StartseiteAlmtraumFolge 79 vom 19. Juni 2007

Folge 79 vom 19. Juni 2007

Im Schlafraum zog er eines der großen Schubfächer aus dem Fußraum unterhalb der Bettstellen.

»Hier ist Ihr Schlafsack.« Er händigte ihr eine Steppdecke aus. »Wenn Ihnen unser gemeinsames Schlafgemach nicht zusagt, können Sie sich meinetwegen in den Stall auf den Erdboden legen. Womit Sie wollen, nur nicht mit einem meiner Schlafsäcke. Die bleiben sauber.«

»Welches Bett haben Sie mir zugedacht?« frage sie.

»Gewöhnlich schlafe ich hier rechts. Dann kann ich vom Bett aus das kleine Schiebefenster bedienen. Seit der ersten Nacht hier oben habe ich die fixe Idee, ich könnte eines Morgens mit einer Kohlenmonoxydvergiftung aufwachen. Wir feuern den Herd nämlich so lange wie es geht, damit die Hütte bis zum Morgen nicht zu sehr auskühlt.«

»Ich werde es mir im Wohnraum bequem machen.«

»Auf der Bank?«

»Ja. Die eine Nacht werde ich überstehen.«

»Wie Sie meinen. Bücher finden sie in der Truhe in der Küche, unter dem rückwärtigen Fenster. Oder soll ich Ihnen ein Manuskript von mir geben?«

»Werden Sie ruhig schlafen, während ich nebenan wache?«

Stefan gefiel der Ton der Frage nicht. »Sie schlafen in dem Bett links, hinter der Tür«, entschied er. »Das Bettlaken ist frisch. Im Herbst nehme ich die Wäsche mit nach Hause und bringe sie erst nach der Schneeschmelze wieder hoch.« Er öffnete ein weiteres Schubfach mit Unterwäsche, Baumwollslips ohne Eingriff – er stutzte – und einem Büstenhalter. Im Fach daneben fanden sich Freizeithemden, Hosen, Pullover. Hastig ging er die Wäschestapel durch. Ausschließlich Größe 38. Nicht ein einziges Wäschestück für ihn! Diese Schubfächer waren das Spiegelbild seines Kleiderschrankes!

Stefan hielt sich an einem der Pfosten fest, die das Bettengestell zwischen Fußboden und Decke abstützte. Nicht das Sie das falsch verstehen, sagte Berta Böttcher. Frau Bruhks hat nie etwas von einem Bruder erwähnt.

»Ist Ihnen schlecht?« fragte Bettina.

Er schüttelte den Kopf. »Ich habe einen Fehler gemacht. Ich hätte Alfred fragen sollen, anstatt ihn fortzujagen.«

»Das war nicht Ihr einziger Fehler.«

Seine Lektorin war hellwach und nutzte jede Blöße zum Gegenangriff. Er musste auf der Hut sein. »In Konfektionsgröße 38 habe ich reichlich Auswahl.«

»Eine Garnitur reicht. Sie werden nicht lange – Sie werden überhaupt keine Freude an mir haben.« Sie machte keine Anstalten, etwas auszusuchen.

»Worauf warten Sie?«

»Ich werde mich in Ihrer Gegenwart nicht ausziehen«, sagte Bettina entschlossen.

Er wusste, dass sie es ernst meinte, sehr ernst. Ein skrupelloser Entführer würde Gewalt anwenden und musste mit Gegenwehr rechnen. Was sie nicht wusste war, dass er keine Absichten hegte. Das schwächte seine Position, denn sie würde sein Verhalten als Teilerfolg verbuchen.

»Wenn Sie den Schlüssel für den Keuschheitsgürtel nicht dabei haben, nehme ich die Eisensäge«, sagte er schroff und verließ den Schlafraum.