»Haben Sie das neue Buch von Ira Lehnd?« hörte er eine Frau an der Kasse fragen.
»Sie meinen Die Megafrau? Ich schau mal nach.«
Stefan spürte die Nähe der Verkäuferin. »Darf ich?« fragte sie und er trat einen Schritt zurück. Die Verkäuferin zog eine Schublade auf und suchte in kleinen Stapeln. »Tut mir leid«, sagte sie. »Ich kann es für morgen besorgen.«
Stefan stellte die Fünfhundert-Seiten-Ausgabe einer amerikanischen Bestsellerautorin zurück in die Lücke. Da gab es drei weitere von ihr, ebenso breit, mit anderen Titeln. Wenn er daran dachte, wie viel Mühe ihm zweihundert Seiten anständiger Text bereiteten … meine Güte, eine Megafrau. Du musst ‘ne Frau sein in dieser Welt, dachte er, und dass der Wunsch nicht fair sei, ganz allgemein gesehen; allenfalls könnte er versuchen, unter dem Pseudonym einer Frau zu veröffentlichen.
»Suchen Sie etwas Bestimmtes?« Die Verkäuferin schaute ihn mit dem so aziehend schüchtern wirkenden Lächeln an.
»Nein, ich stöbere nur und warte, ob mich ein Titel anspricht.«
»Sie waren in den letzten Wochen nicht mehr bei uns.«
Stefan hielt die Luft an. Das war der erste unabhängige Beweis für seine Existenz als Stefan Bruhks.
Der Buchhändler rief aus einer Ecke des Ladens: »Christine?«
»Gleich«, antwortete die Verkäuferin. Und zu Stefan gewandt: »Macht der neue Roman Fortschritte?«
»Oh ja«, nickte Stefan zur eigenen Bestätigung.
»Und die Verlage?«
»Absagen, Absagen«, stammelte er.
Christine errötete. »Wollen Sie Ihre Bestellung jetzt mitnehmen? Ich kann den Preis aber diesmal nicht anschreiben, Sie verstehen – der Chef, ich müsste den Betrag sonst« – sie schaute kurz zu Boden – »wieder aus eigener Tasche vorlegen.«
Stefans Wangen brannten und er errötete bis unter die Haarwurzeln. Schlimm genug, dass die peinlichen Kassenerlebnisse nicht abrissen, aber dieses Mal schämte er sich. Er hatte sich von Christine literarisch aushalten lassen!
»Ja.« Mehr brachte Stefan nicht heraus.
Christine ging hinter die Kasse und suchte in einem Zettelkasten, unter B, wie Stefan sehen konnte.
»Habe ich noch Schulden bei Ihnen?« fragte er mit belegter Stimme.
Christine drehte ihm den Kopf zu und lächelte. »Es ist alles in Ordnung.«
Stefan überlegte, ob sie nun einen Schuldenerlass oder ein ausgeglichenes Konto meinte. Christine ließ ihm keine Zeit für eine Entscheidung. »Hier«, sagte sie und zog aus einem Regalfach hinter der Kasse ein kleines gelbes Bändchen hervor. Stefan sah nicht das Büchlein, sondern starrte auf den Zettel. Der Name des Bestellers begann zweifelsfrei mit B, war aber nicht Bruhks. Nach dem Bfolgten Buchstaben, die er nicht eindeutig zuordnen konnte, r, a, e chvielleicht, oder ach, eck, och. Der Name endete in einer Schlangenlinie.
»Die Bestellung ist doch richtig, oder?« fragte Christine. »Sie schauen so zweifelnd.«
»Wie immer«, antwortete Stefan und war davon überzeugt, dass Christine stets das Richtige für ihn tun würde. Die Wärme war jetzt in seiner Magengegend, was selten vorkam und ihn deshalb sicher machte.
Stefan bezahlte und verabschiedete sich mit bis bald. Den Gruß meinte er freundschaftlich, auch dankbar, und mit einem großen Ausrufezeichen im Kopf – Vorsicht, nur keine persönlichen Beziehungen anknüpfen. Der Schreck, er könnte zweifacher Familienvater sein, war ihm noch in guter Erinnerung, und wer weiß, ob nicht doch bald seine Freundin anrufen würde oder sogar bei ihm vorbeikam. Wenn sie sich dann als seine Schwester entpuppte, war immer noch Zeit genug, ein weiteres Buch bei Christine zu bestellen.
Draußen vor der Buchhandlung holte er das gelbe Büchlein aus der Papiertüte und sah nach, was er gekauft hatte. Interpretationen. Franz Kafka. Romane und Erzählungen.
Geistige Nahrung. Nur zwei Straßen weiter lag der Discounter. Er brauchte Brotaufschnitt, Obst und die Zutaten für einen frischen Salat.