StartseiteAlmtraumFolge 49 vom 20. Mai 2007

Folge 49 vom 20. Mai 2007

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Die Interpretationen landeten im Abfalleimer, die Einkäufe auf der Arbeitsplatte.

Bis vor einer Stunde zweifelte er nicht daran, Stefan Bruhks zu sein. Christine kannte seinen Namen, Brockmeier oder Brockmann stand auf dem Bestellzettel, schnell hingekritzelt zur Ablage unter einem Anfangsbuchstaben. Zu blöd war die einfache Frage an Christine, sie möge ihm sagen, wie er denn heiße. Irgendwann würde er sich dieser Frage stellen müssen, wenn er ohne Einmischung von Alfred, der Quälseele, seinen wirklichen Platz im Leben wieder finden wollte.

Stefan holte das Büchlein aus dem Abfall und klopfte den Kaffeesatz vom Einband. Ein Gesprenkel aus braunen Flecken blieb zurück. Das Buch war gekauft, und eines Tages würde ihm auch der Grund dafür einfallen, hoffte er und stellte die Interpretationen neben ein ebenfalls gelbes dünnes Bändchen von Dostojewskij aus dem gleichen Verlag.

Stefans Magen meldete sich. Das Hungergefühl war eine verlässliche Größe, er musste lediglich die zum Abendessen eingeplante Portion Salat Spezialetwas größer ausfallen lassen, obwohl der geschmackliche Reiz in der Vielfalt der verwendeten Zutaten und nicht in der Menge lag.

Wieder déjà vu, fiel Stefan auf. Wie zum Beweis sagte er sich das Rezept im Kopf vor. Es könnte der Grundstock für ein Kochbuch sein, dachte er. Bis er den entsprechenden Bekanntheitsgrad erreicht hatte, würde er genügend Rezepte gesammelt haben. Manche Autorinnen warteten nicht so lange und verstreuten ihre Rezepte kurzer Hand in der Prosa, sozusagen als kostenlose Beigabe an die Leser.

Beinahe wäre die Zubereitung des Salates an der Sahne gescheitert, die Stefan beim Einkauf vergessen hatte. Mit Kondensmilch half er sich aus der Verlegenheit. Er rührte sie mit einem Schuss Vollmilch, Öl, Essig und einer Prise Pfeffer an und schüttete die Soße in eine hohe Tasse. Zwei Blätter Chicorée warf er mit grünem Salat, Feldsalat, drei Scheiben Tomaten, einigen roten Zwiebelringen und zwei Esslöffeln Mais in eine Schüssel, mischte und häufelte den Salat aus der Schüssel auf einen großen Glasteller. Vorsichtig goss er die Soße aus der Schüssel über den Salat. Den Rest der Soße schüttete er in den Ausguss, der Salat sollte Geschmack bekommen und nicht ertränkt werden. In der Pfanne brutzelte er eine Handvoll Speckwürfel. Mit den in Scheiben zerteilten Champignons und Croutons schwenkte er sie kurz an. Speck, Champignons und Croutons verteilte er als Dressing. Dazu gab es Dreikornbrot mit Schweineschmalz und Grieben.

Stefan war zufrieden und ab dem Magen abwärts satt; im Kopf war sein Geist auf eine andere Art hungrig, er wollte entdecken und aus Kombinationen von Bekanntem auf Neues, Erzählenswertes stoßen. Ein Rezept gab es dafür leider nicht und auch noch zu wenig Zutaten. Dass er kochen konnte, war für den Alltag angenehm, ohne ihn auf dem Weg zu sich selbst weiter zu bringen.

Mitten im Abwasch klingelte das Telefon. Würde neuer Schwung in die Selbsterforschung kommen? Er wartete, als ob er eine Bestätigung des nicht mehr für möglich Gehaltenen brauchte.

»Ja?«

Eine fremdländische Stimme fragte freundlich: »Yasemin ankommen?«

Stefan legte den Hörer auf, ließ ihn aber nicht los. Hatte er schon mal mit einer türkischen Freundin angebandelt? Yasemin stand nicht in seinem Notizbuch, das wäre ihm beim Durchsehen aufgefallen.

Das Telefon klingelte erneut.

»Falsch verbunden«, bellte Stefan und tippte mit dem Zeigefinger auf den Kontakt. Kein neuer Schwung, sondern alte Unwucht.

Um nicht über sein Dilemma grübeln zu müssen, setzte sich Stefan an den Schreibtisch und holte den Entwurf der Phantom-Geschichte hervor. Auf dem Weg zur Buchhandlung war ihm eine Idee für den Schluss zugeflogen. Inspirationen galt es festzuhalten und aufzuschreiben, zu flüchtig waren solche Gedanken und zu gern verdrängte sie der Alltag auf Nimmerwiedersehen in einen unzugänglichen Winkel seines Gedächtnisses. Stefan schrieb eine Weile, strich Formulierungen und ersetzte sie durch vermeintlich bessere, ergänzte und notierte Alternativen. Dann startete er den Computer zur Reinschrift.

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