kracht den Roman für ein Kompliment, dachte ich, und dass ich von den Konflikten, die mir das Schreiben einbrachte, die Nase voll hatte. Ich könnte wieder einmal lesen, nicht nur erste Sätze studieren, und meine Liebe zu Büchern neu beleben.

Nächster Halt Ägidiusplatz, sagte der Lautsprecher.

Ob ich in der Buchhandlung vorbeischauen sollte? Christine hatte mir mit ihrer schüchternen Freundlichkeit immer wohl getan. Wenn sie sich aufmerksam nach meinen Wünschen erkundigte, bildeten sich Falten auf ihrer Stirn, und der sanfte Blick, der die Frage nach dem Fortschritt meiner Arbeit begleitete, streichelte meine wunde Seele. Mit ihr könnte ich auch über andere Romane reden als über meine eigenen. Ein Gefühl von Geborgenheit breitete sich aus, trotzdem blieb ich skeptisch. Das Erlebnis bei Weigold war noch zu frisch, als dass ich mich nicht fragte, in welche Richtung ich diesmal vor mir selbst fliehen wollte.

Ein Fundstück aus den Studien über erste Sätze kam mir in den Sinn. Ich brauche jetzt Ruhe. Ich hatte kein Chalet in den schweizer Bergen, wie es Elizabeth von Arnim in ihrem Roman beschrieben hatte. Ob Christine mit mir die Begeisterung für die Almhütte teilen würde? Ich könnte sie dorthin entführen, gleich heute Nacht.

Ende