Stefan startete einen Ausdruck und schob zufrieden die Tastatur zurück. Die Fantasie war buchstäblich mit ihm durchgegangen und hatte den Grundstein für eine furiose Geschichte gelegt, sein erstes Werk, nach dem ihm diese Wohnung unmissverständlich bedeutet hatte, dass er Schriftsteller sei. Das Schreiben war unvergleichlich aufregender gewesen als seine Manuskripte zu lesen, so gut sie ihm auch gefielen. Ohne tatsächliche Erinnerungen an deren Entstehung hatten seine Romane den emotionalen Wert einer Konserve. Ein gutes Gefühl machte sich in Stefan breit, Hoffnung für die Zukunft.
An der Wohnungstür schellte die Klingel. Der Drucker zog ein neues Blatt ein, klapperte mit den Führungsschienen und sang sein monotones du-da, drucken, Papier vorschieben, klack. Die Führungsschienen ließen das Blatt in das Ausgabefach fallen und der Drucker verstummte.
Es klingelte erneut, energischer.
Stefan erhob sich langsam. An diesen Augenblick hatte er nicht mehr geglaubt. Seit drei Tagen beschäftigte er sich erfolglos mit sich selbst. Außerhalb dieser Wohnung schien ihn niemand zu vermissen.
Es klingelte dreimal, kurz hintereinander.
Stefan riss die Wohnungstür auf, als wollte er hinausstürmen. Die Nachbarin wich erschreckt einen Schritt zurück. Sie trug die Neuerwerbung von R&C, das kurze Sommerkleid mit den dünnen Trägern und den kleinen Blümchen im dunkelblauen Stoff. Eine goldfarbene Spange hielt das zu einem Dutt hochgesteckte Haar. Im Kaufhaus hatte sie das Haar noch lang getragen, in Strähnen wie weiche Borsten eines Besens.
Stefan musterte ihr Gesicht. Unzufriedenheit schaute ihn aus den Falten ihrer Mundwinkel und den Augen an.
»Ist Frau Bruhks nicht da?« Die Nachbarin zögerte. »Entschuldigung, wir kennen uns noch nicht. Ich wohne nebenan. Berta Böttcher.«
»Jaah«, dehnte Stefan, während er fieberhaft überlegte. Die Nachbarin bestätigte, dass in dieser Wohnung eine Frau lebte. »Ich bin Stefan Bruhks.«
»Sind Sie der Mann von Frau Bruhks?«
»Gewissermaßen … ihr Bruder.« Er dirigierte die Nachbarin ins Wohnzimmer. Sie stieg betont vorsichtig über eine Tellerscherbe und blieb stehen.
»Kleines Malheur. Sie kennen sicherlich das ewige Problem mit den Männern«, scherzte er, »zu faul, die Dinge in Ordnung zu bringen, die sie sich eingebrockt haben.«
»Ja, mit den Konsequenzen tun sie sich schwer.«
»Wie soll ich das verstehen?« fragte er.
»Frauen schwängern und sich dann davon machen«, presste Berta heraus.
Die spinnt, dachte Stefan. »Meines Wissens habe ich noch keine Frau mit einem von mir gezeugten Kind sitzen lassen«, sagte er, um Freundlichkeit bemüht. Auch wenn sein Wissen weniger als drei Tage alt war, würde er solches Verhalten als gemein bezeichnet haben. Begründete Ausnahmen blieben natürlich zugelassen, zum Beispiel bei seiner Nachbarin. Mit ihr wäre er allerdings nie in diese Situation gekommen, dessen war er sich sicher.
»Nicht dass Sie das falsch verstehen«, sagte Berta, »ich meinte nicht Sie. Nur weil Sie gesagt haben, dass sich die Männer gerne drücken. Mir fiel wieder ein, wie er meiner Schwester schöne Augen gemacht hat, bis er sie endlich im Bett hatte. Der Junge ist jetzt achtzehn.«
Aus welchem Grund erzählte sie ihm, einem Fremden, intime Details aus ihrer Familie? Sollte er den Verführer verurteilen?
»Frau Bruhks hat nie etwas von einem Bruder erwähnt.«
»Ich bin sozusagen ihr Halbbruder«, log Stefan. Aus welchem Grund erzählte sie ihm, einem Fremden, intime Details aus ihrer Familie? »Wir haben uns bisher nicht oft gesehen.«
»Sie sehen ihr sehr ähnlich, eher wie ein Zwilling.«
»Wir haben den gleichen Vater.«
»Ist Ihre Schwester nicht da?«
»Sie hat ein paar Tage Urlaub. Genauer gesagt, drei Wochen. Ich wohne solange hier, vielleicht auch länger.«
»Seit Samstag? Ich habe sie Samstag früh noch gehört.« Sie fügte hinzu: »Sie schrie ziemlich laut. Nichts Schlimmes. Es schien ihr zu gefallen.« Bertas Mund verengte sich.
Stefan hielt ihrem Blick stand. Ihm war nicht klar, worauf diese Frau hinauswollte.
»Halbbruder«, sagte Berta. »Halb Bruder oder halb Schwester?«
Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, wo er diese dreiste Person und ihre Anspielungen vor die Tür befördern müsste. Andererseits war sie augenblicklich seine einzige Informationsquelle. Er ließ den ausgestreckten Arm, der zur Tür zeigte, wieder sinken. »Ich schlage vor, wir wechseln das Thema. – Kommen Sie«, wies er seinem Besuch einen der beiden Sessel zu, ein gepolstertes Geflecht aus dünnen verchromten Stahlstangen.