StartseiteAlmtraumFolge 76 vom 16. Juni 2007

Folge 76 vom 16. Juni 2007

»Warten Sie.« Stefan verließ den Wohnraum. Kurz darauf kam er mit einem flachen blauen Kunststoffkoffer zurück, zog den Reißverschluss zu beiden Seiten auf und klappte den Deckel hoch. Liebevoll strich er über das blaue Metallgehäuse. »Eine Reiseschreibmaschine. Die habe ich mit vierzehn von meinen Eltern bekommen. Elegant, nicht wahr?« Er tippte auf ein paar Tasten und die Typenhebel schlugen auf die Walze. »Das ist eigentlich verpönt«, tadelte er sich selbst. »Die Walze muss sauber bleiben. Für das jungfräulich weiße Papier.«

»Und ich soll einen Roman schreiben und damit quasi meine Unschuld verlieren?«

Stefan lachte. »Sie machen mir bereits Konkurrenz, Lektorin.«

»Nennen Sie mich nie wieder Lektorin, Sie mieser Möchtegern-Wortdrechsler.«

»Einverstanden. Wir verzichten ab sofort auf Beleidigungen. An Ihre Unschuld glaube ich allerdings nicht.«

»Läuft es darauf hinaus?«

Stefan hob abwehrend die Hände.

»Verstecken Sie das Papier, bevor ich es in den Ofen werfe.«

»Notfalls tippen Sie auf Klopapier«, erwiderte Stefan entschlossen. »Es wäre töricht, auch das Klopapier zu vernichten. Dann werden Sie sich ihren hübschen Hintern mit Blättern von Huflattich abputzen. Ich war mal mit der kleinen Engländerin hier. Von ihr kenne ich auch den englischen Namen. Coltsfoot. Wenn Sie an der richtigen Stelle ein r einfügen, klingt es drollig, nicht wahr?«

»Sie können mich mal …«

»Keine Zitate! Auch wenn sie in den Zusammenhang passen sollten. Kommen Sie, ich zeige Ihnen, wie die Chemietoilette präpariert wird und wir legen die Regeln für das Ausleeren fest.«

Sie rührte sich nicht.

»Seien Sie nicht so dickköpfig. Ich kann Sie auch in die Wiese scheißen lassen, wenn Sie das vorziehen. Das ist bei Regen und Schnee besonders angenehm, wenn das Papier einfeuchtet. Also wählen Sie.«

Bettina holte Luft zu einer Entgegnung.

»Sagen Sie nicht schon wieder Scheißkerl«, kam er ihr zuvor. Er nahm die Gießkanne und ging zur Stalltür.

Bettina folgte widerstrebend. Sie zog den Kopf nicht tief genug ein und schlug gegen den schiefen Querbalken der Stalltür. Dem Schmerzensschrei schickte sie ein nicht minder lautstarkes Ich glaub’ es nicht! hinterher.

»Noch vier Mal, dann kennen Sie sich aus«, sagte Stefan ungerührt.

Ein kleine Rampe aus Holzbrettern führte von der Tür auf den ebenerdigen Stallboden. Stefan ließ die Stalltür zufallen. »Das hier ist der ehemalige Kuhstall«, erklärte er im Tonfall eines Museumsführers. »Gleich hier rechts haben wir den Saustall in eine Toilette umgebaut.« Stefan öffnete die mit einem Lederriemen am Pfosten befestigte Brettertür, die nach Art einer Saloon-Tür nicht bis zum Erdboden reichte.

Die Bretterwände des Saustalls waren mit Blümchen auf gelbem Grund tapeziert, davor hingen Werkzeuge und eine grüne Petroleumlaterne, auf dem Boden reihten sich mehrere Kanister und ein Werkzeugkasten neben Rollen von in Folie verpacktem Toilettenpapier. Inmitten stand eine schwarze Kunststofftoilette, ausgerichtet mit Blick auf die gelbe Blumenwiese.

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